Angeordnete Überwachung

Das Wie, Was, Warum und Woher von Errichtungsanordnungen

Polizeidatenbanken in der BRD dürfen eigentlich nicht laufen, ohne dass wer mal gesagt hat, was drinstehen soll, was nicht und wozu der ganze Zauber da ist. Dieser wer ist nicht, wie aufrechte Demokrat_innen meinen könnten, das Parlament, es sind die Innenministerien, die diese in den meisten einschlägigen Gesetzen „Errichtungsanordnung“ (ErA) genannten Regeln herausgeben. Damit gucken im Wesentlichen auch nur Menschen aus Polizei und Innenministerien – in diesen Zeiten ausweislich ihrer öffentlichen Statements fast durchweg Ordnungsstaatsfanatiker – drauf. Warum das schlecht ist und wie wir es ändern können, darum geht es in diesem Artikel.

Wie üblich im Datenschutzrecht stehen Parlamentarier_innen, die ehrlich an den Rechtsstaat glauben, vor der schwierigen Aufgabe, die Bedürfnisse von „Governance“ – unter anderem klarkriegen, wer die Regierung in Schwierigkeiten bringen könnte und diese Leute dann stoppen – mit dem zusammenzukriegen, was in Grundgesetz und Rechtsstaattheorie zu unverletzbaren Würden, Freiheiten von Meinungsäußerung und Versammlung sowie nicht zu vergessen unverletzbaren Persönlichkeiten steht. Das Ergebnis sind dann oft haarsträubende Eingriffsbefugnisse von Sicherheitsbehörden, die im zweiten Schritt durch Verfahrensregeln wie Gerichtsvorbehalte wieder gezähmt werden sollen.

Im Fall polizeilicher Datenbanken besteht eine wesentliche Zähmung darin, dass die Polizei nicht einfach wild alles speichern darf, was ihr einfällt. Die Einschränkung ist bitter nötig, denn alle Erfahrung zeigt, dass der ideelle Gesamtpolizist erstmal tatsächlich alles speichern will. Was aus den Parlamenten kommt – die Gesetze eben – ist durchweg eher offen formuliert. Die StPO etwa fordert in §484, Daten über den reinen Aktennachweis hinaus seien von der Polizei zu strafprozessualen Zwecken nur zu speichern, wenn „wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit [...] oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass weitere Strafverfahren gegen den Beschuldigten zu führen sind.“ Bei so viel verbalem Gummi und Bedingerei (zu denen Extraprivilegien für präventive Speicherung aus den Polizeigesetzen kommen) ist es fast erstaunlich, dass Löschverlangen wegen Verletzung dieser Regeln häufig erfolgreich sind.

Dennoch war auch dem Gesetzgeber klar, dass diese Leitplanken nicht reichen, und so schreibt er den Behörden klare Ansagen vor, was sie speichern wollen, eben die Errichtungsanordnungen. Ein Webfehler dabei ist, dass die ErAen ausgerechnet zwischen Kriminalämtern und Innenministerien ausgekartelt werden. Normalerweise werden auch die zuständigen Datenschutzbeauftragten nur „angehört,“ haben also keine wirksamen Eingriffsmöglichkeiten. Wenn diese außerdem, wie inzwischen zunehmend der Fall, selbst dem Sicherheitsestablishment entstammen, sind öffentliche Kritik am oder menschenrechtliche Einwände gegen das polizeilichen Treiben gänzlich das Geschäft von Menschenrechtsgruppen oder mutigen Journalist_innen geworden.

Der Bauplan

Wie so eine ErA im Einzelnen gebaut ist, hängt ein wenig von den Datenschutz- und Polizeigesetzen ab. Recht typisch ist aber, was §34 BKAG für Datenbanken des Wiesbadener Amts vorsieht:

  1. Bezeichnung der Datei
  2. Rechtsgrundlage und Zweck der Datei,
  3. Personenkreis, über den Daten gespeichert werden,
  4. Art der zu speichernden personenbezogenen Daten,
  5. Arten der personenbezogenen Daten, die der Erschließung der Datei dienen,
  6. Anlieferung oder Eingabe der zu speichernden Daten,
  7. Voraussetzungen, unter denen in der Datei gespeicherte personenbezogene Daten an welche Empfänger und in welchem Verfahren übermittelt werden,
  8. Prüffristen und Speicherungsdauer,
  9. Protokollierung.

