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= "Anti-Terror-Datenbank" =

Die ATD ist eine gemeinsame Datei der deutschen Polizeien des
[[Bundespolizeien|Bundes]] und der
[[Datenbanken auf Länderebene|Länder]] sowie der
[[Datenbanken der Dienste|Geheimdienste]]. Sie wird im
Wesentlichen als Nachweisdatei betrieben, d.h. ihr wesentlicher Inhalt
sind Verweise auf die Datenbestände der beteiligten Behörden. Die Datenbank wird
beim [[BKA]] betrieben.

== Rechtsgrundlage ==

[[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/index.html|Anti-Terror-Datei Gesetz]]
Die ATD ist eine gemeinsame Datei der deutschen Polizeien des [[Bundespolizeien|Bundes]] und der [[Datenbanken auf Länderebene|Länder]], den [[Datenbanken der Dienste|Geheimdienste]]. Sie ist eine Nachweisdatei, d.h. sie enthält Verweise auf die Datenbestände der beteiligten Behörden. Sie ist angesiedelt beim [[BKA]].

Analog zur ATD betreibt das BKA die [[RED]] mit weitgehend identischer
Funktionalität. Sie soll aber gegen den Bereich „Rechtsextremismus” (womit die
Regierung wohl Nazi-Umtriebe meint) gerichtet sein.

Eine (inzwischen etwas angestaubte, aber im Wesentlichen noch zutreffende) [[https://datenschmutz.de/gc/html/atd.html|Einführung in die ATD]] erschien in der RHZ 1/2007.

= Rechtsgrundlage =

[[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/index.html|Anti-Terror-Datei Gesetz]];
es wurde vom BVerfG in Teilen als verfassungswidrig befunden
([[https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/04/rs20130424_1bvr121507.html|- 1 BvR 1215/07 -]])
und – frecherweise – daraufhin 2014 weiter verschärft. Dieser Artikel
ist noch nicht überall auf dem Stand der Verschärfung.
Zeile 19: Zeile 21:
Beratung erlaubt (vgl. [[#Trennungsgebot]] weiter unten).

=== Zugriffsberechtigte ===

Daten eingeben und abrufen dürfen das BKA, die Bundespolizei,
die LKAs, das BfV und die LfVs der Ländern, der MAD, der BND und das Zollkriminalamt. Der
[[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__1.html|§1, Abs. 2 ATDG]]
sieht vor, dass auch andere Polizeibehörden Zugriff bekommen können,
was wohl vor allem auf die [[Staatsschutz]]-Abteilungen nachgeordneter
Polizeibehörden gemünzt sein dürfte (letztere Klausel darf als Sieg der
Polizeien über die Geheimdienste gelten). Ausweislich der Errichtungsanordnung
mit Stand vom 4. Juni 2010 haben in drei Bundesländern polizeiliche Dienststellen
unterhalb der Ebene der Landeskriminalämter Zugriff auf die Antiterrordatei. (BVerfG, 1 BvR 1215/07 vom 24.4.2013)

Laut <<BtDS(16/2877)>> (2006) haben weder das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (mithin dürften auch keine Datensätze aus dem [[AZR]]
direkt in die ATD kommen) noch das Bundesamt für [[Katastrophenschutz]]
Zugriff auf die Datenbank. Ebenfalls gibt es keine Kopplung mit
internationalen Datenbanken (wie etwa [[SIS]] oder [[Europol]]; das darf
als Sieg der Geheimdienste über die Polizeien gelten).

=== Verdeckte Speicherung ===

Die beteiligten Behörden haben nach
[[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__4.html|§ 4 ATDG]] das Recht,
Personen oder Angaben zu Organisationen verdeckt zu speichern. Dabei
erfährt bei einem Suchtreffer nicht die suchende, sondern die
speichernde Behörde von dem Treffer. Letztere kann dann entscheiden, ob
sie die Daten im Nachhinein freigeben und an die anfragende Behörde
übermitteln möchte.

Diese Möglichkeit sollte die Geheimdienste dazu bringen, ihre
ach so vertraulichen Daten in die ATD zu bringen; sie hatten vor allem
gegen die ATD argumentiert, viele ihrer Daten kämen von ausländischen
Geheimdiensten, und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit diesen käme
in Gefahr, wenn ihre "Erkenntnisse" zu Polizeien wandern würden.

In Wirklichkeit war es 2013 vor allem das BfV, das verdeckt speichert (28%
ihrer Records), während der BND, der vielleicht wirklich umfangreich
Daten von Dritten verarbeitet, nur 15% verdeckt speichert (Daten nach
<<BtDS(17/11130)>>, S. 34). Es gab 2013 verdeckte Daten zu 13% der
gespeicherten Personen, die bei 17% der Anfragen angeschlagen haben.
Das macht in etwa 10000 verdeckte Hits pro Jahr oder etwas wie 30 pro
Tag. Es kann nicht überraschen, dass die so speichernden Behörden die
Anfragen (die sie im übrigen sehen) nicht mehr sehr sorgfältig prüfen.
Viele der Matches treten ohnehin bei Suchen nach häufigen Nachnamen auf
(<<BtDS(17/11130)>>, S. 47).

Zur Möglichkeit der verdeckten Speicherung tritt die beschränkte
Speicherung, die Behörden erlaubt, selektiv Daten zurückzuhalten. Leut
<<BtDS(17/11130)>> macht allerdings kaum jemand von dieser Möglichkeit
Gebrauch -- aber wer will das prüfen?

=== Zugriffsrechte ===

[[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__5.html|§ 5 ATDG]] regelt die
Zugriffsrechte der teilnehmenden Behörden. Danach sind die
[[#Erweiterte Grunddaten|erweiterten Grunddaten]]
grundsätzlich nur mit Einverständnis der speichernden Behörde
einzusehen, aber es gibt einen Ausnahmeparagraphen, so dass davon in
Eilfällen abgesehen werden kann.

Die im 5-Jahre-Evaluationsbericht (<<BtDS(17/11130)>>) dargestellte
Praxis sieht so aus, dass dieses Protokoll in fünf Jahren ATD überhaupt
nur rund 1000 Mal genutzt wurde (S.46). Der von den öffentlichen
Evaluatoren offen eigenstandene Grund dafür unterstreicht, wie sehr die
ATD das Trennungsgebot unterläuft: Bei Treffern rief die suchende
Behörde typischerweise gleich bei der speichernden an, was dann zu
allfälligem Austausch ggf. über die in der ATD stehenden Daten hinaus
führte.

Die Eilfallregelung, um die in der politischen Debatte im Vorfeld viel
Wind gemacht worden war, ist bis 2013 nur ein einziges Mal angewandt
worden (<<BtDS(17/11130)>>, S. 47).

=== Kontaktpersonen ===

Ein besonders bedenklicher Teil des ATDG sind die Ausführungen zu
"Kontaktpersonen". Es ist völlig unklar, wer dabei alles erfasst werden
kann. Ganz offenbar hat die Regierung hier dem Konglomerat von
politischer Polizei und Diensten einen Freibrief gegeben, Daten z.B. von
Asylberatungsstellen und ihren Mitarbeiter_innen zu speichern. Immerhin
wurde gegenüber der ersten Entwurf des Gesetzes präzisiert, ein
flüchtiger oder zufälliger Kontakt reiche nicht zur Speicherung
ausreiche.

Angesichts solcher völlig beliebigen Regelungen erscheint es um so
erschreckender, dass die Fünfjahreskommission in <<BtDS(17/11130)>>
berichtet, bei ihren Befragungen hätten nur 5% der Nutzer_innen
geäußert, mehr oder weniger häufig Zweifel bezüglich der Speicherung von
Personen zu haben (S. 35). Lediglich zu folgender windelweichen Einlassung
ließ sich die Kommission hinreißen (S. 22):

{{{#!blockquote
Die Abgrenzung zwischen dolosen und undolosen Kontaktpersonen sei
sehr problematisch. Eine kontrollierte Behörde habe ausdrücklich
bestätigt, dass diese Abgrenzung oftmals nur sehr schwierig vorzunehmen
sei.
}}}

Dazu hatte der [[BfDI]] schon 2011 ausgeführt
(<<Doclink(2011-BfDI-TB23,23. Tätigkeitsbericht (2011))>>, 7.1.2, S. 83),
dass die Bewertung, wann
eine Kontaktperson als „dolos“ im Sinne des ATDG einzustufen sei, vom
[[BfV]] sehr locker gesehen werde. „Dolos“ markiert dabei Personen, bei
denen die Behörden "tatsächliche Anhaltspunkte" für die Kenntnis von der
Planung oder Begehung einer terroristischen Straftat sehen. Das [[BfV]]
meint, dass nachrichtendienstliches Erfahrungswissen ausreichen würde,
um jemand als dolos einzustufen zu können. Dieses kritisiert der BfDI,
da wegen der damit verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffe
konkrete Tatsachen für die Einstufung als dolos erforderlich seien
müssten.

Beispiele für willkürliche Speicherungen von Kontaktpersonen – dolos
oder nicht-- finden sich etwa im
<<Doclink(2007-LfDBaWue-Bericht28.pdf,28. TB LfD BaWü)>> (2007). Hier
wird insbesondere die Befürchtung bestätigt, die ATD werde mit
Ergebnissen von zur Beobachtung ausgeschriebenen
Personen (bei denen ja Begleitpersonen mit erfasst werden sollen)
gefüttert.

=== Organisatorisches ===

Die eingespeicherten Daten bleiben quasi im Besitz der speichernden
Behörde -- nur sie kann sie z.B. löschen oder berichtigen.

Während bei den üblichen Polizeidateien typischerweise nur jeder zehnte
Zugriff geloggt wird (na ja, werden soll), wird bei der ATD jeder
Zugriff protokolliert werden, und zwar mit Angabe zum Grund der Anfrage.
Die protokollierten Abfragen sollen vom [[BfDI]] kontrolliert werden.

Für die ATD selbst sind keine Speicherfristen vorgesehen. Die Daten
sollen gelöscht werden, wenn die Speicherfrist bei den einspeisenden
Behörden abgelaufen ist. Wenigstens die 2013er Evaluation
<<BtDS(17/11130)>> behauptet, dass das auch funktioniert.

