Datenkraken in die Tentakel zwicken

Wie mensch in die Datenbanken der Polizei rein- und wieder rauskommt

6.7.2006, Frankfurt: Eine Demo gegen Studiengebühren geht nach der Abschlusskundgebung noch etwas weiter, der Zorn auf die Politik der Privatisierung von Bildung treibt die Studis auf die Frankfurter Stadtautobahn. Angesichts des ohnehin zähen Feierabend-Verkehrs ist das kein großes Problem, doch die Polizei reagiert hartleibig. Gleich mit der ersten Lautsprecherdurchsage erklärt sie alle TeilnehmerInnen für vorläufig festgenommen.

Der Abtransport der (laut Polizeiangaben) 231 Betroffenen überfordert die logistischen Kompetenzen von Kochs Sicherheitstruppe offenbar erheblich und zieht sich über vier Stunden hin. Vielleicht wollten die Beamten aber auch nur die Behandlung der Gefangenen ausgiebig genießen: Schon vor Ort nahmen sie die Personalien ihrer Opfer auf, durchsuchten sie und fesselten sie mit Kabelbindern.

In der Sammelstelle im Polizeipräsidium wurden die Studis erst in Käfige gesperrt, dann nochmals gründlich durchsucht, vernommen (wir wollen hoffen, dass sie alle das einzig richtige taten und die Aussage verweigerten) und zum schlechten Schluss erkennungsdienstlich behandelt.

Die ED-Behandlungen wurden begründet mit §81b StPO. Dort ist geregelt, dass dieser doch recht erhebliche Grundrechtseingriff – immerhin darf mensch sich nach dieser Prozedur mal echt als VerbrecherIn fühlen – sowohl zur (1) „Durchführung des Strafverfahrens“ als auch für (2) „Zwecke des Erkennungsdienstes“ (die „Prävention“ Marke Repression reckt hier ihr hässliches Haupt) erlaubt ist, im zweiten Fall aber nur bei schweren Straftaten oder einer klaren Prognose zur Wiederholungsgefahr. Diese Alternativen solltet ihr im Kopf behalten, denn sie spielen an einigen Stellen in der weiteren Geschichte eine wichtige Rolle, schon, weil sie klarerweise bestimmen, wie die ED-Daten wo wieder auftauchen dürfen.

In diesem Wissen rechtfertigte sich die Polizei schon bei der Erfassung nach Gutdünken mit der einen oder anderen Alternative, ignorierte Widersprüche (die in der Regel bei der zweiten eine aufschiebende Wirkung haben sollten) und setzte die ED-Behandlung mit Gewalt durch.

Datenspuren

Als der Student D. nach acht Stunden wieder freikam, war er verständlicherweise etwas sauer und wurde gleich am Folgetag wieder auf dem Präsidium vorstellig, um den Widerspruch gegen die ED-Behandlung, den die Beamten am Vortag im Machtrausch der Massengewahrsamnahme frech nicht aufgenommen hatten, schriftlich nachzuholen (in der Hoffnung, so zumindest noch gegen die Speicherung vorgehen zu können).

Nach gerade mal zwei Monaten reagierte die Polizei und teilte mit, der Widerspruch sei obsolet, denn die ED-Behandlung habe in seinem Fall nur der Durchführung des Strafverfahrens gedient. Dieses wurde dann im Mai 2007 eingestellt, und zwar wegen unzureichenden Tatverdachts. Es sei nämlich nicht mehr nachvollziehbar, wer zuerst auf die Autobahn gesprungen sei. „Das bloße 'Hinzutreten',“ so die Staatsanwaltschaft in ihrer im Hinblick auf all die hanebüchenen Nötigungsverfahren durchaus interessanten Einlassung, „reicht jedoch nicht aus, um den Tatbestand einer Nötigung oder eines Landfriedensbruchs zu erfüllen“.

Als dann kaum einen Monat später im Umfeld der G8-Proteste viele Menschen recht wahllos in Gewahrsam genommen wurden, kamen Gerüchte auf, die Polizei handele teilweise aufgrund von bei der Autobahndemo aufgenommenen Daten, die bei den Abfragen ihren Weg von Wiesbaden nach Rostock genommen hätten. So wurde D. wieder hellhörig und schickte ein Auskunftsersuchen [1] an das BKA (als Betreiber von INPOL die Top-Datenkrake im staatlichen Sicherheitsbereich der Republik) sowie das hessische LKA als die föderalistisch-korrekt zuständige Institution.

Die Auskunft des BKA zeigte, dass D. in der dort geführten Verbunddatei Kriminalaktennachweis (KAN) mit den personenbezogenen Hinweisen (PHW) „gewalttätig“ und „Straftäter linksmotiviert“ (im Jargon auch gern LIMO genannt; das Kürzel wurde und wird auch gerne für im Laufe der INPOL-Geschichte wechselnde Datenbestände im Politbereich verwendet) sowie einem Verweis auf eine Frankfurter Kriminalakte gespeichert war. Ginge es nach dem BKA, so sollte letzteres bei allen Strafverfahren mit „Verdacht auf Handeln zur Verfolgung politischer Ziele“ passieren, doch selbst in Staatsschutz-Kreisen wird dieser Wunsch teilweise für deutlich übertrieben gehalten.

