====================================== Umfassender und Lückenloser Überblick ====================================== Wenn die Polizei bei Aukünften Klartext redet ===================================================================== .. highlights:: In RHZ 4/08 hatten wir einen Gastbeitrag eines Studi-Aktivisten, der sich unverhofft in den Mühlen polizeilicher Datenverarbeitung wiederfand und große Schwierigkeiten hatte, die Datenspur, die Bundes- und Landesbehörden gelegt hatten, wieder in den Griff zu kriegen. Acht Jahre später ist es nicht besser geworden, wie unser Gastbeitrag von Ada L. illustriert. „Ihre Personalien bitte!“ – wenn die Polizei bei politischen Aktionen ankommt, ist das oft der erste Satz. Aber was passiert danach? Die Daten werden gespeichert, kategorisiert und landen nicht selten in verschiedenen Polizeidatenbanken. Wer ein wenig Energie aufwendet, kann fragen und herausbekommen, was gespeichert wird und manchmal auch eine Löschung durchsetzen. Allerdings: Bloß weil die Polizei behauptet, Daten wären gelöscht oder sie hätte keine, heißt das noch lange nicht, dass das der Wahrheit entspricht. Es folgen zwei Beispiele mit besonders kafkaesken Zügen, die Fortsetzung folgt im nächsten Heft. Episode 1: Aktivistin? Kriminell! --------------------------------- Bereits 2008 stellte ich ein Auskunftsersuchen an das hessische LKA und ans BKA. Das BKA schrieb nach etwa einem Monat, dass sie keine Daten über mich haben. Nach gerade mal 13 Monaten kam auch die Antwort des LKA Hessen: Gespeichert sei ein Datensatz wegen Landfriedensbruch. Der Vorwurf war absurd, ein Massenverfahren zur Einschüchterung von Protest. Das Verfahren war bereits vor meinem Auskunftsersuchen eingestellt worden. Das Polizeipräsidium Frankfurt beantwortete meinen Löschantrag mit: Nein, wir sind nicht verpflichtet, den Datensatz zu löschen. Aussonderungsprüfdatum – also der Zeitpunkt, zu dem sich die Polizei zum ersten Mal von sich aus fragt, wozu sie den Kram eigentlich speichern – sei erst 2018. Vier Jahre und einige Aktionen später stelle ich erneut Auskunftsersuchen. Mit dem LKA Hessen gibt es einiges hin und her, zunächst bekomme ich von dort eine falsche Auskunft, die auch einen Vorfall inklusive erkennungdienstlicher Behandlung enthält an einem Tag, an dem ich nicht einmal in Hessen war. Ich frage nach und bekomme eine korrigierte Auskunft. Der Datensatz aus 2008 ist in der Auskunft nicht mehr vorhanden, wurde also wohl doch vorzeitig gelöscht, denke ich. Vielleicht hat irgendwer aus dem damaligen Kessel gegen die Datenspeicherung geklagt. Aber Überraschung! Beim BKA stehe ich in der Verbunddatei „Innere Sicherheit“ mit verschiedenen Einträgen. Unter anderem ist der Datensatz aus Hessen inzwischen dort angekommen und wird unter anderem zur Begründung der weiteren Speicherung meiner erkennungsdienstlichen Daten und zur kriminalpolizeilichen Prognose herangezogen – wozu weiter unten noch etwas zu sagen sein wird. Nächster Versuch: Ich fordere das BKA auf, den Datensatz zu löschen, schließlich ist das Verfahren schon lange aus Mangel an Beweisen eingestellt, und die Speicherung war offenbar auch für das LKA Hessen, dem ursprünglichen Datenbesitzer, nicht mehr haltbar gewesen. Ungerührt führt das BKA aus: „Wenden Sie sich daher bezüglich der Löschung des Datensatzes … aus der Datei Innere Sicherheit an das Hessische Landeskriminalamt.