Revision 12 vom 2010-02-06 13:45:13

Nachricht löschen

"Anti-Terror-Datenbank"

Die ATD soll als gemeinsame Datei der deutschen Sicherheitsbehörden geführt werden und vor allem Verweise in die Datenbestände der beteiligten Behörden enthalten.

Die Verfechter eines autoritären Staates hatten, als sie 2001 Morgenluft witterten, wohl nicht damit gerechnet, wie schwer sie sich untereinander würden einigen können. Bereits der vorparlamentarische Prozess war außerordentlich kompliziert, da auch innerhalb der Law-And-Order-Fraktion erheblich Interessensgegensätze bestehen und etwa in der Frage der Einspeisung von Geheimdienstdaten plötzlich BürgerrechtlerInnen und Geheimdienste gemeinsame Interessen hatten (denn die Dienste fürchteten um ihre Top-Secret-Daten, die eben nicht jedem Straßenpolizisten zugänglich sein sollten).

Inzwischen ist das Gesetz zur Einrichtung der ATD ist Teil des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes (GDG), das zusätzlich etliche Änderungen an anderen Gesetzen vornimmt, um in Zukunft Dateien nach dem Vorbild der ATD ohne weitere öffentliche Beteiligung einrichten zu können. Es kam nach vielen Interventionen von Innenministern (und auch des Bundesrats, z.B. ist Drucksache 672/1/06 recht aufschlussreich) zustande. Die verabschiedete Fassung findet sich in Drucksache 16/2950. Das Gesetz wurde im Dezember 2006 verabschiedet, die Datei am 30.3.2007 mit Schäuble und Pomp "freigeschaltet".

Es läuft seit 2007 eine Klage gegen die ATD vor dem Bundesverfassungsgericht.

Erfahrungen

BKA-Chef Zierke sprach bei der Eröffnung im März 2007 von 13000 Personen und 15000 Datensätzen in der ATD, zu 75% bezogen auf im Ausland lebende Personen oder sich befindliche Dinge. Zu diesem Zeitpunkt waren offenbar keine "erweiterten Grunddaten" gespeichert.

Ansonsten entziehen die Behörden die ATD konsequent zivilgesellschaftlicher Kontrolle. Der LfD BaWü [http://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/lfd/tb/2007/tb-2.htm berichtet 2007],

  • "das Landeskriminalamt wies uns in seiner Stellungnahme zu unserem Kontrollbericht darauf hin, dass die in der Antiterrordatei gespeicherten Daten "in ihrer Gesamtheit" als geheim zu haltende Verschlusssache (VS-geheim) eingestuft seien; dies beziehe sich nach bundesweiter Absprache auch auf statistische Daten wie die Anzahl eingespeicherter Personendaten oder auch auf die Aufschlüsselung von gespeicherten Personen nach den im Antiterrordateigesetz (§ 2) genannten Fallgruppen."

Der LfD durfte aber immerhin sagen, er habe keine skandalösen Zustände in den Stuttgarter ATD-Liaisonen vorgefunden, es sei aber "unter Zeitdruck" vor allem von der Polizei sehr großzügig eingespeichert worden. Und klar, es ergaben sich auch Fälle wie dieser:

  • "Bei einem als "Hauptperson" eingespeicherten Betroffenen war beispielsweise einem in den Akten befindlichen Strafurteil zu entnehmen, dass er selbst nach Meinung des polizeilichen Sachbearbeiters "keineswegs in irgendwelchen islamistischen Hintergrund verstrickt" war; das Gericht schloss sich dieser Auffassung an."

Weiter berichtet der LfD von gespeicherten Kontaktpersonen, die im Zuge einer Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§25 PolG BaWü) einer "Hauptperson" irgendwann mit dieser angetroffen wurden.

Demgegenüber war der LfD BaWü mit der Speicherfreude des VS zufrieden, was angesichts der Skepsis der Dienste gegenüber der ATD nicht überraschen dürfte.

In einer Antwort (BTD 16/10007) auf eine kleine Anfrage von Grünen gibt die Regierung an, die ATD habe am 28.5.2008 17745 personenbezogene Datensätze enthalten, von denen aber verschiedene auf ein und dieselbe Person bezogen sein können. Weitere Auskünfte lehnt die Regierung ab.

28. TB LfD BaWü, 2.1.1.2: Insgesamt gab es 2007 wohl noch überschaubar viele Speicherungen, da der LfD Banoch 10% der von seinem LKA und VS eingespeicherten Datensätze untersuchen konnte. Erwartungsgemäß waren Hauptpersonen fantasiert (inkl. Fälle, bei denen auch für die Polizei ein "islamistischer Hintergrund nicht erkennbar" war sowie Opfer von schon vor Jahren eingestellten 129a-Verfahren). Kontaktpersonen waren erwartungsgemäß aus Antreffensmeldungen, wie sie etwa bei der Ausschreibung zur verdeckten Beobachtung entstehen, generiert. Der LfD war mit mit den Speicherungen des VS zufriedener als mit denen des LKA:

Formalia

Die Datei wird beim BKA geführt.