Die Daten aus der ED-Behandlung inklusive Fingerabdrücke und Fotos waren in den BKA-Dateien Erkennungsdienst und AFIS (dem Daktyloskopie-System des BKA) gelandet. Außerdem speicherte das BKA in der Staatsschutzdatei „Innere Sicherheit“ neben dem Frankfurter Verfahren auch einen Eintrag aus Hamburg, der in der dortigen Landesdatenbank (wie in vielen anderen Ländern eine POLAS-Instanz) längst gelöscht war.

Dieser letzte Eintrag schien D. recht leicht angreifbar. Da das LKA Hamburg die Daten eingestellt hatte, wandte er sich dorthin, wurde aber mit dem lapidaren Hinweis, das Hamburger LKA sei gegenüber dem BKA nicht weisungsbefugt, abgebügelt. Der Hinweis war, nebenbei, insofern Unfug, als das BKA bei Mitteilung des LKA sehr wohl reagieren muss; es könnte zwar entscheiden, die Daten zu adoptieren, aber damit hätte dann das BKA die Verantwortung und müsste ggf. selbst die Weiterspeicherung rechtfertigen. So aber war das nicht, und folgerichtig verwiesen BKA wie auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) D. nach Hamburg. Kafka ließ, nicht zum letzten Mal, grüßen.

Zum schönen Abschluss war, als nach einigem Hin und Her das BKA den Hamburger Eintrag quasi aus Kulanzgründen doch löschen wollte, dieser unauffindbar.

Wiesbaden

Wegen des Strafverfahrens war bereits eine Anwältin für D. tätig gewesen (die Rote Hilfe unterstützte ihn mit 98,25 Euro). Nachdem D. mit ihr die Frage der Datenspuren erörtert hatte, forderte sie die Polizei auf, doch inhaltlich den Widerspruch zu entscheiden und beantragte Akteneinsicht. Die hätte die Polizei auch gewährt, doch nur in Frankfurt. Dieses Angebot nahmen D. und seine Anwältin nicht wahr, da dabei Fahrtkosten für etliche hundert Kilometer angefallen wären – angesichts der unklaren Finanzierung eine zu riskante Investition.

So blieb an dieser Front zunächst alles ruhig.

Als D. Mitte August noch keine Antwort auf sein Auskunftsersuchen vom hessischen LKA und seinen Brief an den hessischen LfD erhalten hatte, erkundigte sich D. schließlich telefonisch beim LfD und erfuhr vom zuständigen Referenten, dass dieser von der Polizei leider noch keine Informationen erhalten hatte. Er versprach jedoch, dort noch einmal nachzuhaken und konnte D. wenige Tage später mitteilen, dass die Polizei nun einräumt, die ED-Behandlung sei nun (auch) zu „Zwecken des Erkennungsdienstes“ durchgeführt worden (ansonsten wäre deren Löschung auch schon nach einem halben Jahr erfolgt).

Kurz darauf teilte die Polizei D.s Anwältin mit, dass der Widerspruch am Tag nach der Demo rechtlich unzulässig war, weil einem abgeschlossenen Rechtsakt nicht mehr widersprochen werden kann. Dass D. während seiner Gewahrsamnahme das Widerspruchsrecht verweigert worden war, interessierte die Polizei nicht, was auf ein interessantes Rechtsverständnis schließen lässt und zeigt, wie wichtig es ist, ggf. bereits während der Gewahrsamnahme auf anwaltlichem Beistand zu bestehen [2]. Die Polizei interpretierte den Widerspruch in einen Löschantrag um (unter Einbeziehung der übrigen gespeicherten Daten, deren Löschung D. teilweise schon vom LKA verlangt hatte) und lehnte diesen gleich darauf ab.

D.s Anwältin legte im Oktober 2007 Widerspruch gegen diese Ablehnung ein und beantragte jetzt, die Akte zur Einsicht an eine Behörde in Hamburg zu schicken. Dort trafen sie dann nach vier Monaten und einer Nachfrage im Dezember ein. Interessanterweise fehlte in der Akte die Anordnung zur ED-Behandlung, wodurch immer im Dunkeln bleiben wird, welche der Alternativen aus §81b StPO denn nun bei der Erfassung einschlägig hätte sein sollen. Die „Negativprognose“ (d.h. eine begründete Aussage des Typs „D. ist ein schlimmer Finger“), die es für die ja mittlerweile von der Polizei angegebene zweite Alternative brauchen würde, wurde nicht einmal nach einer Rüge des hessischen LfD beigebracht. In diesem Zusammenhang sei als Schocker noch angemerkt, dass der Frankfurter Staatsschutz vorgeschlagen hatte, die geforderte Negativprognose aufgrund der Erwartung weiterer Demos in Sachen Studiengebühren zu stellen.