“ Und wie sollen nun die Hessen einen Datensatz löschen, den sie nicht mehr haben? Hat das BKA meinen Brief überhaupt gelesen? Also lege ich per Einschreiben beim BKA Widerspruch gegen die Ablehnung der Löschung des Datensatzes ein und wende mich an den Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI). Der kann mir nicht helfen, da das LKA Hessen Datenbesitzerin ist. Also frage ich erneut beim LKA Hessen nach, erkläre die Situation und beantrage die Löschung des betreffenden Datensatzes. Von dort werde ich neun Monate lang vertröstet, immer wieder fehlen Unterlagen für eine Entscheidung zur Löschung. Als sich das LKA Hessen endlich zu einer Äußerung bereit findet, legt es meinen Antrag aus als einen auf Löschung aller durch es gespeicherten Datensätze, obwohl davon gar nicht die Rede war. Die Ablehnung ist deutlich und das Schreiben entlarvend ehrlich: „Von der weiteren Erforderlichkeit der Speicherung kann auch deshalb ausgegangen werden, weil nach kriminalistischer Erfahrung Grund zu der Annahme besteht, dass auch in Zukunft gegen Sie strafrechtlich ermittelt werden muss (§8 Abs. 2 BKAG). Sie sind bereits mehrfach als Umwelt- und Antiatomaktivistin bundesweit in Erscheinung getreten. Dabei liegt es im polizeilichen Interesse an einer effektiven Gefahrenabwehr, einen umfassenden und lückenlosen Überblick über Ihre kriminellen Aktivitäten zu behalten. Die gespeicherten Daten geben Auskunft über Ihre Persönlichkeit und Vorgehensweise, so dass deren weitere Speicherung auch erforderlich ist, um Einzelheiten zur Tatbegehungsweise für die Aufklärung künftiger Straftaten auswerten zu können.“ Auch wenn mir bewusst ist, dass die Polizei alles andere als Freund und Helfer ist, bin ich beim Lesen doch schockiert angesichts des offenen Eingeständnisses, dass es meine politische Motivation ist, die ihnen nicht passt, dass es ihnen um ein „Profil“ von mir geht. Bei all dem Gerede von der „Aufklärung künftiger Straftaten“ hat es die Polizei ja noch nicht einmal geschafft, mich wegen einer meiner angeblich ach so kriminellen Aktivitäten verurteilt zu kriegen. Die laut Polizei so wichtigen Daten sind nichts als eine Aneinanderreihung von Unterstellungen. Also lege ich Widerspruch gegen die Ablehnung der Löschung ein und bitte den Hessischen Datenschutzbeauftragten (LfD) um Prüfung. Er kommt zu dem Schluss: Alles in Ordnung, auch die falsche Auskunft war ja nur ein Versehen. Nur bei der Ablehnung des Löschantrags hätte das LKA sich vorsichtiger ausdrücken sollen: „In diesem Kontext habe ich das LKA darauf hingewiesen, dass die gewählten Formulierungen zur Begründung der Prognoseentscheidung auch so aufgefasst werden könnten, dass sie sich nicht auf ihren Einzelfall sondern allgemein auf eine bestimmte Gruppe beziehen bzw. dass der Eindruck entstehen könne, nicht die einzelnen Taten sind die Begründung für die Einschätzung sondern eine (politische) Einstellung.“ Die beratende Funktion, auf die sich Datenschutzbeauftragte nur zu oft beschränken lassen, verkommt hier also zu guten Ratschlägen, lieber etwas vorsichtiger zu sein mit allzu offenen Einlassungen. Und zu einem geschwinden Einsatz als Souffleur in Sachen Datenschutzbarock, fährt der LfD doch fort: „Bei der Überprüfung konnte ich mich jedoch davon überzeugen, dass nicht ihre Gedanken oder ihre politische Haltung die Prognoseentscheidung begründet haben. Grundlage waren die Taten, die Gegenstand der jeweiligen Ermittlungsverfahren waren und für die (weiterhin) ein Tatverdacht besteht, auch wenn im Einzelfall die Staatsanwaltschaft von einer Anklageerhebung abgesehen hat…“ Für die Speicherung von Daten müssen, und das entspricht leider der ständigen Rechtsprechung, keine Straftaten nachgewiesen sein, ein Verdacht reicht zumindest der Polizei völlig aus. Das funktioniert dann so: Der Polizei passt eine Aktion nicht, sie