In der letzten RHZ haben wir von Fingerabdrücken erzählt, die das BKA nicht mehr löschen mag, wenn es sie einmal hat. Und davon, wie die Polizei erstmal Leute einkesselt, sie dann in Datenbanken steckt und ein Hütchenspiel zwischen Bund und Ländern aufführt, wenn die ehemals Eingekesselten versuchen, wieder aus den obrigkeitlichen Datenmühlen zu entkommen. Auf diese Vorlagen für Kafka-Remakes können wir noch drauflegen: Dieses Mal erzählt unsere Gastautorin Ada L. eine Geschichte zu personengebundenen Hinweisen.
Personengebundene (je nach Behörde auch „personenbezogene“ genannt) Hinweise (PHW) sind formalisierte Kurzangaben zu einer Person, welche die Polizei in ihren großen Nachweissystemen speichert – der Kriminalaktennachweis KAN des BKA hat solche PHWs genauso wie alle analogen Landessysteme. Bei jeder Personalienabfrage bekommen die kontrollierenden Beamt*innen diese Hinweise geliefert – und geben ihnen dann oft Anlass zu Volldurchsuchung oder Platzverweis.
Jede Speicherung personenbezogener Daten im Geltungsbereich des Grundgesetzes braucht eigentlich einen Zweck. Bei PHWs hat die Polizei die Auswahl zwischen „Eigensicherung“ und „Strafverfolgung“. Zur „Eigensicherung“ der Polizeikräfte werden im gegenwärtigen Vokabular des BKA-KAN beispielsweise GEWA für gewalttätig oder BEWA für bewaffnet, aber auch wie Ansteckungsgefahr oder Geisteskrank vergeben – letzteres tatsächlich mit diesem aus vergangenen Jahrhunderwenden herüberwehenden Begriff. Die Landespolizeien haben meist ähnliche Begriffe, doch ist das Vokabular duchaus einer zeitlichen Entwicklung unterworfen. Immerhin wird nach langer und ausdauernder Skandalisierung derzeit – soweit wir wissen – nirgends mehr der einstmals sehr populäre PHW Landfahrer vergeben.
Hingegen bleiben über 150.000 Personen in der Kategorie BTM (Betäubungsmittelkonsument*in) gespeichert, zum Teil nur, weil die Polizei eine Drogenkontrolle durchgeführt hat, ganz unabhängig von deren Ausgang.
In die andere Kategorie – PHWs wegen „Grund zu der Annahme [...], daß Strafverfahren gegen den Beschuldigten oder Tatverdächtigen“ zu führen seien – fallen insbesondere alle Arten von politischen Kategorisierungen. Klassiker hier ist der personengebundene Hinweis LIMO („Straftäter, politisch links motiviert“). Dieses Kürzel ist fast 10.000 mal gespeichert. Ähnliches gibt es für „rechts“ („REMO“, ca. 20.000 mal vergeben) und „Straftäter politisch motivierte Ausländerkriminalität“, den es im KAN immerhin über 3500 mal gibt.
Aber wie kommt es zur Speicherung als „Straftäter“? Grund für die Speicherung eines personengebundenen Hinweises „Straftäter links“ ist oft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Wohlgemerkt: eine rechtskräftige Verurteilung ist nicht notwendig. Die Polizei lässt das in der Berliner Senats-Drucksache 17/14377 [1] so erklären:
Die Verwendung der Begrifflichkeit „Straftäter“ umfasst allgemein und im Zusammenhang mit Politisch motivierter Kriminaliät (PMK) auch den strafprozessualen Status des/der „Tatverdächtigen“, des/ der „Beschuldigten“, des/der „Angeschuldigten“ sowie des/der „Angeklagten“.
Der Begriff des Straftäters wird also durch die Polizei einfach umdefiniert. Zur Speicherung
genügt der durch Tatsachen manifestierte und damit begründete Anfangsverdacht des Begehens oder der Beteiligung (an) einer Straftat, die der Politisch motivierten Kriminalität – links – zugeordnet werden kann.
Gespeichert wird also, wenn die Polizei eine (links) politisch motivierte Straftat konstruiert. Wenn es sich um so etwas wie Widerstand oder Landfriedensbruch handelt, wird oft gleich noch ein Hinweis „gewalttätig“ dazu gespeichert.