 
== Inhalt ==

Gespeichert werden nach
[[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__2.html|§ 2 ATDG]] solche
Personen, gegen die ein [[129a Verfahren|§129a oder §129b]] eingeleitet
worden ist oder die Kontaktperson von Terrorverdächtigen sind. Zudem
werden Daten gesammelt von Personen, die "rechtswidrig Gewalt als Mittel
zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religöser
Belange anwenden oder [...] unterstützen" ''oder in Verbindung mit ihnen
stehen'' (!). Schließlich sollen auch Vereinigungen, Firmen,
Internetseiten, Mailadressen usf. gespeichert werden, die in diesem
Gebiet nützlich sein können.


=== Struktur der Datensätze ===
Beratung erlaubt. Für die analog zur ATD gestrickte
Rechtsextremismusdatei [[RED]] gab es allerdings trotzdem nochmal ein
Extragesetz.

= Organisatorisches =

Konzeptionell ist die ATD eine Sammlung einschlägiger (also auf Terrorismus zur
Ausländer_innen bezogener) Daten aus den Einzelbehörden Die eingespeicherten
Daten bleiben quasi im Besitz der speichernden Behörde -- nur sie kann sie z.B.
löschen oder berichtigen. Das lässt ein amüsantes Behördenhopping erwarten,
wenn man erstmal in der ATD gelandet ist.

== Zugriffsberechtigte ==

Daten eingeben und abrufen dürfen das [[BKA]], die [[Bundespolizei]], die [[LKA]]s, das [[BfV]] und die [[LfV]]s
der Ländern, der [[MAD]], der [[BND]] und das [[Zoll]]kriminalamt. Der [[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__1.html|§1, Abs. 2 ATDG]] sieht vor, dass auch andere Polizeibehörden Zugriff bekommen können. Dieses bezieht sich das vor allem auf die [[Staatsschutz]]-Leute, für die die Innenminister der Länder ein Wort eingelegt hatten.

Laut [[http://dip.bundestag.de/btd/16/028/1602877.pdf|Bundestags-Drucksache 16/2877]] (2006) haben weder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (mithin dürften auch keine Datensätze aus dem [[AZR]] direkt in die ATD kommen) noch das Bundesamt für [[Katastrophenschutz]] Zugriff auf die Datenbank. Ebenfalls gibt es keine Kopplung mit Internationalen Datenbanken (wie etwa [[SIS]] oder [[Europol]]).

Sehr wohl allerdings wird die ATD im Visumverfahren verwendet, wenn das Bundesverwaltungsamt (als Träger der [[Visadatei#Visa-Warndatei|Visa-Warndatei]])
annimmt, dass bei Einlader_innen oder Eingeladenen etwas zu finden sein
könnte ([[http://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__72a.html|§72a AufenthaltG]]).

[[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__5.html|§ 5 ATDG]] regelt die Zugriffsrechte der teilnehmenden Behörden. Danach sind die [[#Erweiterte Grunddaten|erweiterten Grunddaten]] grundsätzlich nur mit Einverständnis der speichernden Behörde einzusehen, aber es gibt einen Ausnahmeparagraphen, so dass davon in Eilfällen abgesehen werden kann.
Laut der ATD-Evaluation machen die Behörden nicht viel Gebrauch von der
Eilfall-Regelung. Dies hängt vermutlich insbesondere mit den „Zentren”
([[https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinsames_Extremismus-_und_Terrorismusabwehrzentrum|GETZ]], [[https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinsames_Terrorismusabwehrzentrum|GTAZ]]) zusammen, in deren Rahmen die Mitarbeiter_innen lieber gleich
zu den KollegInnen gehen.

== Verdeckte Speicherung ==

Die beteiligten Behörden haben nach [[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__4.html|§ 4 ATDG]] das Recht Personen oder Angaben zu Organisationen verdeckt zu speichern. D.h. die abfragenden Behörden merken nicht wenn sie einen Treffer haben, es wird allerdings die einsspeisende Behörde benachrichtigt und diese kann dann Kontakt zur abfragenden Behörde aufnehme.

== Kosten der ATD ==

Kosten laut Bundestagsbeschluss: Rund 15 Millionen Euro einmalig, rund 6 Millionen Euro pro Jahr. Der [[http://www.heise.de/newsticker/meldung/85247|Heise-Newsticker]] berichtet, das [[BKA]] habe 72 "Datenbankspezialisten" für die ATD eingestellt. Genaueres zu den angefallenen Kosten steht in einem [[http://www.heise.de/ct/hintergrund/meldung/85995|Ct-Artikel]].



= Inhalt =

Gespeichert werden nach [[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__2.html|§ 2 ATDG]] solche Personen, gegen die ein [[129a Verfahren|§129a oder §129b]] eingeleitet worden ist oder die Kontaktperson von Terrorverdächtigen sind. Zudem werden Daten gesammelt von Personen, die "rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religöser Belange anwenden oder [...] unterstützen" ''oder in Verbindung mit ihnen stehen'' (!). Schließlich sollen auch Vereinigungen, Firmen, Internetseiten, Mailadressen usf. gespeichert werden, die in diesem Gebiet nützlich sein können.

== Struktur der Datensätze ==
Zeile 174: Zeile 68:
==== Grundaten ====

   * Namen (incl. Aliasnamen)
=== Grundaten ===

   * Namen (incl. Aliasnamen )
Zeile 179: Zeile 73:
   * Geburtsort und Geburtsland    * Herkunftsland
Zeile 182: Zeile 76:
   * besondere körperliche Merkmale    * besondere Kennzeichen
Zeile 186: Zeile 80:
   * eine Bezeichnung der Fallgruppe nach § 2 ATDG    * eine Bezeichnung der Fallgruppe
Zeile 189: Zeile 83:
==== Erweiterte Grunddaten ==== === Erweiterte Grunddaten ===
Zeile 193: Zeile 87:
   * genutzte Fahrzeuge (Angabe aus „PKW; LKW; Bus; Boot; Flugzeug; Motorrad; Bahn; Sonderfahrzeug; Fahrrad; Quad“)    * genutzte Fahrzeuge
Zeile 195: Zeile 89:
   * "Volkszugehörigkeit"    * "Volkszugehörigkeit" (!)
Zeile 202: Zeile 96:
   * besuchte Orte    * besuchte Orte (!)
Zeile 206: Zeile 100:
   * Freitext, angeblich max. 2000 Zeichen ("auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhende zusammenfassende besondere Bemerkungen, ergänzende Hinweise und Bewertungen zu Grunddaten und erweiterten Grunddaten, die bereits in Dateien der beteiligten Behörden gespeichert sind, sofern dies im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen geboten und zur Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus unerlässlich ist")    * Freitext (!)
Zeile 210: Zeile 104:
Die relevanten Begriffe für "Volkszugehörigkeit", "Religionszugehörigkeit",
"besondere Fähigkeiten", "Tätigkeit", "besuchte Orte" stehen jeweils in einer
BKA-Verwaltungsvorschrift ("ATD-VwV"; <<Doclink(2015-bka-atdterms.pdf,Fassung von 2015)>>). Dass bei "Volk" neben Belutsche und Dagestaner auch Flame und Este
steht, ist dabei vielleicht etwas überraschend. Besondere Fähigkeiten
sidn fürs BKA nicht nur Sprengstoff, sondern auch Physik und "Technik".
Bei besuchten Orten gibts neben "Koranschule" auch "Verein" und
"Hochschule".

Nach der Auflistung der Datentypen ist klar, dass es sich hier ''nicht'' um eine
reine Indexdatei handelt. Tatsächlich geht dieser Datenbestand weit
über das hinaus, was die üblichen Aktennachweise enthalten (dürfen).
Zurück in die große Zeit deutscher Geheimpolizeien verweist natürlich
auch das Feld zur "Volkszugehörigkeit".

Allerdings werden die erweiterten Grunddaten nicht sehr eifrig befüllt.
Der Evaluationsbericht <<BtDS(17/11130)>> berichtet, die "Volkszugehörigkeit"
sei nur bei 4% der Einträge vorhanden, Schulabschluss gar nur bei 1% (S.
38).

Die besonders bedenklichen Freitexte gibt es danach bei lediglich 5% der
Einträge. Die Erwartung, darin die haarsträubendsten Missbräuche zu
finden, hat die Evaluationskommission lieber gar nicht geprüft – die
Inhalte waren nicht Gegenstand der Prüfung (S. 39), die treuherzige
Versicherung der Nutzer_innen reichte: "Dabei war den Gesprächspartnern
im Rahmen der Evaluierung kein einziger Fall bekannt, bei dem in
Freitextfeldern unzulässige Informationen gespeichert waren." (S. 20)
Nach dieser Auflistung ist klar, dass es sich hier ''nicht'' um eine reine Indexdatei handelt. Tatsächlich geht dieser Datenbestand weit über das hinaus, was übliche Ermittlungsdatenbanken enthalten (dürfen). Besonders bedenklich erscheinen natürlich die Freitextfelder, mit denen erfahrungsgemäß beliebiger Schindluder getrieben wird. Zurück in die große Zeit deutscher Geheimpolizeien verweist natürlich auch das Feld zur "Volkszugehörigkeit".

Drastisch sind die Verfügungen zu Kontakt- und Verbindungspersonen;
daran haben auch die geringen Anpassungen aus der Novellierung 2014
nichts geändert. Es ist völlig unklar, wer dabei alles erfasst werden
kann. Ganz offenbar hat die Regierung hier dem Konglomerat von
politischer Polizei und Diensten einen Freibrief gegeben, Daten z.B. von
Asylberatungsstellen und ihren Mitarbeiter``Innen zu speichern.
Immerhin wurde gegenüber der ersten Entwurf des Gesetzes präzisiert,
dass ein flüchtiger oder zufälliger Kontakt reiche nicht zur Speicherung
ausreiche.

Das BVerfG hat
([[https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/04/rs20130424_1bvr121507.html|- 1 BvR 1215/07 -]])
„Inverssuchen” zur „Verdachtsgewinnung” beanstandet –
dabei konnten (und können im Wesentlichen auch nach neuem Recht) die
Behörden in den erweiterten Grunddaten ohne Personenbezug recherchieren
und Personendaten bekommen. Das BVerfG hat gefordert, dass bei solchen
Suchen nur Verweise auf Fundstellen, nicht aber auf Personen
herauskommen dürfen.

