Vertraute Ämter

Volkszählung 2.0 mit dem „registergestützten“ Zensus

Die Mobilisierungen zur letzten West-Volkszählung in den Jahren 1983 und 1987 sind auf ihre Weise Legenden wie Seattle oder Genua. In ihnen wurde Datenschutz zum Massenthema. Die gesamtgesellschaftliche Resonanz war so groß, dass die hiesigen Obrigkeiten noch immer eher vorsichtig auftreten, wenn sie auf der „informationellen Selbstbestimmung“ – auch ein Begriff aus dieser Zeit – herumtrampeln. 2011 findet nun wieder etwas statt, das als Volkszählung daherkommt. Die öffentliche Diskussion darüber war jedoch bislang eher gedämpft. Warum? Und worum geht es überhaupt?

Dass sich die deutsche Obrigkeit nach den Traumata der 1980er Jahre jetzt wieder an etwas wie eine Volkszählung traut, mag wesentlich am EU-Vertrag von Lissabon liegen. Der nämlich sieht für verschiedene Ratsentscheidungen die qualifizierte Mehrheit von 55% der Staaten mit 65% der Bevölkerung vor. Natürlich glauben jetzt alle Staaten, die anderen würden ihre Völkerschaften hochrechnen – zumal das ja auch via Senkung des mittleren Einkommens bei der Strukturförderung einkömmlich wäre –, und so müssen EU-weit möglichst homogene Daten her.

Fraglos möchte aber die hiesige Regierung wie jede Obrigkeit auch ohne EU möglichst viel über ihre Untertanen wissen, teilweise auch begründet mit weit in linke Kreise konsensfähigen Interessen wie etwa „effizienter Planung“. Wo und wie Auto- und Startbahnen, unterirdische Bahnhöfe und Munitionsdepots, Polizeistationen und Atomkraftwerke gebaut werden, entscheidet sich eben unter anderem nach Datenlage. Wenn die falsch war, bewacht die Polizei Kindertagesstätten, während RevolutionärInnen das Rathaus stürmen. Solchen Szenarien relativieren die Kosten von mindestens 750 Millionen, die laut Gesetzentwurf für die Durchführung des Zensus anfallen werden.

Ziel und Weg

Ergebnis des Zensus soll ein Datensatz sein, der im Wesentlichen von der Verordnung 763/2008 des EU-Parlaments vorgegeben wird. Dabei werden Personen und Wohnungen gezählt. Für (fast) jede Person in der BRD soll am Ende ein Datensatz mit (zum Teil erschlossenen) Daten existieren zu:

  • Geschlecht, Alter
  • Staatsangehörigkeit, Geburtsort
  • Üblicher Aufenthaltsort (Postleitzahl) und Datum des Einzugs
  • Vorheriger üblicher Aufenthaltsort
  • Für Menschen, die oder deren Eltern seit 1955 „eingewandert“ sind: Jahr der Ankunft in der BRD und Herkunftsland
  • Ausgeübter Beruf, Erwerbsstatus, Stellung im Beruf („selbstständig“, „mithelfende Familienangehörige“ u. dgl.), Wirtschaftszweig, höchster Bildungsabschluss
  • Arbeitsort
  • Familienstand, Haushaltstyp, -größe
  • Religion (incl. „freiwilliger“ Angabe zu muslimischen Strömungen)

Aus Antirep-Sicht weit dramatischer als das Ergebnis des Zensus ist indes die Methode, mit der der Datensatz erzeugt werden soll. Der Zensus 2011 nämlich ist und war bereits ein Generalmanöver im „Record Linking“. Von dieser Beschäftigung war schon in unserem Artikel über Data Mining (RHZ 4/06) als zentraler Aufgabe bei der Beherrschung großer und heterogener Datensätze die Rede: Grob gesagt geht es darum, Daten aus verschiedenen Quellen so zusammenzubringen, dass nachher nicht nur wirres Zeug im Computer steht.

Da Vorversuche andeuten, dass das gut funktioniert, verzichtet der Staat auf eine flächendeckende Befragung. Ob jemand bei diesem Zensus mit Besuch von „Erhebungsbeauftragten“ zu rechnen hat, erfährt er/sie erst, wenn (irgendwann im März oder April 2011) eine diesbezügliche Benachrichtigung eintrudelt. Auch wenn es so aussieht, ist das nicht primär eine Herrschaftstechnik, um Unmut und Widerstand durch Vereinzelnung zu schwächen. Tatsächlich vermuten die StatistikerInnen, dass sie mit dem gewählten Ansatz bessere Daten bekommen werden als mit den Vollzählungen.