PHWs sind also weitgehend willkürlich einsetzbare Strafinstrumente der Polizei. Deshalb liebt sie sie heiß und innig. Entsprechend aufregend ist die folgende Geschichte von dem Versuch, die Löschung eines PHWs zu erzwingen, besonders, was die Tricks und Verdrehungen der Polizei im Kampf um seinen Erhalt betrifft.
Auch bei mir ist ein LIMO-Hinweis gespeichert. Das stelle ich bei einem Auskunftsersuchen an ein Polizeipräsidium in einer Stadt in NRW fest. Ein Transparent mit der Aufschrift „Polizei-/Staatsgewalt stoppen“ war wohl von den Cops nicht gern gesehen. Jedenfalls diente das folgende absurde Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch auf einem öffentlichen Platz vor der Polizeimesse als offizielle Begründung für den Eintrag. Es ist längst eingestellt – der Eintrag im polizeilichen Informationssystem aber bleibt. Nach einer Personalienkontrolle bei einer Blockade einer Brennelementefabrik, bei welcher der Hinweis aufgetaucht ist und eine Zusatz-Bewachung nach sich gezogen hat, entschließe ich mich zu kämpfen und beantrage die Löschung im Januar 2014.
Nach vier Monaten erinnere ich die Polizei an meinen Löschantrag und drohe mit einer Klage wegen Untätigkeit: §75 VwGO verpflichtet Behörden, innerhalb von drei Monaten zu reagieren. Die Drohung wirkt: Brav entschuldigt sich die Polizei für die verzögerte Bearbeitung und holt Stellungnahmen ein. Schließlich erhalte ich eine Mitteilung, nach der geplant ist, meinen Antrag abzulehnen, weil die Polizei weiterhin einen Restverdacht sieht.
In meiner Stellungnahme bitte ich höflich um Erläuterung, worin der Restverdacht konkret bestehen soll, bei Hausfriedensbruch auf einem nicht umfriedeten Gelände. Ich finde mich aber schon mit dem Gedanken ab, dass ich wohl klagen muss, um den Eintrag wegzubekommen. Die überraschende Antwort kurze Zeit später: Der behördliche Datenschutzbeauftragte [2] hat wohl den Datenschützer in sich entdeckt, gibt meinem Löschantrag statt und will gleich sämtliche über mich suchfähig gespeicherten Daten im Polizeipräsdium löschen. Ich weise nach meinen Erfahrungen mit Hessen (vgl. RHZ 1/2016) noch darauf hin, dass die Löschung auch an die anderen Dienststellen weitergeleitet werden muss und hoffe, dass die Polizei bei der nächsten Kontrolle nicht sofort wieder auf den Eintrag stößt und mich mitnehmen will. Damit wäre das Ganze also erledigt, denke ich, doch...
Wenig später trifft bei mir überraschende Post ein: Der Löschantrag wurde zuständigkeitshalber ans LKA NRW weitergeleitet. Also ein neuer Brief ans LKA NRW mit der Aufforderung, dem von der Polizei vor Ort schon geprüften Löschantrag nachzukommen. Zwar erklärt sich das LKA in einer ersten Anwort für zuständig, braucht aber doch drei Monate, bis es eine neue Überraschung aus dem Hut gezaubert bekommt: Die zugehörige Akte sei wieder im ursprünglichen Polizeipräsidium, die Zuständigkeit liege wieder dort. Mit der Geduld von Karl Valentins Buchbinder Wanninger schreibe ich also dorthin und fordere die Durchführung der nun schon vor Monaten zugesagten Löschung.
Was jetzt kommt, ist an Dreistigkeit schwer zu überbieten: Der behördliche Datenschutzbeauftragte der Polizei ignoriert völlig, dass er selbst bereits die Löschung des gesamten Datenbestands bestätigt hatte. Er schreibt jetzt lakonisch:
Tatsache ist, dass der PHW „LIMO“ in POLAS/INPOL bei Ihnen Bestand hat.
