Alle mal ED-behandeln

Demnächst: Ohne Fingerabdrücke kein Ausweis mehr

Schon Otto Schily wollte sie einst dringend haben: Alle Fingerabdrücke von allen. Eine autoritäre Dystopie dieser Größenordnung ließ sich aber selbst in der Haupt- und Staatspanik nach Nineeleven nicht auf einmal durchsetzen. Jedoch: Mit Ausdauer, großzügigem Umgang mit Wahrheit und ein wenig Geifer zur rechten Zeit klappt es am Schluss doch fast immer mit den Angriffen auf Menschenrechte. Und so werden ab nächstem Jahr beide Zeigefingerabdrücke im Personalausweis stehen – jedenfalls, wenn wir nicht noch einen kleinen Aufstand hinbekommen.

Wir möchten für diesen Artikel die zwar fluide, aber doch beeindruckend handlungsfähige radikalautoritäre Avantgarde aus Polizeien unter Führung des BKA, Innenministerien, Polizeigewerkschaften, den „Innenpolitiker_innen“ der meisten Parteien und der Bildzeitung [1] taufen, und zwar nach einigen ihrer historisch verdienten Vertreter – Schily, Maaßen, Uhl und Zierke – mit einem bürgerrechtsfreundlichen Kopfnicken Richtung Hengameh Yaghoobifarah kurz Schmuz; die Schmuz, weil Plural.

Der biometrische Traum

Die letzte RHZ hat wieder eindringlich dokumentiert, wie gut die Schmuz darin sind, vom Rand der Gesellschaft aus parlamentarische Mehrheiten zu organisieren für Vorhaben, denen selbst der willhelminische Reichstag kaum die Zustimmung gegeben hätte. Wir erinnern nur kurz an den §114 StGB, mit dem wohl fast alle Leser_innen dieser Zeitschrift inzwischen ihre liebe Not gehabt haben werden. Wenn ihr das Interview mit Sven Adam zum Thema in der letzten Ausgabe nicht gelesen haben solltet: Tut es jetzt.

Im Gegensatz dazu sind die Schmuz trotz beeindruckender Anfangserfolge nicht recht weitergekommen beim Projekt eines bevölkerungsweiten Registers von Fingerabdrücken. Und wir wetten, dass sie das im Schnitt bestimmt noch mehr schmerzt als die dauernde Interferenz der Gerichte mit dem polizeilichen Zugriff auf den bevölkerungsweiten sozialen Graph („Vorratsdatenspeicherung“).

Einen großen Schritt zu diesem Register konnten die Schmuz schon 2002 verbuchen, als sie, das Bonmot ehemaligen EU-Terrorkoordinators Gilles de Kerchove „never let a serious crisis go to waste“ (2015, nach Charlie Hebdo) vorwegnehmend, im Otto-Katalog („Terrorismusbekämpfungsgesetz“) die Aufnahme biometrischer Merkmale in Identitätsdokumenten unterbringen konnten. 2005 und 2007 folgten konkrete Regularien für Erfassung und lokale Speicherung von zwei Fingerabdrücken im Pass. Doch blieb es bei der lokalen Speicherung, denn die Argumentationslinie – „wir möchten das ja selbst nicht, aber wenn wir weiter in die USA reisen können wollen, geht es halt nicht anders“ – gab nicht mehr her.

Natürlich war schon dieser Talking Point gelogen, denn die USA hätten ihre Biometriepflicht sicher nicht gegen die EU durchgesetzt, aber es war glaubhaft genug. Nur, das allgemeine Fingerabdruckregister ist das bei weitem nicht: Die Fingerabdrücke standen und stehen für deutsche Behörden nur verstreut auf Millionen von unvernetzten Chips und sind damit erstmal nutzlos, um herauszufinden, wer das Flugblatt, das Gaffertape vom Transpi, das Schloss vor dem bestreikten Betrieb oder die Bierflasche im besetzten Haus angefasst hat.

Dennoch: es war ein großer Sieg; die mobileren und reicheren Untertanen haben sich schon mal dran gewöhnt, ihre Fingerabdrücke zu verschiedenen Gelegenheiten abzugeben – etwas, das der Staat zuvor nur von Verbrecher_innen (AFIS) und Ausländer_innen (besonders drastisch: EURODAC gegen Migrant_innen, inzwischen recht flächendeckend beim Schengen-Visum, von wo die Fingerabdrücke dann auch in der breit abfragbaren Datei VIS landen) forderte.

Dazu kommt, dass, wenn der Pass eingesetzt wird, um etwa in die USA oder nach China einzureisen, die Fingerabdrücke fast sicher doch in Datenbanken von Repressionsbehörden landen. Dank immer engerer Zusammenarbeit von befreundeten und nicht so befreundeten Geheim- und Sicherheitsdiensten sind das zwar kleine, aber doch spürbare Schritte hin zum Fingerabdruckregister.