Dennoch bleibt Record Linking eine schwieriege Sache. Das illustriert die bereits erfolgte Konstruktion des Anschriften- und Gebäuderegisters (AuGR) recht schon. Das AuGR ist eine Datenbank, die jedes Gebäude in der BRD genau ein Mal und mit einer Schätzung der Zahl der BewohnerInnen enthalten soll. Zu seiner Bildung wurden zu Stichtagen in den Jahren 2008 und 2010 86 Millionen Datensätze der Meldebehörden, 35 Millionen von der Bundesanstalt für Arbeit und 21 Millionen aus dem GAB, einer bundesweiten Datenbank von Gebäuden mit ihren Geokoordinaten, an die Statistikbehörden des Bundes und der Länder übertragen. Dazu kamen kommerzielle Daten zu Straßen- und Ortsnamen von PostDirekt.

Nun sind aber Straßennamen verschieden geschrieben („Monika-Hohlmayer-Weg“ vs. „Hohlmayerweg“) oder vertippt. Eine Standardisierung dieser Schreibweisen hat allein beim Melderegister gut 170000 Anschriften zum Verschwinden gebracht, bei den BA Arbeit-Daten 54.5% (!) der zuvor rund 30 Millionen Anschriften aus dieser Quelle. Die BA Arbeit übernimmt die Anschriften weitgehend von Amateuren, nämlich Privatpersonen bzw. Unternehmen, womit in solchen Zahlen die Grundweisheit des Datenmanagements steckt: Ohne einfache und fehlerkorrigierte Identifikationsnummern ist Herrschaft schwierig, und was nicht von Profis kommt, ist nur mit viel Arbeit zu ordentlichen Daten zu machen.

Im konkreten Spezialfall wird die Situation durch Straßenumbenennungen oder Eingemeindungen nicht einfacher, und auch nicht durch die verschiedenen Geschwindigkeiten, mit denen solche Änderungen in die verschiedenen Datenbestände eingearbeitet werden. Mit einer Datenbank entsprechender Verwaltungsakte haben die StatistikerInnen versucht, die verschiedenen Daten auf ein einheitliches Datum zu bringen.

Nach all diesen Maßnahmen zur „internen“ Homogenisierung der noch getrennten Datenbestände waren immer noch 36000 Straßen aus dem GAB nicht im Adressverzeichnis der Post enthalten (ingesamt gibt es in der BRD 1.15 Millionen Straßen mit Wohnhäusern). Selbst bei so großen Dingen wie Straßen und professionell gepflegten Datenbeständen sind also Fehler von 3% jederzeit drin.

Ein vorläufiges Anschriften- und Gebäuderegister entstand schließlich durch eine Zusammenführung aller drei Quellen; solange eine Anschrift in zwei der drei Quellen enthalten war, wurde sie als real bewertet, ansonsten durch Handarbeit der statistischen Landesämter (Stadtpläne oder zur Not Augenschein) überprüft. Wiederum ganz illustrativ ist, dass trotz aller Vorarbeiten 0.7% der Anschriften aus dem Melderegister weder den Vermessungsämtern noch der Bundesanstalt für Arbeit bekannt waren.

Es sind solche „Ritzen“, die das Record Linking zu einer Kunst machen, sie erlauben aber gerade deshalb einige Sorten von Freiheit. Die Statistikämter hätten derzeit eine wunderbare Übersicht über einen ganzen Haufen Geflunker und Geschlampe. Klarerweise könnten alle im Zensus vereinigten Datenbestände erheblich verbessert werden, wenn diese Erkenntnisse dort eingearbeitet würden. Doch käme dabei auch so viel an Steuerhinterziehung zutage, dass bereits 1983 das Verfassungsgericht untersagt hat, mit zu Statistikzwecken zusammengeführten Daten Registerbereinigung durchzuführen (zur Bekämpfung von „Sozialbetrug“ sind solche Zusammenführungen natürlich längst erlaubt und werden unabhängig von Volkszählungen durchgeführt). Das läuft unter dem Titel „Rückspielverbot“. Aus den erwähnten Gründen dürfte das auch weitgehend eingehalten werden, vermutlich sogar über die nächste Runde autoritärer Hysterie hinaus.