Die frechste Reaktion des Gesetzgebers auf die Einwände des BVerfG war
allerdings die Einführung von §6a zu Projektdateien. Dazu kann eine
Behörde für eine „gegenständlich abgrenzbare und auf bestimmte
Zeiträume bezogene Aufgabe” die ohnehin geringen Nutzungsbeschränkungen
der ATD ignorieren, um das volle Programm zu fahren, etwa die Bildung
von „Zusammenhängen zwischen Personen, Personengruppierungen,
Institutionen, Objekten und Sachen, der Ausschluss von unbedeutenden
Informationen und Erkenntnissen, die Zuordnung eingehender Informationen
zu bekannten Sachverhalten sowie die statistische Auswertung der
gespeicherten Daten” (Abs. 5). Dazu dürfen auch „räumliche und sonstige
Beziehungen” eingesetzt werden. Projektdateien werden vom Ministerium
eingerichtet und können dann erstmal vier Jahre betrieben werden, wobei
in aller Regel abgehörte Daten eine Rolle spielen dürften und darum auch
die G10-Kommission abnicken muss.

Die ATD-Projektdateien realisieren alles, wovor Bürgerrechtler_innen im
Hinblick auf behördliche Computernutzung schon immer gewarnt haben, von
beliebiger Verknüpfung bis zur Bildung von Bewegungsprofilen. Wieder
kann mensch nur hoffen, dass die Leute, die das dann implementieren und
nutzen, unfähig sind.

Der LfD BaWü berichtet in seinem <<Doclink(2007-LfDBaWue-Bericht28.pdf,28. Tätigkeitsbericht)>> (2007), dass das [[BKA]] hauptsächlich Daten aus der [[INPOL]]-Teildatenbank [[Datenbank Innere Sicherheit|Innere Sicherheit]] in die ATD eingespeist hätte.
Zeile 253: Zeile 164:
Dies wird dann wohl auch erklären, warum die Evaluationskommission in
<<BtDS(17/11130)>> davon spricht, nur bei 150 Personen lägen
"G-10-relevante" (also durch Abhören erhaltene)
Informationen vor (S. 36). Der Regierungsbericht verschweigt
die vorstehende Kritik des BfDI auch elegant, so dass anzunehmen ist,
dass das whitewashing von Daten aus Tk-Abhören und Lauschangriffen
in der ATD anhält.

== Umfang ==

=== Gespeichert =
==

[[http://www.tagesspiegel.de/politik/nachrichten/innere-sicherheit/97925.asp|BKA-Chef Zierke sprach]]
bei der Eröffnung im März 2007 von 13000 Personen und 15000 Datensätzen
in der ATD, zu 75% bezogen auf im Ausland lebende Personen oder sich
befindliche Dinge. Zu diesem Zeitpunkt waren offenbar noch keine
"erweiterten Grunddaten" gespeichert.

<<BtDS(17/8260)>>, <<BtDS(16/10007)>> und <<BtDS(17/11130)>> geben folgende Zahlen zu
Personendatensätzen in der ATD:

|| 8/2007 || 15605 ||
|| 28.5.2008 || 17745 ||
|| 8/2008 || 18122 ||
|| 8/2009 || 18675 ||
== Zahlen ==

[[http://www.tagesspiegel.de/politik/nachrichten/innere-sicherheit/97925.asp|BKA-Chef Zierke sprach]] bei der Eröffnung im März 2007 von 13000 Personen und 15000 Datensätzen in der ATD, zu 75% bezogen auf im Ausland lebende Personen oder sich befindliche Dinge. Zu diesem Zeitpunkt waren offenbar keine "erweiterten Grunddaten" gespeichert.

<<BtDS(17/8260)>> gibt folgende Zahlen zu Personendatensätzen in der
ATD:
Zeile 279: Zeile 172:
|| 8/2010 || 18639 ||
Zeile 281: Zeile 173:
|| 8/2011 || 18414 ||
Zeile 284: Zeile 175:
Dabei haben die Behörden erhebliche Probleme mit dem Zusammenführen von
Personendatensätzen aus verscheidenen Quellen und rechnen mit
weitgehend gleichbleibend ca. 1000 Dubletten (<<BtDS(17/11130)>>
vermutet für 2011 920 Dubletten).

Zum (nicht sonderlich ausgeprägten) Bauch um 2009 herum führt der
5-Jahres-Evaluationsbericht <<BtDS(17/11130)>> entwaffnend aus (S. 30),
wie werde als

{{{#!blockquote
Erkenntnisspitze aufgrund einer Gefährdungslage
interpretiert, die sich aufgrund vermehrter Terrorwarnungen im Vorfeld
der Bundestagswahlen 2009 ergab [...] Gefährdungsspitzen steigern die
Ermittlungsaktivitäten."
}}}

Was die Evaluatoren des Innenministeriums hier in Wirklichkeit sagen:
Wie viel gespeichert wird, hängt von der Beurteilung bzw. Paranoia der
Behörden und nicht von irgendwas ab, das mit gutem Willen noch als
Tatsache durchgehen könnte. Erstaunlich ist allenfalls, dass der Bauch
bei einem von vorneherein auf Willkür normierten Konstrukt nicht
ausgeprägter ausfällt.

Laut <<BtDS(17/11130)>> hatten 2011 44% der Speicherungen erweiterte
Grunddaten.

Die 2013-Evaluation (<<BtDS(17/11130)>>) gibt die Verteilung auf die
Fallgruppen bei den Personen über die Zeit. Dabei sahen die Zahlen so
aus:

|| Fallgruppe || 2007 || 2011 ||
|| Mitglieder/Unterstützer || 33% || 38% ||
|| Unterstützer von Unterstützern || 6% || 7% ||
|| Gewalttäter || 27% || 37% ||
|| Kontaktpersonen || 34% || 19% ||

Die Anteile gehen dabei auf Grundzahlen von rund 15000 im Jahr 2007 und
rund 18500 im Jahr 2011. Bemerkenswert also daran ist zunächst, dass
die Behörden sich allen Ernstes 6000 Terrorist_innen
zusammenfantasieren, die für die BRD brandgefährlich genug sind, um das
Aushebeln von haufenweise Grundrechten und Staatsprinzipien zu
rechtfertigen. Was machen all die langbärtigen Bombenleger nur das
ganze Jahr lang?

Dann fällt auf, dass nicht nur nach Zahlen, sondern auch nach Anteil der
"harte Kern" (Mitglieder und Gewalttäter) in vier Jahren deutlich
zugenommen hat. Als Erklärung bietet der Evaluationsbericht an:
"Andererseits werden in der Einzelfallhistorie regelmäßig weitere
Informationen über die betreffenden Personen gewonnen." Im Klartext:
Wer in den Fleischwolf kommt wird bald Hackfleisch.
Gerade angesichts de facto nicht stattfindender tatsächlicher als Terror
qualifizierbarer Aktionen hätten doch eigentlich auch die
Evaluator_innen stutzig werden müssen bei Tausenden von
"Radikalisierungsgeschichten", die die Behörden da auch ihren Rechnern
lutschen wollen.

=== Herkunft ===

Nach <<BtDS(17/11130)>> (S. 30) wurden und werden die meisten Personen
vom BND gespeichert (8000-10000). Über die Zeit (2007-2011) hinweg nahm
die Zahl der von BKA (2000-4000) und BfV (500-3000) beigetragenen
Personen teilweise deutlich zu. Die anderen Quellen sind demgegenüber
eher vernachlässigbar.

Dennoch rügt der LfD BaWü in seinem [[http://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/lfd/tb/2007/tb-2.htm|28. TB]] (2007)
übertriebenen Speichereifer seines LKA:

{{{#!blockquote
Bei einem als "Hauptperson" eingespeicherten Betroffenen war beispielsweise einem in den Akten befindlichen Strafurteil zu entnehmen, dass er selbst nach Meinung des polizeilichen Sachbearbeiters "keineswegs in irgendwelchen islamistischen Hintergrund verstrickt" war; das Gericht schloss sich dieser Auffassung an.
}}}

Ebenda merkt er an,
dass das [[BKA]] hauptsächlich Daten aus der [[INPOL]]-Teildatenbank
[[Datenbank Innere Sicherheit|Innere Sicherheit]] in die ATD eingespeist
hätte.

=== Abfragen ===

Laut <<BtDS(17/11130)>> (S. 42) gab es in den Jahren um 2011 herum rund
70000 Abfragen pro Jahr, davon ca. 55% von LKAs, 30% vom BKA und 10% von
den LfV. Mithin ergibt sich ein klarer Informationsstrom von den
Geheimdiensten zu den Polizeien (kein Wunder, dass letztere versucht
hatten, die ATD zu stoppen).

=== Kosten ===

Kosten laut Bundestagsbeschluss: Rund 15 Millionen Euro einmalig, rund 6
Millionen Euro pro Jahr. Der
[[http://www.heise.de/newsticker/meldung/85247|Heise-Newsticker]]
berichtet, das [[BKA]] habe 72 "Datenbankspezialisten" für die ATD
eingestellt. Genaueres zu den angefallenen Kosten steht in einem
[[http://www.heise.de/ct/hintergrund/meldung/85995|Ct-Artikel]].

Wie viel Geld am Ende wirklich geflossen ist, ist unbekannt.

== Technik ==

Die ATD basiert technisch auf der BKA-Fallbearbeitung [[INPOL]]-Fall von
2008, ist also eine Oracle-Anwendung, auf HP-UX-Hardware.
<<BtDS(17/11130)>> berichtet noch von einem "Stahlpanzerrohr", das
zwei innerhalb des BKA getrennt aufgestellte Maschinen mit ATD-Daten
verbindet. Ganz klar ist nicht, warum die ihre Failover-Maschinen mit
so einem Extragag zusammenkleben, aber "Stahlpanzerrohr" ist bestimmt
ein Wort, das den BKA-Leuten gefällt. Nach außen hin findet die
Kommunikation über die üblichen SINA-Thin Clients statt, also Maschinen
ohne viel Hardware, auf denen im Wesentlichen ein Web-Browser läuft.