nehmen Personalien auf und leiten irgendein Ermittlungsverfahren ein. Wie viel oder wenig da dran ist, ist egal, gespeichert werden darf erstmal trotzdem, so lange sich irgendeine Negativprognose konstruieren lässt. Dazu aber reichen auch dem LfD ein paar Angaben von Staatsanwaltschaft und Polizei. Nicht einmal ein Freispruch resultiert zwingend in einer Löschung, wenn dieser nicht explizit wegen erwiesener Unschuld erfolgt. Die Unschuldsvermutung gibt es bei polizeilicher EDV nicht mal formaljuristisch. Statt meine Daten zu schützen, fordert mich der LfD indirekt auf, der Polizei weitere Informationen zu liefern: „Aus meiner Praxis sind mir auch Fälle bekannt, in denen die Betroffenen zusätzliche Informationen geliefert haben, die in diese Entscheidung [über die Löschung] eingeflossen sind.“ Zu dieser Zumutung ist hier wohl nichts hinzuzufügen. Resultat: Der Widerspruch wird abgelehnt. Die Daten bleiben gespeichert. Eine Klage ist mir zu aufwändig und zu wenig aussichtsreich. Episode 2: Fingerabdrücke beim BKA ---------------------------------- Neulich nach einer versuchten Aktion gegen eine Polizeimesse (Ziel war, ein Transparent mit "Polizeigewalt stoppen" zwischen zwei Fahnenmasten vor der Messe aufzuhängen, aber wir wurden mit Gewalt gehindert): Die Polizei verschleppt mich aufs Präsidium und möchte mich erkennungsdienstlich behandeln – das heißt: Fotos machen, Personenbeschreibung anfertigen und Fingerabdrücke nehmen. Wenn ich nicht kooperiere, wird Gewalt angewandt. Erkennungsdienstliche Misshandlung würde es oft besser treffen. Ich habe keine Lust. Sie versuchen mich zu überreden und meinen, ich könne die Daten ja hinterher löschen lassen, wenn es rechtswidrig wäre. Da muss ich laut lachen. Zwei Jahre zuvor. Castor. Ich werde in Gewahrsam genommen und erkennungsdienstlich behandelt. Begründung: Ich hätte die „falschen Vorbilder“ – ich bin also einfach mit polizeibekannten Menschen unterwegs. Gegen diese polizeiliche Maßnahme lege ich Widerspruch ein. Ein halbes Jahr später erhalte ich tatsächlich einen Bescheid, in dem die Bundespolizei die Anordnung zur „erkennungsdienstlichen Maßnahme“ aufhebt und verspricht, alle erhobenen Daten zu löschen. Nach dem Bescheid stelle ich diverse Auskunftsersuchen, unter anderem an Bundespolizei und Bundeskriminalamt (BKA). Ich hatte ja erwartet, dass sie die Daten nicht gleich löschen, aber dass sie mir das auch noch mitteilen? Sowohl bei Bundespolizei als auch bei BKA und LKA Hessen sind Daten aus der erkennungsdienstlichen Behandlung noch gespeichert. Ich weise schriftlich auf den Bescheid der Bundespolizei zur Löschung der Daten hin. Tatsächlich entschuldigt sich die Bundespolizei bei mir und dankt mir für den Hinweis auf den Fehler in ihrer Arbeit: „Solche Hinweise helfen uns, die Qualität unserer Arbeit zu verbessern.“ Sie behaupten, die Daten zu löschen. Ob das mittlerweile passiert ist, weiß ich nicht. Die Daten wurden aber von der Bundespolizei auch ans BKA weitergeleitet, das sie in der Verbunddatei Erkennungsdienst, in der Zentraldatei BKA-Aktennachweis und im Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungs-System AFIS gespeichert. Naiv denke ich: Die Fingerabdrücke sind rechtswidrig erhoben, eine Löschung also reine Formsache und beantrage die Löschung. Die Antwort: „Die beim BKA nach §2 Abs. 4 Nr. 1 BKAG vorhandenen erkennungsdienstlichen Daten/Unterlagen werden dann solange vorgehalten, bis die datenerhebende Stelle ihre Beteiligung an der Speicherung der Daten in der Verbunddatei Erkennungsdienst aufgibt und die Aussonderungsprüfung zu keiner kriminalpolizeilichen Prognose führt, die die Aufrechterhaltung der Speicherung und die Aufbewahrung der Unterlagen rechtfertigt.