Willkommen in der Datenbank

Datenbanken gegen Nichtdeutsche in EU und BRD

Da die Obrigkeit ihren Untertanen misstraut, überwacht sie sie mit allerlei technischen Mitteln (vgl. get connected 3/14). Das Misstrauen steigert sich zu manifester Paranoia, wenn Herrschaft nicht mehr auf patriotische Gefühle als Motiv zur Unterwerfung hoffen kann. Es überrascht also nicht, dass Staaten gegen Un- und Halbbürger nochmal einige Schippen drauflegen bei der Verdatung. Dieser Artikel will einen kurzen Eindruck davon vermitteln.

Zunächst bildet die Polizei natürlich auch Nichtdeutsche in ihren üblichen Datenbanken ab. „Only more so,“ um Rick Blaine (über den Polizeichef von Casablanca, Capitain Renault) zu zitieren.

Ein sprechendes Beispiel war die baden-württembergische „Arbeitsdatei Politisch Motivierte Kriminalität“ (AD PMK) des dortigen Staatsschutzes, die Mitte der Nullerjahre 40.000 politisch motivierte Kriminelle und Kontaktpersonen im Ländle verzeichnete. Schon die schiere Zahl illustriert den dahinterstehenden Irrsinn, an dem Rassismus einen großen Anteil hatte. Mussten Deutsche, wollten sie in diese Datei, schon mal einen Castor blockieren, reichte bei Wirten türkischer Herkunft bereits die Verletzung der Sperrstunde; andere Nichtdeutsche wurden gespeichert, nachdem sie ein Taxiunternehmen angemeldet hatten oder wegen häuslicher Gewalt aufgefallen waren.

Dann gibt es einen ganzen Satz von speziell gegen „Ausländer“ gerichteter Polizei-EDV. So hält das BKA einige Extradatenbanken für das, was das Amt als „Ausländerkriminalität“ sieht. In Analogie zu den Verbunddateien (also: vom BKA für die Länder betrieben) „Gewalttäter“ links, rechts und Sport gibt es auch eine „Gewalttäter Aumo“, die allerdings von den Ländern offenbar nur zurückhaltend angenommen wird: ihr Füllstand bewegte sich während der Nullerdekade immer im Bereich von wenigen hundert Personen.

Vergleichbar mit der Zentraldatei (BKA füllt für die Länder) PMK-links-Z betreibt das BKA weiter einige Datensammlungen zu spezifischen Phänomenbereichen, etwa DABIS zur „Bekämpfung islamistischen Terrorismus“, die 2009 noch 9000 Personen und 3000 Organisationen verzeichnete, oder InTE-Z zu „internationalem Terrorismus“, die auch in der 10.000-Datensätze-Region spielt. Für die extraheiklen Daten hat das BKA Amtsdateien (also: BKA speichert für BKA) „Internationaler Terrorismus“, die zur Umgehung von Datenschutzbestimmungen kompartimentalisiert sind in „Gefahrenabwehrsachverhalte“ (übersetzt: Wir speichern auch wildeste Spekulationen, was zum Start 2011 immerhin 1105 Datensätze aumachte) und „Gefahrenermittlungssachverhalte“.

Trailblazer

Dieser bunte Strauß ist nicht einfach nur Ausdruck strukturellen Rassismus, er ist auch Ausdruck der Salamitaktik, Bürgerrechtsabbau zunächst bei den Nichtbürger_innen zu testen und dann weiter auszurollen. Mustergültig vorexerziert wurde das bei der dreist benannten Anti-Terror-Datei (ATD; vgl. RHZ 1/07); in ihr halten Polizei und Geheimdienste gemeinsam das, was sie für Information halten, inklusive „Volkszugehörigkeit“, Bildungsgang, sozialem Umfeld und, wo das nicht reicht, Freitextfeldern.

Auch während des freien Falls menschenrechtlicher Standards nach 9/11 hätte die faktische Aufgabe des Trennungsgebots (von Polizei, die straflos prügeln darf, und Geheimdienst, der straflos einbrechen darf) weit schärfere Auseinandersetzungen mit sich gebracht als das weitgehend glatte bundestägliche Abnicken von 2006, hätte sich die ATD nicht „nur gegen Ausländer“ (und ihre Freund_innen) gerichtet: Die Original-ATD ist nur für das Umfeld von §129b StGB errichtet.

Dabei bleibt es natürlich nicht; seit 2012 gibt es analog die RED, in der Dienste und Polizei analog im Feld von Naziterror zusammenarbeiten. Wer sich darüber freut, sollte bedenken, dass schon in der erratbaren Langform des Dateinamens das Kampfwort „Extremismus“ vorkommt – bei nächster Gelegenheit wird es sowas auch gegen uns geben.