Interessanterweise werden in der Begründung einige gespeicherte Verfahren gegen mich aufgeführt, die nach seinen Angaben doch schon längst gelöscht waren, aber auch Angaben, die mir nie als gespeichert mitgeteilt wurden. So zum Beispiel, dass in Gerichtsverfahren der „Gruppe von Aktivisten“, denen ich „zuzuordnen“ sei, auf die „Inanspruchnahme von Notwehrrechten“ finalisiert werde und deshalb gleichgelagerte Aktionen durch mich zu erwarten seien. Den Prozess, auf den hier angespielt wird, habe ich besucht – ich war jedoch weder angeklagt noch direkt aktionsbeteiligt. Eine Auskunft darüber, um welche Verfahren konkret es sich handelt, wird mir verweigert.
Insgesamt wird mir eine ziemlich beeindruckende Negativ-Prognose ausgestellt, beruhend auf Ermittlungsverfahren der Polizei, die größtenteils sofort wieder eingestellt wurden. Für die Polizei ist ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren jedoch offensichtlich gleichbedeutend mit einer Verurteilung, politische Aktivität gleichbedeutend mit Straftaten. Und endlich maßt sich die Polizei an, als Wächter über Gut und Böse die Untertanen erziehen zu dürfen, ja zu müssen: „Ob Sie durch das erneute Ermittlungsverfahren nachhaltig beeindruckt sind und sich dies zur Mahnung gereichen lassen, bleibt abzuwarten,“ heißt es pompös paternalisierend in einem polizeilichen Schreiben, dessen Ziel offenbar sein soll, dem „mittlerweile jahrelangen Wirken im Bereich Links in unterschiedlichen Themenfeldern“ ein Ende zu bereiten.
Dass bisher kein einziger Vorwurf mit einer Verurteilung endete, ist für den Staatsschutz (der hier vermutlich federführend war und gegen die Löschung intervenierte) nicht von Belang. Die Polizei hat sich ihr ganz eigenes Rechts- und Staatsverständnis zusammengezimmert.
Dieses polizeiliche Verständnis vom eigenen Erziehungsauftrag ist so weit jenseits auch des bürgerlichen Staatsverständnisses, dass ich eine Klage vorm Verwaltungsgericht riskiere, um die Umsetzung der mir mitgeteilten Löschung zu erzwingen. Es folgt ein Schriftverkehr mit dem Gericht.
Auch geht es nicht ohne überraschende Volten: Die Polizei bestreitet einfach, den Antrag entschieden zu haben und meint, der personengebundene Hinweis wäre mit der bestätigten Löschung nicht gemeint gewesen. Die weitere Speicherung begründet sie zudem mit „unzweifelhaft politisch motiviertem“ Verhalten und einer angeblichen Tat in Niedersachsen. Dabei ging es um den Tausch von Personalausweisen in einem Polizeikessel nach der erwähnten Blockade der Brennelementefabrik (auf Nachfrage gaben alle korrekte Personalien an, aber Sortieren musste die Polizei trotzdem). Das war vielleicht für die Polizei nervig, aber stellt keine Straftat dar, so gerne die Staatsgewalt das gehabt hätte – ich wurde rechtskräftig freigesprochen.
In Niedersachsen hatte ich nach dem Freispruch direkt die Löschung der Personalausweis-Tausch-Geschichte aus den Polizeidatenbanken beantragt und diese vom LKA auch bestätigt bekommen, auch, was ihre Speicherung in den Verbunddatenbanken des BKA betraf. Kam also die Ausweisgeschichte aus meiner Kriminalakte? Ich weiß es nicht, denn nach aktuellem Stand soll ich keine Einsicht in dieses Dokument bekommen. Dadurch könnte nämlich das „erfolgreiche taktische Handeln der Polizei als Strafverfolgungs- und oder Gefahrenabwehrbehörde“ gefährdet werden, sagt die Polizei. Ein Kompliment oder nur der Versuch, polizeiliche Datensammlung um jeden Preis geheim zu halten, weil sonst ans Licht kommen könnte, was alles rechtswidrig ist?
Die Klage läuft zwei Jahre nach dem ersten Löschantrag noch. Ihr Ausgang ist offen.