Primärstatistisch

Das vorläufige Anschriften- und Gebäuderegister ist unter anderem die Basis für die von der EU geforderte Wohnungszählung. Auf der Liste der von der EU gewünschten Items stehen aber auch Sachen wie Baujahr, Heizungsart, Zahl der Wohnungen oder sanitäre Ausstattung, die so in keinem Register erfasst sind. Daher mussten diese „primärstatistisch“ erhoben werden, also nach alter Väter Sitte durch Anschreiben bzw. Ansprechen von Menschen, die dazu Auskunft geben können – BesitzerInnen, aber auch Verwaltungen oder ggf. MieterInnen. Deren Kontaktdaten wurden unter Rückgriff auf Grundbuchämter, Finanzbehörden, Elektrizitätsversorger oder die Müllabfuhr bestimmt. Die Ansprache fand dann größtenteils bereits 2010 statt – über den Rücklauf ist wenig bekannt, anekdotisch dürfte er aber weit unter 100% liegen.

Aus dem AuGR wird weiter die „Haushaltestichprobe“ generiert. In ihr stehen Menschen, die nun doch einen Fragebogen ausfüllen müssen. Alles Zusammenführen von Daten kann nämlich noch nicht zeigen, wie gut die Realität im kombinierten Datensatz reflektiert wird. Die StatistikerInnen wollen aber (in Gemeinden über 10000 EinwohnerInnen, die kleineren machen ihnen nicht so viele Sorgen) Zahlen haben, die für den Stichtag auf 0.5% genau sind, so dass also z.B. in einem auf 50000 Menschen geschätzten Ort fast sicher („drei sigma“) zwischen 49250 und 50750 Menschen tatsächlich der statistischen Definition von „BewohnerIn“ entsprechen. Die Idee ist nun, vor Ort nachsehen zu lassen, wie viele von den Daten im Register falsch sind und diesen dann entsprechend hoch- oder runterzurechnen.

Es gab schon Anfang des letzten Jahrzehnts Zensustests, um abzuschätzen, wie groß Stichproben sein müssen, um diese Genauigkeit zu erreichen. Im Ergebnis werden voraussichtlich 7% der Bevölkerung oder knapp sechs Millionen Menschen befragt werden.

Diese haben dann einen recht beeindruckenden Fragenkatalog mit 46 Items zu bearbeiten, der etwa den oben erwähnten EU-Datensatz (plus ein paar BRD-Schmankerl wie Zugehörigkeit zu islamischen Strömungen) abdeckt. Soweit die Antworten bereits im Melderegister enthalten sind, lassen sich die Registerdaten detailliert eichen, die restlichen Angaben sollen die Schätzung der entsprechenden Größen in der Gesamtbevölkerung erlauben („wie viele Geschäftsführer wohnen in Wanne-Eickel Ost-Süd?“).

Zwischen 5 und 10 Prozent der Haushaltestichprobe sind zur Kontrollbefragung vorgesehen, werden also zwei Mal Besuch bekommen. Die Obrigkeit ahnt nämlich, dass sie selbst ihren „Erhebungsbeauftragten“ nicht trauen kann und hofft, so diejenigen herausfischen zu können, die die Bögen ohne Zutun der eigentlich zu Befragenden ausgefüllt haben. Und natürlich gibt es auch in der Bevölkerung schlechte LügnerInnen.

Für die Haushaltestichprobe gilt der gleiche Stichtag wie für die eigentliche Registerzählung, nämlich der 9.5.2011 – für diesen Tag übertragen Meldeämter und Bundesanstalt für Arbeit nochmal ihre Daten, und es sind diese Datensätze, die gemeinsam mit der Haushaltestichprobe und dem AuGR die Ergebnisse des Zensus ausmachen werden. Eine weitere Übertragung im August soll Menschen erwischen, die zum 9.5. gerade am Umziehen waren; die Erfahrung mit Zensustests sagt, dass kaum jemand die Anmeldung länger als drei Monate verzögert.

Zahlen für Ordnung

Beim registergestützten Zensus fast unvermeidbar ist die Vergabe von Ordnungsnummern für Menschen – jedes Mal irgendwelche Kombinationen von Namen, Geburtsdaten und Wohnorten zu vergleichen, ist völlig unattraktiv schon deshalb, weil aus verschiedenen Quellen verschiedene Versionen davon kommen. Eine solche Durchnummerierung der Bevölkerung hatte das Verfassungsgericht aber schon 1983 untersagt.