Ein neuer Aufbruch

Nun soll also der nächste Schritt kommen: Fingerabdrücke im Personalausweis, und weil jede_r in der BRD irgendeinen Ausweis haben muss, müssen damit also alle, die Finger haben, die Abdrücke von zwei davon abgeben. Die Schmuz, ahnend, dass das Ärger geben könnte, haben den von der Vorratsdatenspeicherung (vgl. RHZ 2/2007) bekannten Weg gewählt und zunächst eine Verordnung bei EU-Kommission, -Rat und -Parlament durchgesetzt, nämlich (EU) 2019/1157. Der klare Vorteil ist, dass die Schmuz die Umsetzung im Land als Fügen in höhre Weisheit, Widerstand dagegen als nationalistische Eigenbrötelei darstellen können.

Dabei argumentiert die Verordnung etwas kontrafaktisch für ihren Inhalt, indem sie das Fälschungsrisiko von Identitätskarten als Gefahr für die Freizügigkeit der EU-Büger_innen verkauft. Es sind aber Frontex-Leute und platzverweisende Polizist_innen, die Menschen im Wege stehen, nicht Ausweise oder ihre Fälschungen.

Und selbst wenn mensch sich auf die Argumentation einlässt, Polizist_innen würden die Freizügigkeit weniger einschränken, wenn sie weniger Grund hätten, Identitätskarten zu misstrauen, wird das nicht glaubhafter. Im Vorfeld der Verschärfungen von 2007 haben sich Jan Korte und Kolleg_innen mal die Mühe gemacht, die Größe des Problems zu ermitteln; in Drucksache 16/7073 musste die Bundesregierung zugeben, dass es von 2001 bis 2007 insgesamt gerade mal 88 komplett gefälschte und 128 verfälschte BRD-Personalausweise gegeben habe. In sieben Jahren!

Da wir inzwischen – unter erheblichen Kosten für unsere Bürgerrechte – viel sicherere Ausweise haben, muss das ja mittlerweile noch viel weniger sein. Wenn allerdings stattdessen mehr gefälscht würde, würde das die Geschichte unterminieren, wir sollten Rechte für die technische Stärkung der Dokumente opfern, und wieder gäbe es keinen vernünftigen Grund für die Verordnung.

Trotz dieser wahlweise sachlichen oder logischen Probleme hat eine breite rechte Mehrheit im EU-Parlament die Fingerabdruck-Verordnung letztes Jahr abgenickt, und nun müssen bis zum 3.8.2031 alle Identitätskarten ohne Fingerabdrücke in der EU ungültig werden.

Da die hiesigen Personalausweise konventionell zehn Jahre halten, soll am 3.8.2021 alles bereit stehen, um wirklich allen ihre Fingerabdrücke abzunehmen. Es gibt folgerichtig einen Regierungsentwurf, der das Ausweis- und Melderecht entsprechend anpasst.

Gemeinsam damit schmuggeln die Schmuz, die Gelegenheit nutzend, noch ein paar Nebenfiesheiten ein. So soll die Ausweisnummer als weitere (ja eigentlich durchs Volkszählungsurteil verbotene) Personenkennziffer dienen können. Das ist aber eigentlich wurst, weil seit der Steuer-Id dieser Zug weitgehend abgefahren ist (und die entsprechende Musik gegenwärtig im Registermodernisierungsgesetz spielt).

Und mensch soll keine eigenen Fotos mehr mitbringen können, damit Selbsthilfe gegen massenhafte Gesichtserkennung (wie von uns in RHZ 1/2011 empfohlen [2]) jedenfalls erheblich schwieriger wird. Auch blöd, aber im Gesamtbild eher vernachlässigbar.

Eine Studie in Salami

Nein, der große Hammer sind die Tapsen. Klar: Die werden erstmal nicht zentral gespeichert. Die EU-Verordnung sagt auch extra, dass die biometrischen Daten nur genutzt werden dürfen, um zu prüfen, dass die Ausweise echt sind und auch zur_m Inhaber_in gehören (Art. 11 Abs. 6). Mensch kann den Schmuz viel vorwerfen, aber nicht, dass sie keine Geduld hätten.

Mit den biometrischen Bildern fing es ähnlich an; vor zwanzig Jahren haben die Schmuz zwar auch schon von gesichtserkennenden Kameras geträumt, haben aber den weniger autoritären Parlamentarier_innen gegönnt, dass das Narrativ zunächst auf „nur Authentifikation“ lautete. Im nächsten Jahrzehnt fielen die Scheiben der Salami nach und nach, bis die Bilder eben doch nicht nur auf dem Ausweis, sondern auch in den (elektronischen) Melderegistern gespeichert waren und die Polizei, nominell in Einzelfällen, um Zugriff bitten konnte. Na gut, „bitten“ ist vielleicht das falsche Wort, denn ablehnen durften die Melderegister nicht.

Im fertigen Gesetz fand sich dann eine der üblichen Gefahr-im-Verzug-Regeln, mit denen bürgerrechtliche Leitplanken auch sonst oft aufgemürbt werden: Am Wochenende, wenn die Meldeämter nicht besetzt sind, durfte sich die Polizei schon 2010 direkt im Melderegister bedienen.