Über die Popularität der altbackenen BKA-Software in den ohnehin
grummelnden Geheimdienstkreisen steht aaO (S. 25):

{{{#!blockquote
Die genauere Analyse der Antworten [...] zeigt auf, dass
diejenigen, die mit der Bedienoberfläche zufrieden sind, vor allem aus
dem Bereich der Polizei kommen (welche die auf INPOL-Fall basierende
Bedienoberfläche aus anderen Anwendungen kennen) und die (eher)
Unzufriedenen aus dem Bereich der Nachrichtendienste, für die die
verwendete Software zunächst unbekannt war und in der täglichen Praxis
außerhalb der ATD-Nutzung keine weitere Rolle spielt.
}}}

== Geschichte der Anti-Terrordatei ==

Die Verfechter eines autoritären Staates hatten, als sie 2001 Morgenluft
witterten, wohl nicht damit gerechnet, wie schwer sie sich untereinander
würden einigen können. Bereits der vorparlamentarische Prozess war
außerordentlich kompliziert, da auch innerhalb der
[[Neoliberalismus|neoliberalen]] Law-And-Order-Fraktion erheblich
Interessensgegensätze bestehen und etwa in der Frage der Einspeisung von
Geheimdienstdaten plötzlich Bürgerrechtler_innen und Geheimdienste
gemeinsame Interessen hatten (denn die Dienste fürchteten um ihre
Top-Secret-Daten, die eben nicht jedem Straßenpolizisten zugänglich sein
sollten).

So dauerte es ganz fünf Jahre, um zum Gemeinsame-Dateien-Gesetzes (GDG)
zu kommen, das neben dem ATDG etliche weitere einschneidende Änderungen an
anderen Gesetzen vornimmt, um in Zukunft Dateien nach dem Vorbild der
ATD ohne weitere öffentliche Beteiligung einrichten zu können. Es kam
nach vielen Interventionen von Innenministern (und auch des Bundesrats,
z.B. ist
[[http://www.bundesrat.de/cln_051/SharedDocs/Drucksachen/2006/0601-700/672-1-06,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/672-1-06.pdf|Drucksache 672/1/06]]
recht aufschlussreich) zustande. Die verabschiedete Fassung
findet sich in <<BtDS(16/2950)>>.

Das Gesetz wurde im Dezember 2006 verabschiedet, die Datei am 30.3.2007
freigeschaltet. Seit 2007 ist eine Klage gegen die ATD vor dem
Bundesverfassungsgericht anhängig; eine mündliche Verhandlung
[[https://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-060.html|fand im August 2012]]
statt, eine Entscheidung ist wohl noch nicht ergangen.

2013 erschien ein Evaluationsbericht der Bundesregierung
(<<BtDS(17/11130)>>), der wie ähnliche Evaluationsberichte etwa zu den
Schily'schen Terrorgesetzen im Wesentlichen die Interessen der Exekutive
wiedergibt. Danach dürfte eine Auflösung der (eigentlich als befristete
Verletzung der Grundrechte zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr
angelegten) ATD in weiter Ferne liegen.

== Trennungsgebot ==

Das Besondere an der ATD ist die Nonchalance, mit der die Regierung
zugibt, hier das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten
aufzuheben. So heißt es im durch das GDG eingeführten neuen
[[http://www.gesetze-im-internet.de/bverfschg/__22a.html|§22a Verfassungsschutzgesetz]]:

= Datenschutz =

== Auskunftsrecht ==

Das Auskunftrecht richtet sich nach [[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__10.html|§ 10 ATDG]] Absatz 2:

{{{#!blockquote
(2) Über die nicht verdeckt gespeicherten Daten erteilt das Bundeskriminalamt die Auskunft nach § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes im Einvernehmen mit der Behörde, die die datenschutzrechtliche Verantwortung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 trägt und die Zulässigkeit der Auskunftserteilung nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften prüft. Die Auskunft zu verdeckt gespeicherten Daten richtet sich nach den für die Behörde, die die Daten eingegeben hat, geltenden Rechtsvorschriften.
}}}

D.h. um Auskunft über eventuelle [[#Verdeckte Speicherungen|Verdeckte Speicherungen]] herauszubekommen, müssen alle 40 Behörden angeschrieben werden. Grundsätzlich dürfte es angesichts der Generaleinstufung der Daten als Verschlusssache mit mindestens VS-geheim schwierig werden, irgendwas aus den Behörden rauszubekommen.

Im [[https://www.datenschutzzentrum.de/material/tb/tb30/kap04_2.htm|30. Tätitigkeitsbericht des ULD SH]] wird zum Auskunftsrecht ausgeführt:

{{{#!blockquote
Für die Antiterrordatei ist in der Praxis ein mangelhaftes Auskunftsverfahren zu den verdeckt gespeicherten Daten geplant. Die aktuelle Rechtsprechung der höchsten deutschen Gerichte stellt immer wieder heraus, dass der Auskunftsanspruch für die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen von grundlegender Bedeutung ist. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss grundsätzlich in Erfahrung bringen können, bei welcher Stelle welche Daten über sie beziehungsweise ihn gespeichert sind. Schon die Regelung des Antiterrordateigesetzes ist insofern eine Zumutung: „Die Auskunft zu verdeckt gespeicherten Daten richtet sich nach den für die Behörde, die die Daten eingegeben hat, geltenden Rechtsvorschriften“. Die Betroffenen sollen einen Hinweis auf diese Regelung und eine Adressenliste der beteiligten Stellen erhalten, um dort jeweils die Auskunft einzeln zu beantragen. Die Bürgerinnen und Bürger haben unter Umständen keine leise Ahnung, welche der zur Zeit mehr als 40 beteiligten Stellen Daten über sie gespeichert haben. Sie sind so gezwungen, mehr als 40 Anträge zu stellen. Im Zweifel sind ebenso viele Widerspruchs- und Klageverfahren „ins Blaue hinein“ nötig, ohne die Erfolgsaussichten ansatzweise vorher abschätzen zu können. Dieses Auskunftsverfahren ist weder mit den Grundrechten noch mit der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes zu vereinbaren.
}}}

== Protokollierung ==

Bei der ATD soll jeder Zugriff protokolliert werden, und zwar mit Angabe zum Grund der Anfrage. Die protokollierten Abfragen sollen vom [[BfDI]] kontrolliert werden.

== Speicherfristen ==

Für die ATD selbst sind keine Speicherfristen vorgesehen. Die Daten sollen
gelöscht werden, wenn die Speicherfrist bei den einspeisenden Behörden
abgelaufen ist. Angesichts vieler Erfahrungen ist nicht damit zu rechnen, dass
das funktionieren wird (d.h. die Antiterrordatei hat das Zeug, zu einem
gewaltigen Datenfriedhof für allerlei Daten von LKAs zu werden -- bei INPOL
etwa gibt es ja noch eigene Speicherfristen, so dass Gammeldaten dort früher
oder später auffallen).


== Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten ==

Das Besondere an der ATD ist die Nonchalance, mit der die Regierung zugibt, hier das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten aufzuheben. So heißt es im neuen [[http://www.gesetze-im-internet.de/bverfschg/__22a.html|§22a Verfassungsschutzgesetz]]:
Zeile 451: Zeile 217:
In der Tat ist das als Frontalangriff auf das seinerzeit von den
Alliierten als Bollwerk gegen eine neue Gestapo verordnete
Trennungsgebot, von dem die deutschen Regierungen längst nichts mehr
wissen sollen; das geht auch aus dem Bericht der Regierungskommission
hervor, die keck formuliert (S. 52):

{{{#!blockquote
Ob es ein verfassungsrechtliches Gebot der Trennung von
Polizei und Nachrichtendiensten gibt und was darunter
ggf. zu verstehen ist, ist streitig.
}}}

In diesem Zusammenhang besonders dramatisch ist, dass das ATD nicht
vorschreibt, rechtswidrig (etwa durch Folter) gewonnene "Erkenntnisse" der
Geheimdienste seien nicht speicherungsfähig; damit sind sie, jedenfalls
im Prinzip, sogar speicherungspflichtig. Dies mag nach den
Aktivitäten des [[BKA]] selbst (z.B.
WikiPedia:Khalid_El-Masri) nur mehr eine akademische Frage sein, aber
dennoch kann die ATD wenigstens die Kontaktaufnahme zwischen
geheimdienstlichen Folterern und den Datennutzern bei der Polizei
entscheidend erleichtern.

Dabei dürfte der entscheidendste Bürgerrechtsabbau nicht direkt aus den
Speicherungen und Abrufen selbst entstehen. Das noch größere Drama ist
ein "Unterfilzen" des Trennungsgebots, wie der Regierungsbericht
<<BtDS(17/11130)>> treuherzig erläutert (S. 48):

{{{#!blockquote
In den Fokusgruppen wurde sowohl von Polizeien als auch
Nachrichtendiensten bestätigt, dass es zu länder- und
behördenübergreifender Bildung von beruflichen Netzwerken aufgrund
persönlicher Kontakte kam.
}}}

== Datenschutz und Kontrolle ==
In diesem Zusammenhang besonders dramatisch ist, dass das Gesetz nicht vorschreibt, rechtswidrig (etwa durch Folter) gewonnene Erkenntnisse der Geheimdienste seien nicht speicherungsfähig. Es mag nach den Skandalen, die das [[BKA]] in Nahost verursacht hat (z.B. WikiPedia:Khalid_El-Masri), mehr eine akademische Frage sein, aber offensichtlich kann die ATD auch als Informationssäuberungsmaschine dienen.

== Der LfD BaWü zur ATD ==

TODO: An den entsprechenden Stellen einarbeiten
Zeile 496: Zeile 231:
Zeitdruck" vor allem von der Polizei sehr großzügig eingespeichert worden.