Ein paar der Punkte mögen nebensächlich klingen, sind allerdings praktisch sehr zentral. Punkt 5 bespielsweise heißt im Klartext: „Wonach können die Bullen suchen?“ Wenn nun die ErA sagt, dass nach Namen von „Kontaktpersonen“ (also Menschen, deren Sünde darin besteht, Menschen zu kennen, die die Polizei nicht leiden kann) nicht gesucht werden kann, werden solche Leute vor Demos oder in Bahnhöfen um Längen weniger Ärger bekommen. Oder, noch drastischer, wenn in der DNA-Datei DAD auch nach unvollständigen Profilen gesucht werden kann, gehen plötzlich Suchen wie „Haben wir Leute, die vielleicht mit den Spurenleger_innen verwandt sind und können denen mal auf den Zahn fühlen?“ [1]

Konkret: KAN

Um das etwas konkreter zu machen, wollen wir im Folgenden einen Blick in die ErA des BKA-Kriminalaktennachweises [2] (kurz KAN) werfen.

Nach etwas Vorgeplänkel schränkt Abschnitt 2.2 die Speicherung ein auf „Beschuldigte oder sonst tatverdächtige Personen wegen schwerer oder überregional bedeutsamer Straftaten“ oder Leute, deren Stammdaten für die DAD benötigt werden. Wenn also bei einer Auskunft rauskommt, dass jemand wegen einer Sitzblockade im KAN steht, wird sich das BKA anstrengen müssen, die Schwere oder überregionale Bedeutung der „Tat“ nachzuweisen. Es kriegt das häufig auch wirklich nicht hin und löscht dann.

Wie so oft in ErAen wird allerdings die klare Sprache gleich wieder eingeschränkt, denn noch in 2.2 heißt es, auch eine „Bewertung (Prognose),“ die Daten könnten zur „Verhütung von Straftaten von länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung beitragen“ reiche zur Speicherung. Hier verlangt das BKA von sich noch nicht mal die „tatsächlichen Anhaltspunkte“, die sonst solche Blankoschecks zähmen sollen. Dass sich das BKA in der Praxis eher selten auf diese Regelung beruft, ist wohl nur durch die Sorge bedingt, diese könnte durch irgendeinen Unfall doch mal gerichtlich überprüft und als offensichtliche Verletzung aller rechtsstaatlichen Standards verworfen werden.

Eine weitere dramatische Ermächtigung haben die BKA-Autoren im Abschnitt „Die Datei ermöglicht“ versteckt. Dort werden nämlich unter dem Versprechen, „kriminelle Karriere[n]“ – mensch beachte, wie hier ganz nebenbei reaktionäre Kriminologie in Verordnungen gebacken wird – zu dokumentieren, Polizeidienststellen verpflichtet, bei bestehenden Speicherungen auch für sich nicht speicherwürdige Tatbestände ans BKA zu liefern.

Das funktioniert in der Praxis so: Ein Bulle kommt mit einem blauen Fleck von einer Demo nach Hause, es werden fünf Verfahren wegen schwerer Körperverletzung eingeleitet. Die erfüllen, zumal in einem Politkontext, die KAN-Kriterien. Während das Verfahren läuft, kriegt Anna noch einen Ladendiebstahl, die Sitzblockade von eben und ein Schwarzfahren dazu, die alle im KAN gespeichert werden. Wenn das Verfahren dann wie üblich wegen „Bulle hat sie nicht mehr alle“ eingestellt wird und es an die Löschung des ursprünglichen Eintrags geht, sieht der BKA-Beamte eine klare schwerkriminelle Karriere, und für die nächsten 10 Jahre steht Anna im KAN, mit Sitzblockade und geklautem Transpistoff.

Bemerkenswert sind auch die Abschnitte 2.2.1 und 2.2.2, denn dort definiert sich das BKA „schwere“ und „überregional bedeutsam[e]“ Straftaten selbst. Das ist frech, weil in politischen Auseinandersetzungen über Bürgerrechtsabbau oft „argumentiert“ wird, er betreffe ja nur schwere oder noch besser nur schwerste Kriminalität. Die Wahrheit ist, dass dieser Begriff per von der Polizei verfasstem ministeriellem Erlass nach Gusto definiert wird, hier eben auf Verbrechen und das, was auch Abhören rechtfertigt.