Währenddessen hat der personengebundene Hinweis weiter reale Auswirkungen: Bei Polizeikontrollen im Umfeld von Demonstrationen purzelt der Eintrag als erstes aus den Dateien und hat polizeiliche Anders-Behandlung zur Folge. Manchmal bedeutet er, dass die Polizei gar nicht erst versucht, mich zu verhören, weil sie weiß, dass sie keinen Erfolg haben wird, manchmal aber auch den Unterschied zwischen Platzverweis oder direkter Ingewahrsamnahme. Dann kann ich zwar hinterher feststellen lassen, dass die Polizei rechtswidrig gehandelt hat, aber das wird sie beim nächsten Mal dennoch wieder tun. Und ganz praktisch erspart mir das auch nicht ein paar Stunden in einer Polizeizelle. Das ist eben, was „effektive Gefahrenabwehr“ bedeutet – die Polizei rechtfertigt rechtswidrige Maßnahmen mit willkürlichen, rechtswidrigen Datenspeicherungen. Der so gern beschworene Rechtsstaat gerät beängstigend schnell unter die staatsgewaltlichen Räder, wenn es um „Gefahrenabwehr“ und „Sicherheit“ geht.
Wir dürfen uns jedoch nicht davon einschüchtern lassen, müssen weiter Skandale ans Licht bringen und strukturelle Probleme aufzeigen.
Ein Beispiel für einen Skandal, der medienwirksam aufgedeckt werden konnte, ist die Führung einer geheimen Fan-Datei für angeblich gewalttätige Sport-Fans in Hamburg. Die Existenz einer solchen Datei wurde 2014 geleugnet und erst Anfang 2016 im Hamburger Senat eingeräumt. Betroffene der Speicherungen wurden natürlich nicht informiert. Auf den Trubel in der Presse hin überprüfte der Hamburger Datenschutzbeauftragte die Datei und beanstandete unter anderem, dass „bei einem nicht unerheblichen Teil der Verdächtigen und Beschuldigten ... die Erforderlichkeit der Speicherung nicht positiv festgestellt“ werden konnte und bei zahlreichen „Kontakt- und Begleitpersonen“ die gesetzlich festgelegte Speicherdauer überschritten war. Es ist ziemlich sicher, dass das bei den anderen von der Polizei geführten Dateien nicht viel anders aussieht, seien es jetzt personengebundene Hinweise oder staatsschutzeigene Spezialdateien.
Im Kontext der personengebundenen Hinweise und der Verdächtigungen ohne Grundlage passt es auch ganz gut, sich als strukturelles Problem die Erstellungsmethode für polizeiliche Kriminalitätsstatistiken anzusehen. Bei ihr ist die politische Motivation der Polizei kaum zu übersehen: Gezählt werden nicht die Verurteilungen, sondern die eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Wie schnell die Polizei mit Verfahren wegen Beleidigung, Widerstand oder Landfriedensbruch dabei ist, muss in dieser Zeitung wohl nicht bejammert werden. Wenn die Polizei aber mehr Personen wegen Beleidigung anzeigt, steigt die Statistik bei der Anzahl von Straftaten gegen Polizist*innen. Mit den Daten werden dann ein Personalausbau bei der Polizei und höhere Strafen gefordert. So schafft sich die Polizei die Argumente für ihre politischen Positionen selbst.
All dies sollten wir weiter thematisieren, dürfen aber darüber nicht vergessen, dass Polizei und Staat an sich ein strukturelles Problem sind. Der Kampf gegen den Polizeistaat geht weiter, egal ob auf der Straße oder um unsere Daten.
Ada L.
Mehr zum Thema: https://datenschmutz.de
PGP Fingerprint der Datenschutzgruppe: a3d8 4454 2e04 6860 0a38 a35e d1ea ecce f2bd 132a
[1] | http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/S17-14377.pdf |
[2] | Behördliche Beauftragte für Datenschutz müssen (oder, nach verschiedenen Landesrechten, können) von der Leitung der Behördenebene ernannt werden; sie haben in der Praxis selten nennenswert Ressourcen, Komptenzen oder auch nur spürbar Liebe zum Datenschutz. |
Dieser Artikel ist in der Kolumne get connected der Zeitung der Roten Hilfe erschienen. Das Material kann gerne gemäß CC-0 weiterverwendet werden.
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