Daten anliefern und abrufen dürfen BKA, Bundespolizei, LKAs, Verfassungsschutze von Bund und Ländern, MAD, BND, Zollkriminalamt. Die Gummiregelung aus §1, Abs. 2 sieht vor, dass auch andere Polizeibehörden Zugriff bekommen können; vermutlich bezieht sich das vor allem auf die Staatsschutz-Leute, für die die Innenminister der Länder ein Wort eingelegt hatten. Die Vorhersage im letzten Satz wird bestätigt von 28. TB LfD BaWü, 2.1.1.1.

Laut Antwort auf eine Parlamentsanfrage werden weder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (mithin dürften auch keine Datensätze aus dem AZR direkt in die ATD kommen) noch das Bundesamt für Katastrophenschutz Daten liefern.

Selbstverständlich unterbleibt eine Kopplung mit Internationalen Datenbanken (etwa SIS oder Europol) -- alles andere wäre für deutsche Geheimdienste eine kleine Revolution gewesen.

Kosten laut Bundestagsbeschluss: Rund 15 Millionen Euro einmalig, rund 6 Millionen Euro pro Jahr. http://www.heise.de/newsticker/meldung/85247 berichtet, das BKA habe 72 "Datenbankspezialisten" für die ATD eingestellt.

Näheres zu den angefallenen (ok, verbuchten) Kosten ist in dieser Auskunft der Regierung von 2008 zu finden.

Inhalte

Gespeichert werden sollen Daten zu Personen, die in Sachen §129a oder §129b aufgefallen sind, wobei ein "internationaler Bezug" gefordert wird (der aber z.B. bei WTO- und G8-Sachen schnell zu konstruieren sein wird...); hier reicht "Unterstützung". Weiter sollen Daten gesammelt werden zu Personen, die "rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religöser Belange anwenden oder [...] unterstützen" oder in Verbindung mit ihnen stehen (!). Schließlich sollen auch Vereinigungen, Firmen, Internetseiten, Mailadressen usf. gespeichert werden, die in diesem Gebiet nützlich sein können.

So nett es ist, dass im Gesetz versucht wird, die Aushöhlung des Trennungsgebots so zu beschränken, dass BRD-interne Konflikte ("internationaler Bezug") unberührt bleiben, so wertlos ist diese Bestimmung in der Praxis -- natürlich haben z.B. Castorleute Verbindungen nach Frankreich. Man darf diese Regelung wohl so verstehen, dass die Meldung von Daten im Bereich des Linksaktivismus für die beteiligten Behörden nach Gutdünken erfolgen kann, während sie für "Moslems und ähnliche" nach §2 wohlweislich verpflichtet sind, ihre Daten abzuliefern.

Zu den einzelnen Entietäten sollen gespeichert werden:

  • Grunddaten:

    • Namen (incl. Aliasnamen -- was insofern kitzlig ist, als sowas ja Ermittlungsergebnisse und mithin normalerweise weiche Daten sind)
    • Geschlecht
    • Geburtsdatum
    • Herkunftsland
    • Staatsangehörigkeiten (auch ehemalige)
    • Anschriften (auch ehemalige)
    • besondere Kennzeichen
    • Sprachen
    • Dialekte
    • Lichtbilder
    • eine Bezeichnung der Fallgruppe
    • Passnummern o.ä.
  • erweiterte Grunddaten

    • Telefonnummern, Mailadressen u.ä
    • Bankkontakte
    • genutzte Fahrzeuge
    • Familienstand
    • "Volkszugehörigkeit" (!)

    • Religionszugehörigkeit (amusanterweise ausgerechnet hier eingeschränkt auf "wo nötig")
    • "besondere Fertigkeiten" (z.B. chemische Kenntnisse usf.)
    • Schulabschluss
    • Angaben zu (auch weit zurückliegenden) Tätigkeiten, die eine Sicherheitsüberprüfung voraussetzen
    • "Angaben zur Gefährlichkeit"
    • Führerschein, Flugschein
    • besuchte Orte (!)

    • Kontaktpersonen
    • konkrete Angaben zu Organisation(en), der/denen die Person angehören soll
    • Datum der letzten Zuspeicherung
    • Freitext (!)

  • Bei Organisationen "Angaben zur Identifizierung"; dabei scheint alles erlaubt zu sein, hier dürfte es also weitere Freitextfelder geben.
  • Natürlich werden bei den Daten die Herkunft sowie Aktenzeichen weiterführender Informationen vermerkt.

Nach dieser Auflistung ist klar, dass es sich hier nicht um eine Indexdatei handelt. Tatsächlich geht dieser Datenbestand weit über das hinaus, was übliche Ermittlungsdatenbanken enthalten (dürfen). Besonders bedenklich erscheinen natürlich die Freitextfelder, mit denen erfahrungsgemäß beliebiger Schindluder getrieben wird. Zurück in die große Zeit deutscher Geheimpolizeien verweist natürlich auch das Feld zur "Volkszugehörigkeit".