Abschnitt drei bestimmt, wer gespeichert wird; beim KAN ist das unspektakulär, weil zu den Bestimmungen aus Abschnitt zwei nichts hinzutritt, andere ErAen hingegen (z.B. FIT, „Anti-Terror“-Datei) legen hier nach und erlauben etwa die Speicherung von Bekannten der Zielpersonen oder auch von Zeug_innen.

In Abschnitten vier und fünf wird relativ detailliert umrissen, was in der Datenbank gespeichert wird. Diese Angaben helfen beispielsweise bei der Einschätzung, was bei polizeilichen Auskünften fehlen könnte. Die Antworten auf Auskunftersuchen sind nämlich durchweg in Prosa formuliert („Sie haben am 2.3.1994 zwei Panzer angezündet“); was wirklich in der Datenbank steht, bleibt daher leider unklar. Ein Blick in die lange Liste der im KAN speicherbaren Datenarten bietet da viel Material für Rückfragen ans BKA – vielleicht haben sie ja doch einen Spitznamen von euch? Steht etwas in „Nicht identisch mit“? Was glaubt das BKA über Tätowierungen, Mundarten zu wissen? Und wie ist das mit „Spezielle[n] Kenntnissen“?

Grundsätzlich zeigt der endlose Katalog von rund 60 Items, von denen die meisten auch suchbar sein sollen, dass das BKA hier eine Wunschliste eingereicht hat, die das Innenministerium einfach abgenickt hat, während der damalige BfD ein paar Bedenken äußern durfte. Schon, dass sie sich ausweislich der Fußnote auf Seite 3 mehr erlauben als sie technisch hinbekommen haben, lässt tief blicken.

Ein weiterer wesentlicher Punkt sind Freitextfelder, in der ErA des KAN „Sondervermerk“ genannt. Hier kann die Polizei zunächst reinschreiben, was sie will, und tatsächlich wurden in Freitextfeldern auch schon komplette Ermittlungsakten gefunden. Sind diese Freitextfelder suchbar („zur Erschließung“), können so z.B. Spitzelberichte mit Mitgliederlisten nach Namen, Treffpunkten usf. global durchsucht werden. Dass sowas die Grenze zum Polizeistaat weit überschreitet, war sogar den Leuten im Innenministerium klar, weswegen erstens die Sondervermerke nicht suchbar sein dürfen und zweitens bei allen die Zweckbestimmung „nur zur Erläuterung/Ergänzung“ steht. Dass dennoch häufig Kram in diesen Freitextfeldern gefunden wird, den nur Wesen von der Treuherzigkeit eines Golden Retrievers als mit diesen Einschränkungen verträglich akzeptieren würden, dürfte nicht überraschen.

Schließlich zählt die ErA in 5.3 noch die zugelassenen Personengebundenen Hinweise (PHWs) auf, also Grobklassifikationen, die rechtslogisch zur „Eigensicherung“ der Beamt_innen dienen sollen, in Wahrheit aber natürlich zu allerlei Repression und Prävention genutzt werden. Neben dem Evergreen LIMO („LInksextremistisch MOtiviert“) findet sich dort derzeit z.B. „Prostitution“, aber immerhin derzeit nicht „Homosexuell“, es findet sich immer noch „Geisteskrank“, aber immerhin derzeit nicht „Landfahrer“. Allein zur Diagnose der in den PHW-Listen manifestierten aktuellen Psychosen der Ämter lohnt sich schon ein Blick in die ErAen.

Aber auch Abschnitte 6 und 7 zu Anlieferung und Übermittlung sind nicht, wie mensch auf den ersten Blick meinen könnte, irrelevante Rechtsprosa. 6.3 etwa weist die „datenschutzrechtliche Verantwortung“ für die Daten der Stelle zu, die sie eingegeben hat. Das ist ein wesentliches Argument, wenn mal wieder ein LKA sagt, es könne die Daten im KAN nicht löschen – das ist normalerweise gelogen. Nebenbei sei allerdings erwähnt, dass die Praxis des BKA gelegentlich auch offen von dieser Regelung abweicht. Es behauptet durchaus mal, es habe irgendwelche Daten „in Besitz genommen“ und trage jetzt selbst die „Verantwortung“. In den uns bekannt gewordenen Fällen dieser Art haben sie aber am Ende doch gelöscht, wenn das einspeisende LKA auch gelöscht hat.