=== Auskunftsrecht ===

Das Auskunftrecht richtet sich nach [[http://www.gesetze-im-internet.de/atdg/__10.html|§ 10 ATDG]] Absatz 2:

{{{#!blockquote
(2) Über die nicht verdeckt gespeicherten Daten erteilt das Bundeskriminalamt die Auskunft nach § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes im Einvernehmen mit der Behörde, die die datenschutzrechtliche Verantwortung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 trägt und die Zulässigkeit der Auskunftserteilung nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften prüft. Die Auskunft zu verdeckt gespeicherten Daten richtet sich nach den für die Behörde, die die Daten eingegeben hat, geltenden Rechtsvorschriften.
}}}

D.h. um Auskunft über eventuelle [[#Verdeckte Speicherungen|Verdeckte Speicherungen]] herauszubekommen, müssen alle 40 Behörden angeschrieben werden. Grundsätzlich dürfte es angesichts der Generaleinstufung der
Daten als Verschlusssache mit bis zu VS-geheim schwierig werden,
irgendwas aus den Behörden rauszubekommen.

Dazu führt der
[[https://www.datenschutzzentrum.de/material/tb/tb30/kap04_2.htm|30. Tätigkeitsbericht des ULD SH]] aus:

{{{#!blockquote
Für die Antiterrordatei ist in der Praxis ein mangelhaftes
Auskunftsverfahren zu den verdeckt gespeicherten Daten geplant.
[...] Schon die Regelung des Antiterrordateigesetzes ist
insofern eine Zumutung: „Die Auskunft zu verdeckt gespeicherten Daten
richtet sich nach den für die Behörde, die die Daten eingegeben hat,
geltenden Rechtsvorschriften“. Die Betroffenen sollen einen Hinweis auf
diese Regelung und eine Adressenliste der beteiligten Stellen erhalten,
um dort jeweils die Auskunft einzeln zu beantragen. Die Bürgerinnen und
Bürger haben unter Umständen keine leise Ahnung, welche der zur Zeit
mehr als 40 beteiligten Stellen Daten über sie gespeichert haben. Sie
sind so gezwungen, mehr als 40 Anträge zu stellen. Im Zweifel sind
ebenso viele Widerspruchs- und Klageverfahren „ins Blaue hinein“ nötig,
ohne die Erfolgsaussichten ansatzweise vorher abschätzen zu können.
Dieses Auskunftsverfahren ist weder mit den Grundrechten noch mit der
Rechtsweggarantie des Grundgesetzes zu vereinbaren.
}}}

== Folgen ==

Zum Nutzen der ATD weiß der Fünfjahresbericht der Regierung <<BtDS(17/11130)>>
im Wesentlichen nichts zu sagen:

{{{#!blockquote
Die Erfolge der personenbezogenen Maßnahmen werden erst in der
Gesamtschau aller Maßnahmen deutlich. Konkrete Beispiele für
ausschließlich aus der Arbeit mit der ATD resultierende Gefahrenabwehr-
oder Exekutivmaßnahmen sind daher als Ergebnis dieser Evaluation nicht
benennbar.
}}}

(<<BtDS(17/11130)>>, S. 49) Anders gesagt: Wir haben Bürgerrechte
abgebaut und haben keinen Hinweis, dass wir dadurch Terrroristen fangen
oder gar Verbrechen verhindern konnten

Dafür gab es offenbar einige Nebenwirkungen zusätzlich zur vermutlich
erwünschten Unterfilzung des [[#Trennungsgebot]]s. So berichtet
die Regierung aaO (S. 24):

{{{#!blockquote
[Anlass eines Auskunftsersuchens war] die Festnahme des Petenten in
Afghanistan, nachdem die dortige Anschrift seines Vaters an eine
deutsche Behörde mitgeteilt worden war. In diesem Vorgang besteht eine
Speicherung im offenen Bestand eines LKA sowie eines LfV. Die Person
wurde als Gefährder gespeichert. Die Antworten der datenspeichernden
Behörden, ob eine Auskunftserteilung erfolgen darf, standen zum
Zeitpunkt der Informationserhebung für die Evaluierung allerdings noch
aus.
}}}

Der Bericht, wie jemand nicht an einer Besichtigung des Hamburger Hafens
teilnehmen durfte und dann verzweifelt versuchte, herauszufinden, warum.
Im "Anti-Terror"-Staat konnte er immerhin rauskriegen: In dem Fall nicht
an der ATD. Oder jedenfalls nicht an deren nicht verdeckten Teil.


== Links ==

 * [[http://heidelberg.rotehilfe.de/rhhd/tmp/atd.pdf|Ein in der RHZ erschienener Artikel der RH-Datenschutzgruppe]]
 * [[http://rabe.supersized.org/archives/808-Der-Beschluss-zur-Anti-Terror-Datenbank.html|Der Beschluss zur Antiterrordatei]]
 * [[http://www.humanistische-union.de/terror/|Eine Bewertung der Humanistischen Union zum "Anti-Terror-Kampf" insgesamt]]
 * [[http://www.datenschutzzentrum.de/polizei/stellungnahme-antiterrordatei.htm| Stellungnahme des ULD zur Antiterrordatei]]
Zeitdruck" vor allem von der Polizei sehr großzügig eingespeichert worden. Und klar, es ergaben sich auch Fälle wie dieser:

{{{#!blockquote
Bei einem als "Hauptperson" eingespeicherten Betroffenen war beispielsweise einem in den Akten befindlichen Strafurteil zu entnehmen, dass er selbst nach Meinung des polizeilichen Sachbearbeiters "keineswegs in irgendwelchen islamistischen Hintergrund verstrickt" war; das Gericht schloss sich dieser Auffassung an.
}}}

Weiter berichtet der LfDI BaWü von gespeicherten Kontaktpersonen, die nur gespeichert wurde, weil sie mit einer zur polzeilichen Beobachtung ausgeschriebenen Person irgendwann angetroffen wurde.

Demgegenüber war der LfD BaWü mit der Speicherfreude des [[LfV]] zufrieden, was angesichts der Skepsis der Dienste gegenüber der ATD nicht überraschen dürfte.

[[http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/100/1610007.pdf|In einer Antwort]] (BTD 16/10007) auf eine kleine Anfrage von Grünen gibt die Regierung an, die ATD habe am 28.5.2008 17745 personenbezogene Datensätze enthalten, von denen aber verschiedene auf ein und dieselbe Person bezogen sein können. Weitere Auskünfte lehnt die Regierung ab.


<<Doclink(2007-LfDBaWue-Bericht28.pdf,28. TB LfD BaWü)>>, 2.1.1.2: Insgesamt gab es 2007 wohl noch überschaubar viele Speicherungen, da der [[LfDI]] [[BaWü]] noch 10% der von seinem [[LKA]] und [[LfV]] eingespeicherten Datensätze untersuchen konnte. Erwartungsgemäß waren Hauptpersonen fantasiert (inkl. Fälle, bei denen auch für die Polizei ein "islamistischer Hintergrund nicht erkennbar" war sowie Opfer von schon vor Jahren eingestellten [[129a Verfahren]]). Kontaktpersonen waren erwartungsgemäß aus Antreffensmeldungen, wie sie etwa bei der Ausschreibung zur verdeckten Beobachtung entstehen, generiert. Der [[LfDI]] war mit mit den Speicherungen des [[LfV]] zufriedener als mit denen des [[LKA]].

== BfDI zur ATD ==

Der [[BfDI]] kritisiert in seinem <<Doclink(2011-BfDI-TB23.pdf,23. Tätigkeitsbericht (2011))>> (7.1.2, S. 83), dass die Bewertung, wann eine
Kontaktperson als „dolos“ im Sinne des ATDG einzustufen sei, vom [[BfV]] sehr
locker gesehen werde. „Dolos“ markiert dabei Personen, bei denen die Behörden
"tatsächliche Anhaltspunkte" für die Kenntnis von der Planung
oder Begehung einer terroristischen Straftat sehen. Das [[BfV]] meint,
dass nachrichtendienstliches Erfahrungswissen ausreichen würde, um jemand als
dolos einzustufen zu können. Dieses kritisiert der BfDI, da wegen der damit
verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffe, konkrete Tatsachen für die
Einstufung als dolos erforderlich seien müssten.

Ein schöner Verriss insbesondere der Novellierung des ATDG liefert die BfDI
im <<Doclink(2015-BfDI-tb25.pdf, 25. TB (2014))>>, Abschnitt 5.2. Ein paar Highlights daraus:

{{{#!blockquote
Meines Erachtens entspricht der Gesetzentwurf nicht den Vorgaben, die das Gericht in Bezug auf die Änderungen des ATDG erlassen hat. [...]

Kritisch zu bewerten ist insbesondere der erfasste Personenkreis. Obgleich das
Bundesverfassungsgericht die in § 2 Satz 1 Nummer 3 ATDG normierte Definition
der Kontaktpersonen als verfassungswidrig bewertet hat, taucht diese in dem
beschlossenen Gesetzentwurf - wenn auch an anderer Stelle - unverändert wieder
auf.

Erstaunlich und zu kritisieren ist zudem, dass die Bundesregierung unter
Hinweis auf ihren Bericht zur Evaluierung des ATDG vom 7. März 2013
(Bundestagsdrucksache 17/12665) eine gänzlich neue, gravierende
Befugniserweiterung (betreffend Analysen und Recherchen) vorgenommen hat [...]
Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung jedoch auf
diese beschränkte Hinweisfunktion gestützt. Ohne diese Funktionsbeschränkung
hätte das Gericht nicht nur Teile des ATDG, sondern u. U. das gesamte Gesetz
als verfassungswidrig bewertet. [...]
Wünsche von Dateinutzern begründen keine verfassungsrechtliche Erforderlichkeit.[...]

Kritisch sehe ich auch den Evaluierungsbericht der Bundesregierung. Denn zu
einer wirksamen Evaluierung gehört auch die Prüfung und Beurteilung der Folgen
bzw. Auswirkungen der Gesetzesregelungen auf die Grundrechte, insbesondere der
unmittelbar betroffenen Bürgerinnen und Bürger.
}}}

Für Verhältnisse der BfDI ist dies ein (allerdings auch verdienter)
Totalverriss.