Und die vorerst letzte Scheibe der Salami fiel im Rahmen der 2017er Großoffensive der Schmuz (vgl. die Einführung von get connected in RHZ 4/2017), als Polizei und Geheimdienste dauerhaft freien Zugriff auf die Fotos bekommen haben (wirksam wird das ab 1.5.21). Das passt natürlich prima in den Kontext der Fotofahndung am Berliner Südkreuz, nachdem das Vorgängerprojekt 2005 in Mainz ein recht spektakulärer Fehlschlag gewesen war.

Nur vorsoglich wollen wir darauf hinweisen, dass auch an der Bildersalami noch geschnippelt werden wird: die Polizei darf nämlich immer noch nur mit Namen nach Bildern suchen und nicht mit Bildern nach Namen. In dem Maß, in dem die entsprechende Technik besser wird, wird sich das diesbezügliche Messerwetzen bei den Schmuz intensivieren.

Spuren abgleichen

Jetzt gerade aber ist die Fingerabdrucksalami dran, und alles sieht danach aus, dass demnächst die bei der letzten Verschärfungsrunde 2009 von der SPD als ihr großer Erfolg gefeierte Freiwilligkeit der Fingerabdrücke im Personalausweis fallen wird.

Dabei wird es natürlich nicht bleiben. Allerdings dürfte auch mit dem nächsten Schnitt an der Salami noch nicht das biometrische Vollregister kommen. Stattdessen würden wir auf die Legalisierung des Abgleichs von bei Kontrollen erhobenen Fingerabdrücken mit Spurendatenbanken tippen. Die wesentliche Frage aus unserer Sicht ist, ob der Vorwand für diese, wie immer 1a nachvollziehbare, Schmuz-Forderung ein Fall mit einem Fingerabdruck auf einem kinderpornographischen Bild oder auf einem Stück Bombenkoffer sein wird.

Und schon das wird böse Folgen haben (von wegen „Weitere Gesetzesfolgen: Keine.“ aus dem Regierungsentwurf). Auch wenn die EU-Verordnung in Erwägungsgrund 19 ansagt, dass auf die Fingerabdrücke überhaupt nur dann zugegriffen werden soll, wenn das „zur zweifelsfreien Bestätigung der Echtheit des Dokuments und der Identität des Inhabers notwendig“ ist – Zweifel werden sich immer begründen lassen, und dann sind die Fingerabdrücke ja sowieso schon in hoheitlicher EDV. Da wäre doch niemandem zu erklären, warum dann nicht das bisschen Abgleich drin sein sollte, wo es doch so schreckliche Verbrechen aufzuklären gilt.

Daten zum Abgleich wären reichlich vorhanden, denn bereits jetzt werden Fingerabdruckspuren großflächig genommen und zu guten Stücken gespeichert: von Adbusting zur Hausbesetzung, von Transpi-Aktionen bis Baustellensabotage, gerade der Staatsschutz legt unbändigen biometrischen Aufklärungswillen an den Tag.

Wenn also der Fingerabdruckcheck Routine wird, wird für politisch aktive Menschen eine Personalienkontrolle noch viel häufiger als jetzt in Gewahrsam, Knast oder auch nur Rechnungen über ein paar hunderttausend Euro (weil die schöne Werbekampagne vor die Hunde gegangen ist) enden.

Also: Fingerabdrücke in den Persos gehen gar nicht. Lasst uns jetzt sehen, dass wir diesen atemberaubenden Übergriff eingefangen kriegen – wenn erstmal die Infrastruktur da ist, ist es noch schwieriger.

Und von wegen „wir müssen wegen Europa“: Die Bundesregierung hat 10 Jahre Zeit, die üble EU-Verordnung wieder wegzukriegen. Selbst wenn ihr das zu mühsam wäre, sind ohnehin schon Ausnahmeregelungen für Mitgliedsländer ohne Ausweispflicht vorgesehen (vgl. Erwägungsgrund 11). Die BRD könnte sich also ganz problemlos eine Genehmigung der gegenwärtigen Tapsen-Freiwilligkeit reinschreiben zu lassen. Nur müssen wir lauter schreien als die Schmuz, damit das passiert (was, ok, schwierig ist).

Und selbst wenn wir das Ding nicht insgesamt abgebogen kriegen: Wie viel Zeit vergeht, bis sich die Schmuz trauen, die nächste Scheibe von der Salami zu nehmen, hängt entscheidend davon ab, wie viel Empörung wir jetzt auf die Straße kriegen.

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[1]Na gut, es sind schon auch noch ein paar andere Blätter dabei; versteht irgendwer, warum ausgerechnet ein Provinzblatt wie die Neue Osnabrücker Zeitung in dem Bereich so aktiv ist?
[2]Update zum Biometrie-Störrezept: Der iWrap-Filter ist in modernen Gimps als Wrap-Transform im Werkzeugkasten. Ihr habt wohl noch etwa ein Jahr, um das zu nutzen.

Dieser Artikel ist in der Kolumne get connected der Zeitung der Roten Hilfe erschienen. Das Material kann gerne gemäß CC-0 weiterverwendet werden.

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