In gewisser Weise noch schlagender ist das Beispiel des Ausländerzentralregisters AZR: Es zog bereits 1967 als erstes System mit dem Appeal einer Polizeidatenbank in den Computer um – zum Vergleich: das BKA machte erst ab 1973 erste entsprechende Schritte.

Bundesverwaltet

Das AZR nimmt eine Totalerfassung aller Nichtdeutschen vor, auf die die BRD-Obrigkeit innerhalb der (grob) letzten zehn Jahre mal Anspruch erheben konnte: Menschen, die sich ohne deutschen Pass länger als drei Monate in der BRD aufgehalten oder einen Asylantrag gestellt haben, die bei der Einreise Schwierigkeiten hatten, nach Ansicht der Behörden etwas mit nicht genehmen Politorganisationen zu tun hatten oder abgeschoben wurden. Sogar Menschen, die als „volksdeutsche“ Spätaussiedler eingebürgert werden wollen und z.B. bei der Schädelmessung durchfallen, landen im AZR.

Auf diese Weise bekommt das Bundesverwaltungsamt (BVA; die betreiben die technische Infrastruktur) 26 Millionen personenbezogene Datensätze zusammen – wegen Doubletten u.ä. dürften insgesamt etwas weniger Menschen betroffen sein. Für die Gesamtbevölkerung hat die Polizei eine vergleichbar homogene Vollerfassung nicht. Allerdings waren die Entwicklungen gegen Nichtdeutsche wieder Modell für die Behandlung der eigenen Bürger_innen: Vernetzung und Biometrisierung der Meldedaten geben der Polizei inzwischen fast äquivalente Möglichkeiten.

Sehr viel mehr als die Meldebehörden speichert das AZR nämlich nicht (allerdings ggf. auch über Menschen, die gar nicht in der BRD wohnen): Neben Grundpersonalien (also Name, Ort und Datum der Geburt, Staatsangehörigkeiten) gehören dazu Daten zu Ein- und Ausreisen, Familienstand, die letzten paar Wohnorte, ggf. auch im Herkunftsland, Aufenthaltsstatus und Entscheidungen dazu sowie Verweise auf Akten aus den einspeisenden Behörden. Dazu kommt für die meisten (nach einem EuGH-Urteil von 2008 nicht mehr für freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger_innen) ein Foto, das gesetzlich auch als Suchkriterium genutzt werden kann. Weiter gibt es, wo bereits bekannt, das Sterbedatum, denn auch nach Tod oder Ausreise bleiben die AZR-Daten für (typisch) 10 Jahre im Computer. Der einzige Weg, rasch aus dem AZR zu kommen, ist die Einbürgerung, und auch da vergessen die Zuständigen schon mal, wo der Löschknopf ist. Schließlich schämt sich der Gesetzgeber nicht einmal, eine „freiwillige“ Speicherung der Religionszugehörigkeit anzubieten – bei der DNA-Datenbank waren zeitweise 90% der Speicherungen „freiwillig“, was bereits alles über diese Fiktion sagt.

Trotz jahrzehntelangen Bettelns des Sicherheitsestablishments enthält das AZR keine Volltextfelder, keine Angaben zu Flug- oder Waffenscheinen (wie sie z.B. in der ATD stehen) oder Spekulationen zu politischen Orientierungen, es sei denn quasi kollateral als Speichergrund im 129er-Bereich. Vor allem ist es auch nie etwas geworden mit der flächendeckenden Speicherung von Fingerabdrücken. Diese Gleichstellung von Ausländer_innen mit Verbrecher_innen war wohl für die nationale Gesetzgebung doch immer zu entlarvend. Erst über die europäische Bande kommt jetzt die biometrische Kompletterfassung von Ausländer_innen – aber dazu später.

Datenschleuder

Im Vergleich zu den Meldebehörden, die dank eines letztminütlichen Eingriffs in eine Gesetzesnovelle durch den Sicherheits-Hardliner Hans Peter Uhl selbst recht großzügig Daten verteilen, ist Kennzeichen des AZR (und allgemeiner des Sonderrechts für Nichtdeutsche) die weite Streuung der Daten; Daten des AZR werden in 8500 „Partnerbehörden“ genutzt, zu denen neben Justiz, allen Polizeien, den Geheimdiensten, dem Zoll und der Bundesanstalt für Arbeit auch zunächst eher unwahrscheinliche Kandidaten wie Luftsicherheitsbehörden oder die Atomaufsicht gehören. Sogar das Rote Kreuz bedient sich z.B. bei der Familienzusammenführung aus dem AZR. Im Hinblick auf den Bohei, der um das Prüm-System (vgl. RHZ 2/10) gemacht wird, in dessen Rahmen Polizeidaten wohldosiert zwischen Staaten ausgetauscht werden, ist die Nonchalance überraschend, mit der AZR-Daten an andere Staaten und internationale Organisationen übertragen werden dürfen. Und dies, notabene, für Daten, die der Staat einzig und alleine hält, weil die Opfer den falschen Pass haben.