= Geschichte der Anti-Terrordatei =
Die Verfechter eines autoritären Staates hatten, als sie 2001 Morgenluft witterten, wohl nicht damit gerechnet, wie schwer sie sich untereinander würden einigen können. Bereits der vorparlamentarische Prozess war außerordentlich kompliziert, da auch innerhalb der neoliberalen Law-And-Order-Fraktion erheblich Interessensgegensätze bestehen und etwa in der Frage der Einspeisung von Geheimdienstdaten plötzlich Bürgerrechtler``Innen und Geheimdienste gemeinsame Interessen hatten (denn die Dienste fürchteten um ihre Top-Secret-Daten, die eben nicht jedem Straßenpolizisten zugänglich sein sollten).

Das ATD kam schließlich nach vielen
Interventionen von Innenministern (und auch des Bundesrats, z.B. ist
[[http://www.bundesrat.de/cln_051/SharedDocs/Drucksachen/2006/0601-700/672-1-06,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/672-1-06.pdf|Bundesrats-Drucksache 672/1/06]] recht aufschlussreich) zustande.
Die verabschiedete Fassung, samt regierungsoffizieller Begründung, findet sich in <<BtDS(16/2950)>>.

Die Datei wurde am 30.3.2007 freigeschaltet. Angesichts des
offensichtlichen Verfassungsbruchs wurde gleich Verfassungsbeschwerde
eingelegt. Am 24.4.2013 entschied der Kirchhof-Senat des BVerfG
([[https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/04/rs20130424_1bvr121507.html|- 1 BvR 1215/07 -]],
dass das Gesetz in Einzelheiten haarsträubend ist, doch „in ihren
Grundstrukturen mit der Verfassung vereinbar” ist, die nämlich die
Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei, wenn auch „nur
ausnahmsweise” zulässt.

Immerhin war des Gericht mit den komplett willküroffenen Regelungen zu
Unterstützer_innen und Kontaktpersonen und etlichen anderen Punkten so
unglücklich (Zusammenfassung z.B. bei
[[http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-urteil-1-bvr-1215-07-antiterrordatei-nachrichtendienst-polizei-trennungsprinzip/|Legal Tribune Online]]);
dass sie dem Gesetzgeber aufgab, das Gesetz bis 2015 notdürftig
Verfassungskonform zu machen.

Dem kam die Regierung tatsächlich nach und beschloss am 8.4.2014
zunächst im Kabinett das ATDG-Änderungsgesetz (im Parlament dann
<<BtDS(18/1565)>>), das einige, im Effekt minimale, Beschränkungen der
Datei vornimmt. Ob damit auch nur die minimalen Forderungen des BVerfG
erfüllt sind, ist jedenfalls umstritten. Dafür gibt es neu einen §6a
„Erweiterte Datennutzung”, der die Einrichtung von Projektdateien auf
Zuruf mit noch weiteren Speicher- und Analysemöglichkeiten legalisiert.

Entsprechend urteilt ein
[[http://www.humanistische-union.de/publikationen/vorgaenge/aktuell/|Vorgänge]]-Artikel
von 2015
(Michael Plöse: Warum die ATDG-Novelle..., [[http://www.humanistische-union.de/nc/publikationen/vorgaenge/online_artikel/online_artikel_detail/back/vorgaenge-206207/article/was-karlsruhe-nicht-verbietet-macht-berlin-nur-dreister/|Teil 2]],
[[http://www.humanistische-union.de/nc/publikationen/vorgaenge/online_artikel/online_artikel_detail/back/vorgaenge-208/article/warum-die-atdg-novelle-mit-der-sicherheitsverfassung-des-grundgesetzes-unvereinbar-ist/|Teil 2]]):

{{{#!blockquote
[Der Regierungsentwurf zum ATDG-ÄG kann] kaum mehr nur als eine Enttäuschung bezeichnet werden – er ist vielmehr eine dreiste Provokation des Karlsruher Verfassungskompromisses
}}}

Das hinderte das Parlament natürlich nicht daran, den Kram mit
allenfalls kosmetischen Korrekturen durchzuwinken. Wie viel da im Argen
liegt, zeigte sich etwa in der 3. Lesung im Bundestag
([[http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/18/18060.pdf|PlPr 18/60]],
PDF-Seite 106), als sich der IM-Staatssekretär Günter Krings nicht
entblödete, die Neufassung mit der Gewährung weiterer Befugnisse für die
Obrigkeit zu begründen:

{{{#!blockquote
Eine weitaus frühere Entdeckung des rechtsextremistischen Terrortrios NSU wäre möglich gewesen,
wenn es eine Datei mit einer Suchfunktion nach aktuellen technischen Standards gegeben hätte. Deshalb haben
wir die Analysefähigkeit der Dateien erweitert.
}}}

– und Krings meint hier wohl nicht die Hoffnung, der Polizei hätten die
geheimdienstlichen Aktivitäten rund um den NSU in so einer Datei
auffällen können...

Zur offensichtlichen Feststellung von Ulla Jelpke:

{{{#!blockquote
Nicht einmal die offensichtlichsten Verfas-
sungsverstöße werden kaschiert. Die Linke lehnt diesen
Gesetzentwurf ab, weil er zur Bekämpfung des Terrors
nichts beiträgt, aber den Grundrechten weitere Ketten
anlegt.
}}}

notiert das Plenarprotokoll nur: „Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
Irene Mihalic”.

Das Änderungsgesetz trat pünktlich zum 1.1.2015 in Kraft.

Die BfDI kommentiert dies mit einem heftigen Verriss in ihrem
<<Doclink(2015-BfDI-tb25.pdf,25. TB (2015))>>, Abschnitt 5.2: „ein (erneuter?)
Fall für das Bundesverfassungsgericht”.

= Links =

Die ATD ist eine gemeinsame Datei der deutschen Polizeien des Bundes und der Länder, den Geheimdienste. Sie ist eine Nachweisdatei, d.h. sie enthält Verweise auf die Datenbestände der beteiligten Behörden. Sie ist angesiedelt beim BKA.

Analog zur ATD betreibt das BKA die RED mit weitgehend identischer Funktionalität. Sie soll aber gegen den Bereich „Rechtsextremismus” (womit die Regierung wohl Nazi-Umtriebe meint) gerichtet sein.

Eine (inzwischen etwas angestaubte, aber im Wesentlichen noch zutreffende) Einführung in die ATD erschien in der RHZ 1/2007.

Rechtsgrundlage

Anti-Terror-Datei Gesetz; es wurde vom BVerfG in Teilen als verfassungswidrig befunden (- 1 BvR 1215/07 -) und – frecherweise – daraufhin 2014 weiter verschärft. Dieser Artikel ist noch nicht überall auf dem Stand der Verschärfung.

Das ATDG wurde als Teil des Gemeinsame Dateien-Gesetzes GDG beschlossen, das weitere ähnliche Dateien ohne weitere parlamentarische Beratung erlaubt. Für die analog zur ATD gestrickte Rechtsextremismusdatei RED gab es allerdings trotzdem nochmal ein Extragesetz.

Organisatorisches

Konzeptionell ist die ATD eine Sammlung einschlägiger (also auf Terrorismus zur Ausländer_innen bezogener) Daten aus den Einzelbehörden Die eingespeicherten Daten bleiben quasi im Besitz der speichernden Behörde -- nur sie kann sie z.B. löschen oder berichtigen. Das lässt ein amüsantes Behördenhopping erwarten, wenn man erstmal in der ATD gelandet ist.

Zugriffsberechtigte

Daten eingeben und abrufen dürfen das BKA, die Bundespolizei, die LKAs, das BfV und die LfVs der Ländern, der MAD, der BND und das Zollkriminalamt. Der §1, Abs. 2 ATDG sieht vor, dass auch andere Polizeibehörden Zugriff bekommen können. Dieses bezieht sich das vor allem auf die Staatsschutz-Leute, für die die Innenminister der Länder ein Wort eingelegt hatten.

Laut Bundestags-Drucksache 16/2877 (2006) haben weder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (mithin dürften auch keine Datensätze aus dem AZR direkt in die ATD kommen) noch das Bundesamt für Katastrophenschutz Zugriff auf die Datenbank. Ebenfalls gibt es keine Kopplung mit Internationalen Datenbanken (wie etwa SIS oder Europol).

Sehr wohl allerdings wird die ATD im Visumverfahren verwendet, wenn das Bundesverwaltungsamt (als Träger der Visa-Warndatei) annimmt, dass bei Einlader_innen oder Eingeladenen etwas zu finden sein könnte (§72a AufenthaltG).

§ 5 ATDG regelt die Zugriffsrechte der teilnehmenden Behörden. Danach sind die erweiterten Grunddaten grundsätzlich nur mit Einverständnis der speichernden Behörde einzusehen, aber es gibt einen Ausnahmeparagraphen, so dass davon in Eilfällen abgesehen werden kann. Laut der ATD-Evaluation machen die Behörden nicht viel Gebrauch von der Eilfall-Regelung. Dies hängt vermutlich insbesondere mit den „Zentren” (GETZ, GTAZ) zusammen, in deren Rahmen die Mitarbeiter_innen lieber gleich zu den KollegInnen gehen.

Verdeckte Speicherung

Die beteiligten Behörden haben nach § 4 ATDG das Recht Personen oder Angaben zu Organisationen verdeckt zu speichern. D.h. die abfragenden Behörden merken nicht wenn sie einen Treffer haben, es wird allerdings die einsspeisende Behörde benachrichtigt und diese kann dann Kontakt zur abfragenden Behörde aufnehme.

Kosten der ATD

Kosten laut Bundestagsbeschluss: Rund 15 Millionen Euro einmalig, rund 6 Millionen Euro pro Jahr. Der Heise-Newsticker berichtet, das BKA habe 72 "Datenbankspezialisten" für die ATD eingestellt. Genaueres zu den angefallenen Kosten steht in einem Ct-Artikel.

Inhalt

Gespeichert werden nach § 2 ATDG solche Personen, gegen die ein §129a oder §129b eingeleitet worden ist oder die Kontaktperson von Terrorverdächtigen sind. Zudem werden Daten gesammelt von Personen, die "rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religöser Belange anwenden oder [...] unterstützen" oder in Verbindung mit ihnen stehen (!). Schließlich sollen auch Vereinigungen, Firmen, Internetseiten, Mailadressen usf. gespeichert werden, die in diesem Gebiet nützlich sein können.