Mit der Zensus-Ordnungsnummer gibt es jetzt nach der Steuer-Id die (mindestens) zweite solche Nummerierung. Die Ordnungsnummer allerdings soll, so das Zensusgesetz 2011, „nach Abschluss der Aufbereitung des Zensus, spätestens jedoch vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt [d.i. 9.5.2011]“ gelöscht werden. Die gleiche Frist gilt für die Vernichtung der Fragebögen aus der Haushaltestichprobe und die Löschung der „Hilfsmerkmale“, also der Informationen, die zwar zur Bildung des Zensus verwendet werden, im „anonymisierten“ Ergebnis aber nicht vorkommen sollen: Namen und Adressen oder den Tag der Geburt etwa, aber ggf. auch Telefonnummern.

Die Vernichtung der Adressen tut den StatistikerInnen weh, da „kleinräumige Auswertungen“ herrschaftstechnisch erheblich wertvoller sind. Die Statitikbehörden haben schon angekündigt, dass sie die „Hilfsmerkmale“ wohl wirklich bis Ultimo aufheben und bis zur Löschung eifrig damit rechnen werden. Außerdem werden sie zur Erstellung von höher aufgelösten Datensätzen für gemeindliche Statistikämter genutzt; diese dürfen die Daten zumindest auf Straßenebene aufgelöst auch behalten.

Aus Antirep-Sicht könnte mensch ebenfalls über die Datenfülle bis zur Löschung von Ordnungsnummer und Hilfsmerkmalen besorgt sein, denn natürlich wäre niemand überrascht, wenn sich innerhalb der vier Jahre zwingende Gründe für die Nutzung der so schön ordnungsnummerierten Daten „zur Strafverfolgung“ fänden. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht, denn die Polizei kann das Melderegister sehr einfach live abfragen, so dass für die paar zusätzlichen Informationen der BA für Arbeit den Aufwand und die PR-Schwierigkeiten schlicht nicht lohnen. Die anfangs höhere Qualität der Zensusdaten relativiert sich sehr schnell, da ja gerade die staatsschützerisch interessanteste Zielgruppe in einem Fort umzieht.

Ausgesprochen interessiert dürfte der Repressionsapparat aber an den Ergebnissen der Erhebung in „Sonderbereichen“ sein, womit das Zensusgesetz „Gemeinschafts-, Anstalts- und Notunterkünfte, Wohnheime und ähnliche Unterkünfte” meint. Es handelt sich also um Gebäude, in denen gerne rechtsfreie Räume oder, etwa im Fall von Studiwohnheimen, Brutstätten staatsfeindlicher Verschwörung vermutet werden. Eingestandenermaßen liegt ein wenig vorbildliches Meldeverhalten in solchen Einrichtungen nicht fern; belastbare Daten soll der Zensus liefern, denn in seinem Rahmen werden ZählerInnen durch diese Einrichtungen traben und versuchen, alle dort wohnenden Personen zu erfassen, und zwar nach Namen, Geburtstag, Geburtsort, Geschlecht, Familienstand, Staatsangehörigkeiten, Bezugstag, Geburtsstaat sowie nach Haushalts- und Wohnungsstatus (also ob die Person in einer eigenen Wohnung wohnt und ob sie weiteren Haushalten angehört). Es soll schon Wettbewerbe in Studiwohnheimen geben, welches Stockwerk den ZählerInnen die meisten Karteileichen wird unterjubeln können.

Aber auch dabei ist nicht davon auszugehen, dass die so gewonnenen Daten in der nächsten Rasterfahndung landen werden, sowohl, weil sie noch schneller veralten, als auch, weil wegen einiger Passagen aus dem Volkszählungsurteil über „sensible“ Sonderbereiche (Gefängnisse, Psychiatrien usf) das Gesetz hier recht datenschutzfreundlich geschrieben ist und umgehende Löschung von Namen sowie Geburtstag und -ort vorschreibt. Nein, es geht um die allgemeine Erkenntnis, wie rechtsfrei die verschiedenen Räume eigentlich sind und wo, etwa bei bestimmten Wohnheimtypen, das Auge des Gesetzes künftig stärker gefragt ist.

Was für die RH?

Der registergestützte Zensus hat für die Obrigkeit den Vorteil, dass der eigentliche Missbrauch – die Nutzung und Kombination von zu ganz anderen Zwecken erhobenen Daten – hinter dem Rücken der Betroffenen stattfindet und so abstrakt ist, dass er kaum eine Massenbewegung auslösen wird. Dennoch dürften Elemente der Haushaltestichprobe wie BewohnerInnen von Sonderbereichen bei RH-Strukturen aufschlagen und wissen wollen, was sie tun sollen.

