Brains! Brains!

Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht tot, sie riecht nur komisch

Kaum waren die Schüsse in der Redaktion von Charlie Hebdo verklungen, kippte Justizminister Heiko Maas, der zuvor die Vorratsdatenspeicherung noch zutreffend als atemberaubende Menschenrechtsverletzung identifiziert hatte, lautstark um. Das Kabinett hat den Gesetzentwurf zum Wiedergang der VDS schon abgenickt, und da kein ausreichender Aufstand in Sicht ist, wird das Parlament im Herbst wohl auch nur winken. Zur VDS haben wir in RHZ 2/07 eigentlich schon alles gesagt, und von ein paar unwesentlichen Parametern abgesehen (na ja: Mails und Instant Messages sind jetzt ausgenommen) haben wir da nichts zu korrigieren. Lest also unter https://datenschmutz.de/gc den archivierten Artikel. Hier hingegen wollen wir eine wahre Geschichte zum Thema Entscheidungsprozesse in Bürgerrechtsfragen erzählen. Tangential, sozusagen.

Wir schreiben den 10.8.1994. Am Flughafen München haben sich die Besten der Besten der Bayrischen Polizei versammelt. Zugriff! Mit viel Tamtam werfen sie Justiniano Torres Benítez und Julio Oroz Eguia nieder und verhaften sie. Treffer: Die beiden hatten ein gutes halbes Pfund Plutonium-239 bei sich, bereits auf fast 90% angereichert, und nochmal fast ein Pfund Lithium-6. Ersteres hätte als etwa ein Zehntel einer recht robusten Atombombe getaugt, letzteres hätte mit viel High-Tech in einer Wasserstoffbombe Verwendung finden können.

Die Reaktionen waren damals nicht anders als heute; so ließ sich etwa der CSU-Innenpolitiker Wolfgang Zeitlmann vernehmen: „Wir müssen sicher jetzt das Verbrechensbekämpfungsgesetz durchsetzen. Und der BND muss alles überwachen und kontrollieren können, was technisch möglich ist...“ Weil damals sowas noch nicht salonfähig war, schob er ein etwas verschämtes „...und was von seinen Aufgaben her auch zulässig ist“ hinterher. Immerhin. Das durchzusetzende Verbrechensbekämpfungsgesetz (VBG) war ein dickes Paket für mehr Überwachung und den Abbau von Bürgerrechten – beides keine Erfindungen der Post-9/11-Zeit –, das beispielsweise genau die universellen Befugnisse des BND zum Abhören von Auslandsleitungen vorsah, die 2015 mit den „Selektoren“ der NSA wieder mal hochblubberten. Dazu enthielt das Gesetz reichlich neue Befugnisse für Geheimoperationen der Polizeien. Auch diese Begehrlichkeiten haben eine lange Tradition.

Umfallen als Programm

„Durchsetzen“ wollte Zeitlmann das Schnüffelpaket gegen die SPD. Wie im Law-and-Order-Genre üblich enthielt es nämlich vor allem Instrumente zur Überwachung von Menschen, die vielleicht aufsässig, aber im Wesentlichen gesetzestreu handeln. „Gefahrenabwehr“, wie staatliches Handeln der Sorte heißt, ist in der BRD vielleicht nicht mehr praktisch, aber doch rechtslogisch Ländersache. Daher brauchte das VBG die Zustimmung des Bundesrates, in dem aber gegen Ende der Ära Kohl nichts gegen die SPD lief. Diese hatte Bedenken gegen ein paar der übelsten Zumutungen angemeldet.

Nachdem die Ereignisse in München verdeutlicht hatten, wie drohend die im deutschen Sicherheitssumpf schon so lange beschworene Gefahr durch die zerfallende Sowjet-Nuklearindustrie war, konnte die SPD natürlich wieder mal nicht anders. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz trat am 28.10.1994 in Kraft und gilt im Wesentlichen bis heute, auch wenn der Nuklarschmuggel in der Folge ausschließlich in die andere Richtung ging: Wo inzwischen überall westlicher Atommüll herummodert, will sicherheitshalber niemand wissen. Wobei in der Tat einzuräumen bleibt, dass, wie im Gefolge der Wikileaks-Botschaftsdepeschen herauskam, in einigen Sowjet-Anlagen in Kasachstan neben Plutonium liegendes Kupfer geklaut wurde. Das Plutonium haben die Diebe schlauerweise liegengelassen.