Die rechtliche Zweitklassigkeit von Nichtdeutschen äußert sich auch in einer weiteren Sonderregelung, die sich Polizeien sonst nicht mal gegen Linke erlauben: Der Gruppenauskunft. Dabei dürfen grob unvollständige Anfragen eingereicht werden, woraufhin das System unter Umständen sehr viele Einträge zurückliefert. Technisch ist das nicht von einer Rasterfahndung zu unterscheiden, doch im Gegensatz zu dieser kann die Polizei solche Gruppenauskünfte spontan und nach Gutdünken anfordern. Wo die Grenze zur großen Rasterfahnung liegt, hat vermutlich noch niemand beschlossen. Bekannt ist allerdings, dass nach 9/11 Daten von 5 Millionen Menschen aus dem AZR ans BKA gemeldet wurden – wohl zwischen einem Drittel und einem Viertel der damals insgesamt dort Gespeicherten.

Das BVA betreibt noch einige andere Dateien im Bereich der Kontrolle von Ausländer_innen. Recht neu ist die Visadatei, in der Menschen gespeichert werden, die Visa für die BRD erhalten haben. Es ist nicht ganz klar, warum sich die BRD hier Doppelstrukturen zum EU-System VIS (vgl. unten) leistet, vermutlich aber spielte die Unzufriedenheit mit der langsamen Entwicklung des VIS eine wichtige Rolle, kommt dieses doch auch fünfzehn Jahre nach Planungsstart erst allmählich in die Botschaften.

Ohne europäisches Pendant ist dagegen die Visa-Warndatei, entstanden in später Folge des unter dem Titel „Visa-Affäre“ hoffentlich längst vergessenen reaktionären Geschreis um die Visapraktiken der deutschen Botschaft in Kiew zu rot-grünen Zeiten. Die Visa-Warndatei erfasst Menschen, die Einladungen in Visaverfahren aussprechen und dabei irgendwie in den Ruch gekommen sind, nicht ganz die Wahrheit gesagt zu haben. Kandidat_innen für die Speicherung sind da etwa Menschen, die sich um Städtepartnerschaften oder internationale Solidarität kümmern und gezielt oder versehentlich Menschen einladen, die dem Staat politisch oder ökonomisch nicht in den Kram passen.

Und dann gibt es noch die Analoga der Vorgangsverwaltungssysteme der Polizei (vgl. RHZ 1/14), also Kombinationen aus Programmen und Datenbanken, die der Abwicklung von Verwaltungsverfahren dienen. Im Polizeibereich haben sich daraus kaum regulierte Datenhalden entwickelt, in die inzwischen viel der ehemaligen operativen Datenbanken fließt, weil alles so viel bequemer ist. Im Asylbereich gibt es dafür MARIS (die Buchstaben stehen für Migration, Asyl, Rückkehrförderung, Integration, Sicherheit) des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, das übrigens auch als rechtlich verantwortlich für das AZR zeichnet. Ganz stilecht sind öffentliche Informationen dazu eher dünn gesät, abgesehen der Prahlerei des BAMF, hunderte Formulare und Verfahren seien dort hinterlegt. In jedem Fall ist der Weg eines Flüchtlings durch die Instanzen in MARIS zu jeder Zeit detailliert und halbwegs maschinenlesbar abgebildet. Das geht so weit, dass es ein eigenes Datenaustauschformat (fantasievollerweise XAusländer genannt) gibt, um die Datenmengen strukturiert repräsentieren und verschicken zu können.

Ach, Europa!

All das ist aber fast menschlich im Vergleich zu dem Stahlnetz, das die EU über Schengen-Einwanderer niedergehen lässt. Über das Schengener Informationssystem SIS mit seinen (vermutlich im Zuge dessen, was jetzt als „Flüchtlingskrise“ läuft, inzwischen deutlich mehr als) 700.000 Ausschreibungen zur Einreiseverweigerung („Artikel 96“) sowie den haarsträubenden Praktiken im Hinblick auf die Weiterspeicherung eigentlich zur Löschung anstehender Sachverhalte haben wir schon in RHZ 1/10 berichtet; neu ist gegenüber damals, dass SIS II samt der darin neu implementierten Verknüpfungen, Volltexte und biometrischen Daten inzwischen wirklich läuft und die Ausländer_innen deshalb eigentlich nicht mehr nach Artikel 96 (des jetzt obsoleten Schengener Durchführungsübereinkommens), sondern nach Artikel 24 (der SIS II-Verordnung) verfolgt werden – die Rede von „96er-Einträgen“ für Migrant_innen geht aber immer noch um.