Die Rechtslage ist zunächst klar – das Zensusgesetz verfügt (§18), dass Auskunftspflicht besteht, und das Bundesstatistikgesetz (§23) sagt, dass eine pflichtwidrige Auskunftsverweigerung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die bis zu 5000 Euro kosten kann. Realistisch ist wohl mit Bußgeldern in Höhe von ein paar Hundert Euro zu rechnen, die allerdings potenziell erhoben werden können, solange die Auskunft unterbleibt. Da der Rücklauf bei der Befragung zum Gebäuderegister bisher wohl eher bescheiden ist, dürfte sich die obrigkeitliche Entschlossenheit aus ihrem Verhalten dabei schon vor der heißen Phase bei der Haushaltestichprobe abschätzen lassen. Bei einer Verweigerung wird vermutlich zusätzlich ein Datensatz bei der Polizei entstehen. Den löschen zu lassen dürfte reizvoll sein, denn es ist beim besten Willen nicht erkennbar, wie die Speicherung eines Volkszählungsboykotts Straftaten vorbeugen soll. Es bleibt dabei, dass Widersprüche gegen die Zählung keine aufschiebende Wirkung haben und diese ggf. verwaltungsgerichtlich erreicht werden müsste.

Die Obrigkeit ist im Übrigen aus Schaden schlau geworden und verbietet in §23 (2) Bundesstatistikgesetz explizit, die Erhebungsvordrucke nicht oder verändert zu nutzen – das wendet sich gegen Auskünfte in Aufsatzform ebenso wie gegen Neuauflagen des „Schnippelns“ vom 87er-Boykott, der Entfernung des Identifikationscodes also, der damals die Auskunft personalisierbar machte. Schnippeln ginge 2011 allerdings sowieso nicht, denn dieses Mal werden Identifikationsdaten als Hilfsmerkmal miterfasst.

Ebenfalls verboten ist der Aufruf zur Auskunftsverweigerung oder zur Veränderung der Vorlagen. §116 OWiG stellt klar, dass der Aufruf zu einer Ordnungswidrigkeit ebenso geahndet werden kann wie die Ordnungswidrigkeit selbst.

Soweit die Rechtslage. Eine politische Beurteilung des Zensus ist nach dem oben Ausgeführten nur sehr mittelbar Sache der Roten Hilfe. Wenn Telekommunikations-Verkehrsdaten wie Melderegister in freiem Polizeizugriff sind, die Erteilung eines Passes praktisch eine ED-Behandlung voraussetzt, die Staatsgewalt fast eine Million DNA-Profile speichert, jeder Polizeikontakt monate-, wenn nicht jahrelang in Vorgangsverwaltungen recherchierbar bleibt, wenn die Polizei praktisch beliebige private Datenbestände zumeist auf freundliche Anfrage hin einfach so bekommt, ist der repressive Wert des Zensus jenseits fundamentaler Staatskritik recht überschaubar.

Da aus Antirep-Perspektive der Hauptskandal wohl im Abgleich der verschiedenen Daten besteht, ist die vielleicht am direktesten darauf bezogene Aktion, bei Meldeamt, BA für Arbeit, dem Stromversorger und der Müllabfuhr rumzupesten, was sie eigentlich an Daten über die eigene Person an die Statistikbehörden gemeldet haben und vielleicht noch bei den statistischen Landesämtern in regelmäßigen Abständen nachzufragen, ob diese Daten eigentlich schon depersonalisiert seien. Das muss Motivierte ja nicht davon abhalten, Spaß mit ZählerInnen zu haben („eben war der noch in der Küche im 12. Stock“) oder sonst den Unterhaltungswert des Zensus zu testen; vor die Wahl gestellt, etwas gegen Steuer-Id, Videoüberwachung oder Biometrie in Pässen zu tun oder gegen den Zensus, wäre unsere Entscheidung dennoch klar.

Mehr zu Zensus-Widerstand jenseits des Antirep-Bereichs gibts unter http://www.zensus11.de. Die offiziellen Infos samt Gesetzen und Fragebögen liegen demgegenüber auf http://www.zensus2011.de.

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Dieser Artikel ist in der Kolumne get connected der Zeitung der Roten Hilfe erschienen. Das Material kann gerne gemäß CC-0 weiterverwendet werden.

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