Struktur der Datensätze

Zu einer Person soll nach § 3 ATDG folgendes gespeichert werden:

Grundaten

  • Namen (incl. Aliasnamen )
  • Geschlecht
  • Geburtsdatum
  • Herkunftsland
  • Staatsangehörigkeiten (auch ehemalige)
  • Anschriften (auch ehemalige)
  • besondere Kennzeichen
  • Sprachen
  • Dialekte
  • Lichtbilder
  • eine Bezeichnung der Fallgruppe
  • Passnummern o.ä.

Erweiterte Grunddaten

  • Telefonnummern, Mailadressen u.ä
  • Bankkontakte
  • genutzte Fahrzeuge
  • Familienstand
  • "Volkszugehörigkeit" (!)

  • Religionszugehörigkeit (amüsanterweise ausgerechnet hier eingeschränkt auf "wo nötig")
  • "besondere Fertigkeiten" (z.B. chemische Kenntnisse usf.)
  • Schulabschluss
  • Angaben zu (auch weit zurückliegenden) Tätigkeiten, die eine Sicherheitsüberprüfung voraussetzen
  • "Angaben zur Gefährlichkeit"
  • Führerschein, Flugschein
  • besuchte Orte (!)

  • Kontaktpersonen
  • konkrete Angaben zu Organisation(en), der/denen die Person angehören soll
  • Datum der letzten Zuspeicherung
  • Freitext (!)

  • Bei Organisationen "Angaben zur Identifizierung"; dabei scheint alles erlaubt zu sein, hier dürfte es also weitere Freitextfelder geben.
  • Natürlich werden bei den Daten die Herkunft sowie Aktenzeichen weiterführender Informationen vermerkt.

Nach dieser Auflistung ist klar, dass es sich hier nicht um eine reine Indexdatei handelt. Tatsächlich geht dieser Datenbestand weit über das hinaus, was übliche Ermittlungsdatenbanken enthalten (dürfen). Besonders bedenklich erscheinen natürlich die Freitextfelder, mit denen erfahrungsgemäß beliebiger Schindluder getrieben wird. Zurück in die große Zeit deutscher Geheimpolizeien verweist natürlich auch das Feld zur "Volkszugehörigkeit".

Drastisch sind die Verfügungen zu Kontakt- und Verbindungspersonen; daran haben auch die geringen Anpassungen aus der Novellierung 2014 nichts geändert. Es ist völlig unklar, wer dabei alles erfasst werden kann. Ganz offenbar hat die Regierung hier dem Konglomerat von politischer Polizei und Diensten einen Freibrief gegeben, Daten z.B. von Asylberatungsstellen und ihren MitarbeiterInnen zu speichern. Immerhin wurde gegenüber der ersten Entwurf des Gesetzes präzisiert, dass ein flüchtiger oder zufälliger Kontakt reiche nicht zur Speicherung ausreiche.

Das BVerfG hat (- 1 BvR 1215/07 -) „Inverssuchen” zur „Verdachtsgewinnung” beanstandet – dabei konnten (und können im Wesentlichen auch nach neuem Recht) die Behörden in den erweiterten Grunddaten ohne Personenbezug recherchieren und Personendaten bekommen. Das BVerfG hat gefordert, dass bei solchen Suchen nur Verweise auf Fundstellen, nicht aber auf Personen herauskommen dürfen.

Die frechste Reaktion des Gesetzgebers auf die Einwände des BVerfG war allerdings die Einführung von §6a zu Projektdateien. Dazu kann eine Behörde für eine „gegenständlich abgrenzbare und auf bestimmte Zeiträume bezogene Aufgabe” die ohnehin geringen Nutzungsbeschränkungen der ATD ignorieren, um das volle Programm zu fahren, etwa die Bildung von „Zusammenhängen zwischen Personen, Personengruppierungen, Institutionen, Objekten und Sachen, der Ausschluss von unbedeutenden Informationen und Erkenntnissen, die Zuordnung eingehender Informationen zu bekannten Sachverhalten sowie die statistische Auswertung der gespeicherten Daten” (Abs. 5). Dazu dürfen auch „räumliche und sonstige Beziehungen” eingesetzt werden. Projektdateien werden vom Ministerium eingerichtet und können dann erstmal vier Jahre betrieben werden, wobei in aller Regel abgehörte Daten eine Rolle spielen dürften und darum auch die G10-Kommission abnicken muss.

Die ATD-Projektdateien realisieren alles, wovor Bürgerrechtler_innen im Hinblick auf behördliche Computernutzung schon immer gewarnt haben, von beliebiger Verknüpfung bis zur Bildung von Bewegungsprofilen. Wieder kann mensch nur hoffen, dass die Leute, die das dann implementieren und nutzen, unfähig sind.

Der LfD BaWü berichtet in seinem 28. Tätigkeitsbericht (2007), dass das BKA hauptsächlich Daten aus der INPOL-Teildatenbank Innere Sicherheit in die ATD eingespeist hätte.

Im 23. Tätigkeitsbericht des BfDI (2011) (7.1.2, S. 83) wird auf eine weitere Schwierigkeit der Zusammenführung verschiedener Datenbestände hingewiesen, nämlich die Abbildung von Nutzungssperren:

Entgegen den im ATDG normierten gesetzlichen Voraussetzungen hat das BfV sämtliche Daten, die durch heimliche Telekommunikationsüberwachungen erhoben worden sind und daher besonders gekennzeichnet werden müssen, ungekennzeichnet in der ATD gespeichert. Folge: Die an deren ATD-Behörden haben diese Daten ungekennzeichnet weiter verwendet. Ohne die Kennzeichnung ist für Niemanden mehr erkennbar, dass es sich um gesetzlich besonders geschützte Daten handelt, die nur unter besonderen Voraussetzungen verarbeitet werden dürfen. Das System des BfV, das die Daten aus den Quelldateien in die ATD überträgt, sah keine derartige Kennzeichnung vor. Hiervon war eine Vielzahl von Daten betroffen.

Zahlen

BKA-Chef Zierke sprach bei der Eröffnung im März 2007 von 13000 Personen und 15000 Datensätzen in der ATD, zu 75% bezogen auf im Ausland lebende Personen oder sich befindliche Dinge. Zu diesem Zeitpunkt waren offenbar keine "erweiterten Grunddaten" gespeichert.

Bundestags-Drucksache 17/8260 gibt folgende Zahlen zu Personendatensätzen in der ATD:

1.12.2009

18714

1.12.2010

18413

4.1.2012

17892

Datenschutz

Auskunftsrecht

Das Auskunftrecht richtet sich nach § 10 ATDG Absatz 2:

(2) Über die nicht verdeckt gespeicherten Daten erteilt das Bundeskriminalamt die Auskunft nach § 19 des Bundesdatenschutzgesetzes im Einvernehmen mit der Behörde, die die datenschutzrechtliche Verantwortung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 trägt und die Zulässigkeit der Auskunftserteilung nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften prüft. Die Auskunft zu verdeckt gespeicherten Daten richtet sich nach den für die Behörde, die die Daten eingegeben hat, geltenden Rechtsvorschriften.

D.h. um Auskunft über eventuelle Verdeckte Speicherungen herauszubekommen, müssen alle 40 Behörden angeschrieben werden. Grundsätzlich dürfte es angesichts der Generaleinstufung der Daten als Verschlusssache mit mindestens VS-geheim schwierig werden, irgendwas aus den Behörden rauszubekommen.

Im 30. Tätitigkeitsbericht des ULD SH wird zum Auskunftsrecht ausgeführt:

Für die Antiterrordatei ist in der Praxis ein mangelhaftes Auskunftsverfahren zu den verdeckt gespeicherten Daten geplant. Die aktuelle Rechtsprechung der höchsten deutschen Gerichte stellt immer wieder heraus, dass der Auskunftsanspruch für die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen von grundlegender Bedeutung ist. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss grundsätzlich in Erfahrung bringen können, bei welcher Stelle welche Daten über sie beziehungsweise ihn gespeichert sind. Schon die Regelung des Antiterrordateigesetzes ist insofern eine Zumutung: „Die Auskunft zu verdeckt gespeicherten Daten richtet sich nach den für die Behörde, die die Daten eingegeben hat, geltenden Rechtsvorschriften“. Die Betroffenen sollen einen Hinweis auf diese Regelung und eine Adressenliste der beteiligten Stellen erhalten, um dort jeweils die Auskunft einzeln zu beantragen. Die Bürgerinnen und Bürger haben unter Umständen keine leise Ahnung, welche der zur Zeit mehr als 40 beteiligten Stellen Daten über sie gespeichert haben. Sie sind so gezwungen, mehr als 40 Anträge zu stellen. Im Zweifel sind ebenso viele Widerspruchs- und Klageverfahren „ins Blaue hinein“ nötig, ohne die Erfolgsaussichten ansatzweise vorher abschätzen zu können. Dieses Auskunftsverfahren ist weder mit den Grundrechten noch mit der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes zu vereinbaren.

Protokollierung

Bei der ATD soll jeder Zugriff protokolliert werden, und zwar mit Angabe zum Grund der Anfrage. Die protokollierten Abfragen sollen vom BfDI kontrolliert werden.

Speicherfristen

Für die ATD selbst sind keine Speicherfristen vorgesehen. Die Daten sollen gelöscht werden, wenn die Speicherfrist bei den einspeisenden Behörden abgelaufen ist. Angesichts vieler Erfahrungen ist nicht damit zu rechnen, dass das funktionieren wird (d.h. die Antiterrordatei hat das Zeug, zu einem gewaltigen Datenfriedhof für allerlei Daten von LKAs zu werden -- bei INPOL etwa gibt es ja noch eigene Speicherfristen, so dass Gammeldaten dort früher oder später auffallen).

Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten

Das Besondere an der ATD ist die Nonchalance, mit der die Regierung zugibt, hier das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten aufzuheben. So heißt es im neuen §22a Verfassungsschutzgesetz:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, den Polizeibehörden des Bundes und der Länder und dem Zollkriminalamt eine gemeinsame Datei errichten.

In diesem Zusammenhang besonders dramatisch ist, dass das Gesetz nicht vorschreibt, rechtswidrig (etwa durch Folter) gewonnene Erkenntnisse der Geheimdienste seien nicht speicherungsfähig. Es mag nach den Skandalen, die das BKA in Nahost verursacht hat (z.B. Khalid_El-Masri), mehr eine akademische Frage sein, aber offensichtlich kann die ATD auch als Informationssäuberungsmaschine dienen.