ErAen regeln ebenfalls die Modalitäten der Verjährung („Aussonderungsprüfung“). Für den KAN ist das in Abschnitt acht, der, recht typisch, erstmal aufs Maximum dessen geht, was die zugrundeliegenden Gesetze hergeben (10 Jahre) und dann ein paar Einschränkungen macht. Zu diesen menschenrechtlichen Placebos gehört, dass nach 10 Jahren immer noch nicht gelöschte Daten schon nach drei Jahren erneut angesehen werden müssen, dass Daten von über 70-Jährigen gelöscht werden, wenn die Betroffenen sich mit 65 zur Ruhe gesetzt haben, und dass das BKA die Daten von Toten vielleicht schon zwei Jahre nach deren Tod löscht.

Der letzte interessante Punkt ist die Protokollierung, also das Mitschreiben von Anfragen, Speicherungen und Löschungen; das ist relevant, wenn im Nachhinein wer (in der Regel Datenschutzbeauftragte) nachsehen will, was die Polizei da getrieben hat. Die wesentlichen Parameter dabei sind: „Wie viel wird protokolliert?“ und „Wie lange werden die Protokolle aufgehoben?“ Im KAN wird alles protokolliert, andere Systeme protokollieren z.B. nur jede zehnte Anfrage. Der Industriestandard fürs Vorhalten der Protokolle ist ein Jahr – so lange hättet ihr also Zeit, wenn ihr nachsehen (lassen) wollt, was mal über euch gespeichert war. Leider geht das aber nicht über ein normales Auskunftersuchen, da die Protokolldaten nicht mehr als personenbezogen gelten – in der Tat ist uns kein Beispiel bekannt, in dem die Polizei von diesen verbotenen Früchten genascht hätte.

Her mit dem Papier

Wir hoffen, euch jetzt ein wenig neugierig gemacht zu haben auf die Errichtungsanordnunen von Datenkbanken, in denen ihr steht. Für etliche Datenbanken findet ihr sie auch schon auf https://datenschmutz.de, meist unter „Rechtsgrundlage“ auf der Seite zur Datenbank oder zum Bundeslande. Für die meisten Systeme haben wir sie aber nicht.

Und da kommt ihr ins Spiel – die ErAen sind nämlich als Verwaltungsakte nicht öffentlich, und die Polizei vermutet zutreffend, Menschen, die sich für sie interessieren, wollten sie ausforschen. Unzutreffenderweise hält die Polizei das für unstatthaft. Zumindest in Ländern mit einem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gibt es jedoch Abhilfe, und mit ein bisschen Ausdauer seitens der Fragesteller_innen haben eigentlich noch alle Behörden die ErAen herausgerückt. Dank der Betreiber_innen von https://fragdenstaat.de sind IFG-Anfragen heutzutage auch recht benutzerfreundlich zu stellen. Die meisten IFGe sehen leider eine Kostenbeteiligung der Anfragenden vor. Immerhin haben sich Befürchtungen, die Behörden würden sich routinemäßig mit großen Gebührenrechnungen rächen, vorerst nicht bestätigt, in allen uns bekannten Fällen waren die ErAen kostenlos.

In dem Sinn: Gehet hin und fraget an, und vergesst nicht, uns eure befreiten Dokumente auch zukommen zu lassen, damit die nächsten Speicheropfer zumindest nicht mehr selbst IFG-Anfragen schreiben müssen.

Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg

Kontakt und Artikel-Archiv: https://datenschmutz.de

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[1]Tatsächlich sind diese Verwandtschaftssuchen in der DAD zwar verboten, partielle Matches und mithin genau die verbotenen Verwandtschaftssuchen werden aber von der ErA der DAD erlaubt und technisch durchaus unterstützt. Große Überraschung: Sie werden gemacht, auch wenn Gerichte Verfahren, bei denen die Polizei dumm genug war, das zuzugeben, schon rausgeworfen haben. Hier hätte mit etwas Skandalisierung und einer Reparatur der ErA durchaus bürgerrechtlich was gerissen werden können. Inzwischen siehts eher so aus, als wolle sich die Polizei die Verwandtensuche parlamentarisch genehmigen lassen – vermutlich ist das nur noch mit viel Empörung auf der Straße zu verhindern.
[2]Es hilft dem Verständnis des Artikels, wenn ihr https://datenschmutz.de/li/docs/2006-bka-kanea.pdf mitlest.

Dieser Artikel ist in der Kolumne get connected der Zeitung der Roten Hilfe erschienen. Das Material kann gerne gemäß CC-0 weiterverwendet werden.

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