In jedem Fall hat in der Zwischenzeit kein Parlament irgendwas aus dem Ausnahmezustandsgesetz VBG zurückgenommen. Nur wenige ausgewählte Skandalregelungen, die geduldige Leute mit viel Zeit und Geld vor dem Bundesverfassungsgericht weggeklagt bekommen haben, sind außer Kraft. Eines der einschlägigen Urteile ist 1 BvR 2226/94 (14. Juli 1999), nach dem „der Staat grundsätzlich keine Kenntnis [von Kommunkationsmetadaten] beanspruchen [kann]. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich möglich sein.“ Wer allerdings meint, schon damit sei die Vorratsdatenspeicherung höchstrichterlich verboten, lernt ein paar Absätze weiter unten, „der Grundsatz der Zweckbindung [schließe] Zweckänderungen nicht rundweg aus“ – und so fort. Die Salamitaktik, Grundrechte in einer Art perversem Dialog zwischen einer überwachungssüchtigen Regierung und ihrem dienstbaren Parlament auf der einen und einer rechtsstaatlichen Anspruch und gesetzgeberischen Willen verzweifelt zusammenbringen wollenden Justiz abzubauen, ist jedenfalls auch keine Erfindung unserer ach so unsicheren Zeiten.

Die Geschichte der Durchsetzung des VBG bekommt zu Ostern 1995 allerdings einen nachgerade cinematischen Twist. In Ausgabe 15/1995 machte der Spiegel, der zuvor noch eifrig ins „Organisierte Kriminalität, Ogottogott“-Horn gestoßen hatte, mit „Panik made in Pullach“ auf und berichtete, der Plutoniumschmuggel sei Teil der BND-Operation „Hades“ gewesen und vom windigen Referat 11A – zuständig für Geldwäsche und Drogenhandel jenseits der Ostgrenzen – aufgezogen worden, unter Verwicklung des BND-Residenten in Madrid, eines ehemaligen BKA-V-Manns namens Roberto, der zum BND gewechselt war, eines spanischen Polizeireservisten in BND-Diensten namens Rafa, der Hypobank, noch bevor der Real-Estate-Pleitegeier über ihr kreiste, dem russischen Atomminister Sidorenko, der aus welchen Gründen auch immer ebenfalls in der Plutoniummaschine saß, und natürlich reichlich interner Reibereien von Halbweltexistenzen, die das große Rad (276 Millionen Dollar) drehen wollten.

Die pralle Story beschäftigte in der Folge zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestags, die wiederum bemerkenswerte Parallelen zu aktuellen Untersuchungsausschüssen in Sachen NSA und NSU zeigen: Mehrheitsfraktionen, die mit Geschäftsordnungstricks Antworten auf peinliche Fragen verhindern und wesentliche Zeugen ausladen, und permanenter Geheimschutz, der damals Ausschussmitglieder mit drei Jahren Knast bedrohte, sollten sie gegen geheimdienstlichen Willen Signale nach außen geben.

Regime der Staatsräson

So kam der BND damals mit der Version davon, der Ankauf sei vom bayrischen LKA quasi in Eigenregie unternommen worden. Diese Version war so haarsträubend lächerlich, dass es jeweils eigene Berichte der Minderheitsfraktionen gab; der der Grünen darf als letztes bürgerrechtliches Aufbäumen vor dem Ausverkauf für den Kosovokrieg gelten, fordert er doch immer noch die Abschaffung des BND. Mit leichter Hand und garniert mit süffisanten historischen Zitaten – die waren nicht strafbewehrt – hingegen schrieb Gregor Gysi seine Einschätzung (Bundestagsdrucksache 13/10909), der literarische Qualitäten ebenso zu bescheinigen sind wie erheblicher Zeitwert im Hinblick auf die real existierende FDGO.