Der LfD BaWü zur ATD

TODO: An den entsprechenden Stellen einarbeiten

Im 28. TB des LfD BaWÜ (2007) wird zu Schwierigkeiten bei der Kontrolle ausgeführt:

das Landeskriminalamt wies uns in seiner Stellungnahme zu unserem Kontrollbericht darauf hin, dass die in der Antiterrordatei gespeicherten Daten "in ihrer Gesamtheit" als geheim zu haltend Verschlusssache (VS-geheim) eingestuft seien; dies beziehe sich nach bundesweiter Absprache auch auf statistische Daten wie die Anzahl eingespeicherter Personendaten oder auch auf die Aufschlüsselung von gespeicherten Personen nach den im Antiterrordateigesetz (§ 2) genannten Fallgruppen.

Der LfD durfte aber immerhin sagen, er habe keine skandalösen Zustände in den Stuttgarter ATD-Liaisonen vorgefunden, es sei aber "unter Zeitdruck" vor allem von der Polizei sehr großzügig eingespeichert worden. Und klar, es ergaben sich auch Fälle wie dieser:

Bei einem als "Hauptperson" eingespeicherten Betroffenen war beispielsweise einem in den Akten befindlichen Strafurteil zu entnehmen, dass er selbst nach Meinung des polizeilichen Sachbearbeiters "keineswegs in irgendwelchen islamistischen Hintergrund verstrickt" war; das Gericht schloss sich dieser Auffassung an.

Weiter berichtet der LfDI BaWü von gespeicherten Kontaktpersonen, die nur gespeichert wurde, weil sie mit einer zur polzeilichen Beobachtung ausgeschriebenen Person irgendwann angetroffen wurde.

Demgegenüber war der LfD BaWü mit der Speicherfreude des LfV zufrieden, was angesichts der Skepsis der Dienste gegenüber der ATD nicht überraschen dürfte.

In einer Antwort (BTD 16/10007) auf eine kleine Anfrage von Grünen gibt die Regierung an, die ATD habe am 28.5.2008 17745 personenbezogene Datensätze enthalten, von denen aber verschiedene auf ein und dieselbe Person bezogen sein können. Weitere Auskünfte lehnt die Regierung ab.

28. TB LfD BaWü, 2.1.1.2: Insgesamt gab es 2007 wohl noch überschaubar viele Speicherungen, da der LfDI BaWü noch 10% der von seinem LKA und LfV eingespeicherten Datensätze untersuchen konnte. Erwartungsgemäß waren Hauptpersonen fantasiert (inkl. Fälle, bei denen auch für die Polizei ein "islamistischer Hintergrund nicht erkennbar" war sowie Opfer von schon vor Jahren eingestellten 129a Verfahren). Kontaktpersonen waren erwartungsgemäß aus Antreffensmeldungen, wie sie etwa bei der Ausschreibung zur verdeckten Beobachtung entstehen, generiert. Der LfDI war mit mit den Speicherungen des LfV zufriedener als mit denen des LKA.

BfDI zur ATD

Der BfDI kritisiert in seinem 23. Tätigkeitsbericht (2011) (7.1.2, S. 83), dass die Bewertung, wann eine Kontaktperson als „dolos“ im Sinne des ATDG einzustufen sei, vom BfV sehr locker gesehen werde. „Dolos“ markiert dabei Personen, bei denen die Behörden "tatsächliche Anhaltspunkte" für die Kenntnis von der Planung oder Begehung einer terroristischen Straftat sehen. Das BfV meint, dass nachrichtendienstliches Erfahrungswissen ausreichen würde, um jemand als dolos einzustufen zu können. Dieses kritisiert der BfDI, da wegen der damit verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffe, konkrete Tatsachen für die Einstufung als dolos erforderlich seien müssten.

Ein schöner Verriss insbesondere der Novellierung des ATDG liefert die BfDI im 25. TB (2014), Abschnitt 5.2. Ein paar Highlights daraus:

Meines Erachtens entspricht der Gesetzentwurf nicht den Vorgaben, die das Gericht in Bezug auf die Änderungen des ATDG erlassen hat. [...]

Kritisch zu bewerten ist insbesondere der erfasste Personenkreis. Obgleich das Bundesverfassungsgericht die in § 2 Satz 1 Nummer 3 ATDG normierte Definition der Kontaktpersonen als verfassungswidrig bewertet hat, taucht diese in dem beschlossenen Gesetzentwurf - wenn auch an anderer Stelle - unverändert wieder auf.

Erstaunlich und zu kritisieren ist zudem, dass die Bundesregierung unter Hinweis auf ihren Bericht zur Evaluierung des ATDG vom 7. März 2013 (Bundestagsdrucksache 17/12665) eine gänzlich neue, gravierende Befugniserweiterung (betreffend Analysen und Recherchen) vorgenommen hat [...] Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung jedoch auf diese beschränkte Hinweisfunktion gestützt. Ohne diese Funktionsbeschränkung hätte das Gericht nicht nur Teile des ATDG, sondern u. U. das gesamte Gesetz als verfassungswidrig bewertet. [...] Wünsche von Dateinutzern begründen keine verfassungsrechtliche Erforderlichkeit.[...]

Kritisch sehe ich auch den Evaluierungsbericht der Bundesregierung. Denn zu einer wirksamen Evaluierung gehört auch die Prüfung und Beurteilung der Folgen bzw. Auswirkungen der Gesetzesregelungen auf die Grundrechte, insbesondere der unmittelbar betroffenen Bürgerinnen und Bürger.

Für Verhältnisse der BfDI ist dies ein (allerdings auch verdienter) Totalverriss.

Geschichte der Anti-Terrordatei

Die Verfechter eines autoritären Staates hatten, als sie 2001 Morgenluft witterten, wohl nicht damit gerechnet, wie schwer sie sich untereinander würden einigen können. Bereits der vorparlamentarische Prozess war außerordentlich kompliziert, da auch innerhalb der neoliberalen Law-And-Order-Fraktion erheblich Interessensgegensätze bestehen und etwa in der Frage der Einspeisung von Geheimdienstdaten plötzlich BürgerrechtlerInnen und Geheimdienste gemeinsame Interessen hatten (denn die Dienste fürchteten um ihre Top-Secret-Daten, die eben nicht jedem Straßenpolizisten zugänglich sein sollten).

Das ATD kam schließlich nach vielen Interventionen von Innenministern (und auch des Bundesrats, z.B. ist Bundesrats-Drucksache 672/1/06 recht aufschlussreich) zustande. Die verabschiedete Fassung, samt regierungsoffizieller Begründung, findet sich in Bundestags-Drucksache 16/2950.

Die Datei wurde am 30.3.2007 freigeschaltet. Angesichts des offensichtlichen Verfassungsbruchs wurde gleich Verfassungsbeschwerde eingelegt. Am 24.4.2013 entschied der Kirchhof-Senat des BVerfG (- 1 BvR 1215/07 -, dass das Gesetz in Einzelheiten haarsträubend ist, doch „in ihren Grundstrukturen mit der Verfassung vereinbar” ist, die nämlich die Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei, wenn auch „nur ausnahmsweise” zulässt.

Immerhin war des Gericht mit den komplett willküroffenen Regelungen zu Unterstützer_innen und Kontaktpersonen und etlichen anderen Punkten so unglücklich (Zusammenfassung z.B. bei Legal Tribune Online); dass sie dem Gesetzgeber aufgab, das Gesetz bis 2015 notdürftig Verfassungskonform zu machen.

Dem kam die Regierung tatsächlich nach und beschloss am 8.4.2014 zunächst im Kabinett das ATDG-Änderungsgesetz (im Parlament dann Bundestags-Drucksache 18/1565), das einige, im Effekt minimale, Beschränkungen der Datei vornimmt. Ob damit auch nur die minimalen Forderungen des BVerfG erfüllt sind, ist jedenfalls umstritten. Dafür gibt es neu einen §6a „Erweiterte Datennutzung”, der die Einrichtung von Projektdateien auf Zuruf mit noch weiteren Speicher- und Analysemöglichkeiten legalisiert.

Entsprechend urteilt ein Vorgänge-Artikel von 2015 (Michael Plöse: Warum die ATDG-Novelle..., Teil 2, Teil 2):

[Der Regierungsentwurf zum ATDG-ÄG kann] kaum mehr nur als eine Enttäuschung bezeichnet werden – er ist vielmehr eine dreiste Provokation des Karlsruher Verfassungskompromisses

Das hinderte das Parlament natürlich nicht daran, den Kram mit allenfalls kosmetischen Korrekturen durchzuwinken. Wie viel da im Argen liegt, zeigte sich etwa in der 3. Lesung im Bundestag (PlPr 18/60, PDF-Seite 106), als sich der IM-Staatssekretär Günter Krings nicht entblödete, die Neufassung mit der Gewährung weiterer Befugnisse für die Obrigkeit zu begründen:

Eine weitaus frühere Entdeckung des rechtsextremistischen Terrortrios NSU wäre möglich gewesen, wenn es eine Datei mit einer Suchfunktion nach aktuellen technischen Standards gegeben hätte. Deshalb haben wir die Analysefähigkeit der Dateien erweitert.

– und Krings meint hier wohl nicht die Hoffnung, der Polizei hätten die geheimdienstlichen Aktivitäten rund um den NSU in so einer Datei auffällen können...

Zur offensichtlichen Feststellung von Ulla Jelpke:

Nicht einmal die offensichtlichsten Verfas- sungsverstöße werden kaschiert. Die Linke lehnt diesen Gesetzentwurf ab, weil er zur Bekämpfung des Terrors nichts beiträgt, aber den Grundrechten weitere Ketten anlegt.

notiert das Plenarprotokoll nur: „Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Irene Mihalic”.

Das Änderungsgesetz trat pünktlich zum 1.1.2015 in Kraft.

Die BfDI kommentiert dies mit einem heftigen Verriss in ihrem 25. TB (2015), Abschnitt 5.2: „ein (erneuter?) Fall für das Bundesverfassungsgericht”.

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