“ Das BKA hätte jetzt die Daten von der Bundespolizei übernommen, und da weitere Erkenntnisse über mich beim BKA vorliegen, „steht eine Löschung der ed-Unterlagen beim BKA zum jetzigen Zeitpunkt nicht an. Sie sind … wiederholt wegen verschiedener Straftaten polizeilich in Erscheinung getreten.“ Übersetzt: Ob die Daten rechtswidrig erhoben wurden, ist irrelevant. Die weitere Speicherung wird gerechtfertigt mit einer kriminalpolizeilichen Prognose aus einem Satz: „Sie sind von 2008 bis 2012 wiederholt wegen verschiedener Straftaten polizeilich in Erscheinung getreten.“ Die Straftaten beziehen sich hier nicht etwa auf Verurteilungen, sondern auf eingeleitete und danach eingestellte Ermittlungsverfahren. Mehr gespeicherte Daten führen also zu mehr Datenspeicherungen (übrigens ein Grund dafür, sich frühzeitig um die Löschung zu kümmern). Ich schalte den BfDI ein. Mehr als zwei Jahre nach meinem Widerspruch gegen die erkennungsdienstliche Behandlung erhalte ich schließlich Post: Angeblich seien die Daten aus der erkennungsdienstliche Behandlung beim BKA gelöscht worden. Noch einige Monate später finden sich offiziell auch keine Personenbeschreibungsdaten mehr beim LKA Hessen. Im Tätigkeitsbericht des BfDI wird das BKA-Verfahren bei der Löschung erkennungsdienstlicher Daten im polizeilichen Informationssystem thematisiert – eine Löschung der Daten durch Länder (oder Bundespolizei) führe nicht automatisch zur Löschung in den Zentraldateien. Das sei auch mit neuem Verfahren nicht der Fall, das BKA darf – wie bei mir – weiterhin prüfen, ob „eigene Erkenntnisse vorliegen, in Form einer Fahndung, eines Haftbefehls, eines Prüfvermerks, aus eigenen Ermittlungen oder von ausländischen Polizeibehörden. Das BKA darf erkennungsdienstliche Daten nur weiter speicher[n], wenn ihm eigene Erkenntnisse vorliegen, die darauf schließen lassen, dass der Betroffene künftig Straftaten begehen wird (sog. Negativprognose, § 8 Absatz 6 BKAG).“ [#tb24]_ Ob tatsächlich überall die erhobenen Daten gelöscht wurden, weiß ich nicht, aber zumindest in der nächsten Auskunft vom BKA tauchen die Daten nicht mehr auf. Fazit ----- Insgesamt ist es schon ganz praktisch zu wissen, was die Polizei so gespeichert hat und auf welcher Grundlage sie ihre Entscheidungen eigentlich fällen. Wenn du bei der nächsten Polizeikontrolle einfach schon vorher weißt, was sie finden, ist das zumindest ein Informationsvorsprung und das Stellen eines Auskunftsersuchens ist relativ einfach. Wenn es ums Löschen geht, wird es aufwändiger – aber manchmal lohnt es sich. Es gilt jedoch: Je mehr Daten gespeichert sind, desto mehr weigert sich die Polizei, die Daten zu löschen. Kämpft um eure Daten. Je mehr Menschen dazu aktiv werden, desto schlechter für die Behörden ist das Verhältnis von möglichem ermittlerischen Ertrag und Einschüchterung der Aktivist_innen auf einen Seite und den administrativen und vor allem politischen Kosten auf der anderen. Aber natürlich reichen die juristischen Werkzeuge nicht, wie nicht zuletzt die oben dokumentierte beklemmende Auffassung des hessischen LfD illustriert. Am Ende brauchen wir eine politische Strategie gegen die polizeiliche Datensammelwut – schreibt gerne über eure Ideen dazu! Berichte zu Auskunftsersuchen und Löschanträgen: http://datenschutz.nirgendwo.info Mehr zum Thema: https://datenschmutz.de PGP Fingerprint der Datenschutzgruppe: a3d8 4454 2e04 6860 0a38 a35e d1ea ecce f2bd 132a .. [#tb24] Aus: 24. Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar für 2011-2012