Gysis Leitmotiv ist das „Regime der Staatsräson“, im vorliegenden Fall also das Narrativ, die Welt sei voll von irren Schurken, vor denen uns nur der Tiefe Staat schützen könne, weshalb immer weitreichendere Kompetenzen für diesen und effektiver Ausschluss für die Restgesellschaft überlebenswichtig seien. In der Folge diagnostiziert Gysi genau das „Elend der parlamentarischen Untersuchung“, das wir rund um NSA und NSU auch jetzt wieder beobachten können. Als pikantes Zuckerl enthält der Bericht ein deklassifiziertes Dokument, in dem die Abteilung 11A des BND und das bayrische LKA im Juli 1994 einen Kokainschmuggel in exakt der Art des Plutoniumschmuggels gemeinsam inszeniert hatten – die Parallelen von Personal und Modus Operandi machen dieses Dokument zu einem sehr treffenden Kommentar zur im Ausschussbericht reflektierten Regierungsmeinung, „der BND [habe] weder in München noch in seiner Residentur in Madrid diesen Plutoniumfall eingefädelt.“

Und dann enthält Gysis Bericht noch eine Beobachtung, die von „Anti-Terror“-Datei bis VDS (ursprünglich ja zwecks fairem Wettbewerb verordnet) immer wieder trifft: „Diese Art schleichender Ausnahmegesetzgebung zugunsten der Exekutive, die als eine Klausel unter anderen in den verschiedensten Gesetzen unter den verschiedensten harmlosen Namen daherkommt, besitzt nicht nur in diesem Fall, sondern generell eine gefährliche Dimension – die Dimension geräuschloser Ermächtigung.“

Und heute?

Der Charlie Hebdo-Anschlag – so sehr er ohne den historischen Hintergrund des geheimdienstlichen „War on Terror“ kaum vorstellbar erscheint – ist nun sicher kein Analogon zur Plutonium-Affäre. Eine Politik jedoch, im Rahmen derer jede Sauerlandgruppe, jeder Kofferbomber, jedes Frankfurter Ehepaar mit Brennspiritus Regierung und Parlament „zwingt“, wieder eine Scheibe von der Bürgerrechtssalami abzuschneiden, macht Neuauflagen der Operation Hades für den Tiefen Staat ganz furchtbar verlockend, wenn er mal wieder neue Rechte haben will. Die Plutoniumaffäre ist, selbst in der regierungsamtlichen Form, ein schönes Beispiel dafür.

Modellhaft ist der Skandal übrigens auch im Hinblick auf die aus unseren kleinen Repressionsfällen wohlbekannte amtliche Straffreiheit: Nach der Operation Hades fuhren die drei Glücksritter, die der BND verwendet hatte, für zwei bis vier Jahre ein, während die Drahtzieher bei LKA und BND, soweit bekannt, heute gute Pensionen beziehen. Das wiederum klappte, da der bayrische Innenminister Beckstein seinem LKA im Juli 1994 kurz vor der Operation eine eigene Verordnung für Scheinkäufe und Import von radioaktivem Material geschenkt hatte.

Der Tiefe Staat schrieb und schreibt sich seine Gesetze selbst. Zwar kommt er damit beleibe nicht immer durch – in der Plutoniumaffäre etwa war die Becksteins Verordnung nur der Plan B, nachdem eine Änderung des bundesweiten Atomgesetzes in die entsprechende Richtung gescheitert war – aber oft genug klappt es eben doch. Und so winkt jetzt die halbverweste Hand der VDS aus ihrem Grab, der Rest des stinkenden Kadavers folgt im Herbst.

Und weil wir darüber heulen könnten, gehen wir jetzt und gucken uns das grandiose Finale von Braindead an. Party's over. Nur, dass den Rasenmäher für BND, VS und Konsorten noch niemand gefunden hat.

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Dieser Artikel ist in der Kolumne get connected der Zeitung der Roten Hilfe erschienen. Das Material kann gerne gemäß CC-0 weiterverwendet werden.

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