Ein letzter bemerkenswerter Punkt war, dass die Akte nicht mal andeutete, dass D.s Widerspruch sich nicht nur um die ED-Daten drehte, sondern um den kompletten auf D. bezogenen Datenbestand aus Hessen.

Erfolge

Im März 2008 hatte der LfD in Hessen durchgesetzt, dass die PHW „gewalttätig“ und „Straftäter linksmotiviert“ bei den anderweitig unbescholtenen Autobahnstudis gelöscht wurden, was den positiven Nebeneffekt hatte, die Machenschaften der Polizei im EDV-Bereich wieder mal in die Presse zu bringen. Nicht erwähnt wurde dort allerdings, dass die ED-Daten weiterhin zur Unterhaltung der BKA-Operatoren verfügbar blieben.

Als sich Mitte Mai 2008 in der ED-Angelegenheit immer noch nichts gerührt hatte, wandte sich D. mit einer Beschwerde über das Verhalten der Polizei an Innenministerium und Innenausschuss des hessischen Landtags. Noch bevor diese dort eintraf, gab die Polizei nach all der Zeit D.s Einspruch statt und löschte die Daten, nicht ohne darauf zu bestehen, dass die Speicherung rechtmäßig gewesen, nun aber nicht mehr nötig sei. Netterweise übernahm die Staatskasse die entstandenen Anwaltskosten.

Die autoritäreren Teile der Linken haben den schönen Spruch von der Kontrolle, die besser sei als das Vertrauen, und zumindest im Umgang mit dem Sicherheitssumpf bewahrheitet sich dieses Diktum immer wieder. Als D. nämlich ein weiteres Auskunftsersuchen stellte, kam heraus, dass bei der Löschung wieder die „Innere Sicherheit“ vergessen worden war. Das fiel erst auf, als das BKA beim hessischen LKA nachfragte, ob es ok sei, D. Auskunft über diesen Eintrag zu erteilen, woraufhin die Löschung dann doch vorgenommen wurde.

Die Leben der anderen

Die vollständige Löschung der Daten ist nach Kenntnis des hessischen LfD im Augenblick nur bei D. vorgenommen worden. Von den im Gefolge der Autobahnblockade vergebenen PHW wurden nach Auskunft des LfD für 198 Personen sowohl „gewalttätig“ also auch „LIMO“ gelöscht, fünf sind nur noch „LIMO“, drei nur noch „gewalttätig“ und immerhin 14 nach wie vor beides. Immerhin wurde bei denjenigen, denen in Frankfurt nichts Konkretes nachzuweisen war – also den allermeisten – die Aussonderungsprüffrist (also die Zeit, nach der Einträge in der Regel und sofern nichts zugespeichert wurde zu löschen sind) für die hessische Datenbank auf drei Jahre verkürzt, was sich auf die Einträge im KAN beim BKA überträgt. Über die Löschung der ED-Daten dieser Personen wird vermutlich noch bis Jahresende entschieden.

Wer speziell bei dieser Aktion in die Mühlen der polizeilichen EDV gekommen ist, sollte definitiv ein Auskunftsersuchen stellen. Der Hinweis auf das Aktenzeichen V12-21a02-315/07 sollte bei einem dann wahrscheinlich notwendigen Löschantrag durchaus Erfolg versprechen.

Allen anderen sei geraten, aus datenhygienischen Gründen auch ein Auskunftsersuchen zu stellen – mit dem Auskunftsgenerator der Datenschutzgruppe der Roten Hilfe ist das nicht viel Arbeit – und bei dabei zu Tage tretenden Missbräuchen am Ball zu bleiben. Meist braucht es da noch nicht mal einE AnwältIn wie in D.s Fall, die Datenschutzbeauftragten des Bundes oder der Länder sind in aller Regel hilfreich, und im Zweifel gibts ja noch die Datenschutzgruppe der Roten Hilfe.

Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg

datenschutzgruppe@rotehilfe.de

PGP Fingerprint: a3d8 4454 2e04 6860 0a38 a35e d1ea ecce f2bd 132a

http://www.datenschmutz.de

[1]Zu Auskunftsersuchen sowie dem bequemen Online-Generator vgl. RHZ 3/2004, 1/2005 sowie https://www.datenschmutz.de/cgi-bin/auskunft
[2]Aber Vorsicht: Massengewahrsamnahmen ziehen manchmal wenig seriöse AnwältInnen an, die dann nachher mit enormen Rechnungen kommen; wenn ihr den EA erreichen könnt, kann er euch vertrauenswürdige Leute vermitteln.

Dieser Artikel ist in der Kolumne get connected der Zeitung der Roten Hilfe erschienen. Das Material kann gerne gemäß CC-0 weiterverwendet werden.

get connected wird von der Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg betreut.