Drastisch sind die Verfügungen zu "Kontaktpersonen". Es ist völlig unklar, wer dabei alles erfasst wird. Ganz offenbar hat die Regierung hier dem Konglomerat von politischer Polizei und Diensten einen Freibrief gegeben, Daten zu z.B. Asylberatungsstellen und ihren MitarbeiterInnen beliebig zu halten. Immerhin: gegenüber einer Vorfassung ist im eigentlichen Gesetz immerhin verfügt, ein flüchtiger oder zufälliger Kontakt reiche nichtt zur Speicherung.

28. TB LfD BaWü, 2.1.1.1 schreibt, von BKA-Seite sei die Hauptquelle die IFIS gewesen.

Verdeckte Speicherung

Die beteiligten Behörden haben das Recht, erweiterte Grunddaten oder Angaben zu Organisationen verdeckt zu speichern, d.h. abfragende Behörden sehen die Daten nicht und merken noch nicht mal, dass es sie gibt. Bei einer Abfrage wird die speichernde Behörde benachrichtigt und soll nach Einzelfallabwägung Kontakt zur abfragenden Behörde aufnehmen.

Die erweiterten Grunddaten sind grundsätzlich in der Regel nur mit Einverständnis der speichernden Behörde einzusehen -- aber es gibt mal wieder den Gummiparagraphen, dass das in Eilfällen auch anders sein kann.

Organisatorisches

Die eingespeicherten Daten bleiben quasi im Besitz der speichernden Behörde -- nur sie kann sie z.B. löschen oder berichtigen. Das lässt ein amusantes Behördenhopping erwarten, wenn man erstmal in der ATD gelandet ist.

Während bei den üblichen Polizeidateien typischerweise nur jeder zehnte Zugriff geloggt wird (na ja, werden soll), soll bei der ATD jeder Zugriff protokolliert werden, und zwar mit Angabe zum Grund der Anfrage. Die Logs werden vom BfD eingesehen. Seine Berichte werden recht unterhaltsam werden.

Für die ATD sind keine Speicherfristen vorgesehen. Die Daten sollen gelöscht werden, wenn die Speicherfrist bei den einspeisenden Behörden abgelaufen ist. Angesichts vieler Erfahrungen ist nicht damit zu rechnen, dass das funktionieren wird (d.h. die Antiterrordatei hat das Zeug, zu einem gewaltigen Datenfriedhof für allerlei Daten von LKAs zu werden -- bei INPOL etwa gibt es ja noch eigene Speicherfristen, so dass Gammeldaten dort früher oder später auffallen).

Auskunftsrecht

Auskunftsersuchen werden für den nicht verdeckten Bereich ans BKA zu richten sein. Verdeckte Daten muss man bei der Behörde rauskriegen, die sie eingespeichert hat. Wir sind schon gespannt, ob das BKA die Herkunft der Grunddaten rausrücken wird, dann wie oben gesagt darf das BKA ja keine Löschung veranlassen.

Grundsätzlich dürfte es angesichts der Generaleinstufung der Daten als Verschlusssache mit mindestens VS-geheim (no joking here) schwierig werden, irgendwas aus den Behörden rauszubekommen.

Der Charakter der ganzen Operation wird auch daran klar, dass selbst Statistiken über die das Material in der ATD als VS-geheim eingestuft sind (28. TB LfD BaWü, 2.1.1.1).

Geheimpolizei

Das besondere an der ATD ist die Nonchalance, mit der die Regierung zugibt, hier das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten aufzuheben (an dieser Stelle vermisst man das gute, alte Besatzungsstatut). So heißt es im neuen §22a Verfassungsschutzgesetz:

  • Das Bundesamt für Verfassungsschutz kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, den Polizeibehörden des Bundes und der Länder und dem Zollkriminalamt eine gemeinsame Datei errichten.

In diesem Zusammenhang besonders dramatisch ist, dass das Gesetz nicht vorschreibt, rechtswidrig (etwa durch Folter) gewonnene Erkenntnisse der Geheimdienste seien nicht speicherungsfähig. Es mag nach all den Nummern, die das BKA gerade in Nahost geschmissen hat, mehr eine akademische Frage sein, aber offensichtlich kann die ATD auch als Informationssäuberungsmaschine dienen: Erkenntnisse, die die Polizei weder erwerben noch verwenden dürfte (wohl aber, leider, die Geheimdienste) gelangen in den normalen operativen Datenpool der Polizei.

Talk about verfassungsfeindliche Bestrebungen...

Wer hier das Sammeln anfängt, wird nicht fertig -- trotzdem wäre das eine dankbare Aufgabe, vor allem, wenn die Links strukturiert werden. Ein guter Startpunkt ist der Heise-Artikel.