Analog zu SIS II organisiert und bei unserem letzten EU-Artikel 2010 noch Zukunftsmusik kommt das Visa-Informationssystem VIS seit Ende 2011 allmählich in die Gänge. Den geplanten Umfang von 70 Millionen Fingerabdrücken der Menschen, die in den jeweils letzten fünf Jahren Schengenvisa erhalten haben, hat es bisher bei weitem nicht erreicht, hauptsächlich, weil Botschaften in weiten Teilen der Welt noch nicht am Verfahren teilnehmen. Die Schengenstaaten migrieren aber ihre Auslandsvertretungen sukzessive.

Schneller ist das bei EURODAC gegangen, der Datenbank, die schon seit 2003 Fingerabdrücke von Asylbewerber_innen (10 Jahre Speicherfrist), von Menschen, die unerlaubt die Schengengrenze überschreiten (18 Monate Speicherfrist; in der BRD gab es davon 2009 nur noch 19 Fälle) und von in der EU aufgegriffenen Menschen ohne Papiere (zum Abgleich) speichert. Ganz aktuell haben seit diesem Jahr auch Polizeien auf EURODAC Zugriff (die Planung dazu begann aber schon vor der der aktuellen „Krise“). Bei diesem Zugriffsrecht ging es wohl mehr ums Prinzip, wurde doch im Gesetzgebungsprozess ruchbar, dass die Niederlande, die schon seit Jahren mit ihrem nationalen Äquivalent des VIS abgleichen, in fünf Jahren in gerade mal 134 Fällen auf diese Weise nützliche Spuren bekommen haben, und auch davon waren noch knapp die Hälfe kleinere Gaunereien, für die der EURODAC-Einsatz offiziell ausgeschlossen ist.

Datenschutz für Ankommer

Dieser kurze Überblick lässt wohl ahnen, dass Nichtdeutsche deutlich enger überwacht werden als Eingebürgerte. Im Vergleich zu Polizeidatenbanken kommt dazu, dass recht breite Speicherungen von Spezialgesetzen gedeckt werden, etwa im AZR oder im VIS. Unsere Empfehlung im Hinblick auf Polizeidatenbanken, nach einem erfolgreichen Auskunftsersuchen im Normalfall eine Sperrung mit anschließender Löschung der Daten zu fordern, ist bei diesen Datenbanken weitgehend zwecklos – ihr Zweck ist gerade die kompromisslose Datensammlung, und so kann deren Prävention kein Löschgrund sein.

Dennoch würden wir gerne im Rahmen unseres Auskunftsgenerators [1] etwas mehr Unterstützung für die Sonderdatenbanken für Nichtdeutsche liefern. Aber natürlich ist noch nicht einmal das ganz elementare Auskunftsrecht in diesen Datenbanken unproblematisch. Das BVA als Betreiber von AZR, Visa- und Visa-Warndatei verlangt beispielsweise eine beglaubigte Unterschrift unter dem Auskunftsersuchen, was die auch schon ärgerliche BKA-Praxis, Auskunftsersuchen durch die Forderung einer polizeilich bestätigten Ausweiskopie zu erschweren nochmal deutlich toppt, nicht nur im Hinblick auf die Kosten. Wir sind der Ansicht, dass diese Forderung mit etwas Ausdauer und Aufsässigkeit wegzukriegen sein müsste. Wer da gute Beispielfälle hat, möge sich mit uns in Verbindung setzen (vgl. unten).

Ein wenig ist es bei den Datenbanken gegen Ausländer_innen so wie bei der Repression im Sport: Die Staatsgewalt hat dort ein Experimentierfeld, in dem Techniken und Praktiken eingeübt und durchgesetzt werden, die wir im Abstand von ein paar Jahren oder im Extremfall Jahrzehnten dann auch im Politbereich sehen. Wem also Solidarität als Grund noch nicht reicht: Der Kampf gegen die monströsen Missbräuche bei der Beherrschung Nichtdeutscher ist immer auch ein Kampf um die Luft, die wir morgen atmen wollen.

Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg

Mehr zum Thema: https://datenschmutz.de

PGP Fingerprint: a3d8 4454 2e04 6860 0a38 a35e d1ea ecce f2bd 132a

[1]https://datenschmutz.de/auskunft

Dieser Artikel ist in der Kolumne get connected der Zeitung der Roten Hilfe erschienen. Das Material kann gerne gemäß CC-0 weiterverwendet werden.

get connected wird von der Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg betreut.