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Revision 5 vom 2009-10-12 20:16:02
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Autor: LilaBlume
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Revision 6 vom 2009-10-14 18:57:53
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Dem entspricht, dass SIS aus der "zweiten Säule" (gemeinsame Außenpolitik) der EU kam, aber zunehmend in die [http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/cig/g4000s.htm dritte Säule] (gemeinsame Rechts- und Innenpolitik, also Repression gegen EU-BürgerInnen) rutscht.

Das Schengener Informationssystem, in Betrieb seit 1995, ist das größte polizeiliche und nachrichtendienstliche IT-System auf europäischer Ebene. Nach offizieller Darstellung ist sein Sinn, die Abschaffung der Grenzkontrollen im Schengenland zu kompensieren (vgl. [http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexplus!prod!DocNumber&lg=de&type_doc=COMfinal&an_doc=2001&nu_doc=720 Rechtsakt von 1985]: "Schutz der Grenzen und Kontrolle von Personenbewegungen"). Dementsprechend wird an den Schengen-Außengrenzen für alle einreisenden BürgerInnen von Drittstaaten eine SIS-Abfrage durchgeführt. Ausgeschriebenen Personen wird (zumindest mal) die Einreise verweigert. Auf [http://www2.europarl.eu.int/omk/sipade2?PUBREF=-//EP//TEXT%2BREPORT%2BA5-2002-0436%2B0%2BDOC%2BXML%2BV0//EN&L=EN&LEVEL=1&NAV=S&LSTDOC=Y spanische Initiative] (2002, also lang vor den Anschlägen von Madrid) darf SIS auch im Politbereich (a.k.a. "Terrorbekämpfung") eingesetzt werden.

Dem entspricht, dass SIS aus der "zweiten Säule" (gemeinsame Außenpolitik) der EU kam, aber zunehmend in die [http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/cig/g4000s.htm dritte Säule] (gemeinsame Rechts- und Innenpolitik, also Repression gegen EU-BürgerInnen) rutscht.

"Rechtsgrundlage" -- so dieser Name verdient ist -- ist das [http://www.aufenthaltstitel.de/schengeneruebereinkommen.html Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ)] (Titel IV). Unter anderem können neben Personen, denen die Einreise in den Schengen-Raum verweigert wurde, auch Personen, die "verdeckt registriert oder gezielt kontrolliert" werden sollen ausgeschrieben werden. Das bedeutet, dass durchaus auch bei Kontrollen im Inland SIS-Abfragen stattfinden (können).

Dazu gibt es in der Regel nationale Gesetzgebung, in der BRD aktuell [http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/108/1610816.pdf SIS II-Gesetz].

Die Daten sollten mal aus nationalen Datenbanken kommen, mittlerweile wird aber offensichtlich auch direkt und ausschließlich in SIS gespeichert. Die Praxis ist jedenfalls uneinheitlich. Die SIS-Bestimmungen erfordern allerdings, dass, wer oder was immer in SIS zur Fahndung ausgeschrieben ist, in mindestens einem Schengenstaat zur Fahndung ausgeschrieben sein muss. Dennoch wird oft kritisiert, dass bei SIS-Einträgen aus anderen Staaten die Grundlage des Eintrags nicht reproduzierbar ist.

Physisch steht die Datenbank bei C-SIS in Straßburg. Über die Abbildung nationaler Datensätze auf das Schema von C-SIS wissen wir nichts.

Jeder Schengen-Staat unterhält ein Sirene-Büro (vlg. ["Datenbanken EU"]; in der BRD ist das das BKA), das die Kommunikation mit SIS abwickelt. Offenbar können aber lokale Behörden auch direkt in SIS speichern und Abfragen ohne den Umweg über Wiesbaden oder jedenfalls manuelle Intervention von dort abwickeln.

Eine "Kontrolle" soll durch eine gemeinsame Kommission ("Joint Supervisory Body", JSB) aus Datenschutzbehörden der Mitgliedsstaaten erfolgen. [http://www.bfdi.bund.de/cln_111/DE/Oeffentlichkeitsarbeit/Taetigkeitsberichte/Functions/TB_Schengen_table.html Deren Berichte] waren bisher immer ausgesprochen inhaltsleer.

Inhalt

Fahndungs- und Ausschreibugnsdaten über Personen und Gegenstände, offenbar ziemlich begrenzt und wenig standardisiert.

Zwei große Säulen: "Artikel 96"-Daten zu Migration und "Artikel 99"-Daten zur Überwachung im Inneren.

Im Groben scheinen die Mitgliedsstaaten "Alerts" zu speichern, also eine Art Ausschreibung. Wenn ein "Alert" bei einer abfrage "feuert", ergibt sich ein "Hit", der dann an die Behörde, die den "Alert" herausgegeben hat, zurückgemeldet wird. Über Aktionen vor Ort bestimmt die Behörde am Ort, wobei die einspeichernde Behörde aber eine "action to be taken" (offenbar aus einem vorgefertigten Vokabular) auswählen kann.

Die Artikel 99-Daten dürften in aller Regel Ausschreibungen zur Beobachtung sein. Interessanterweise sehen die Durchführungsbestimmungen vor, dass bei einem Hit die Betroffenen nicht über die Tatsache der Speicherung informiert werden dürfen.

Es gibt offenbar (uns unbekannte) Regeln, was alles gespeichert werden kann. [http://gipfelsoli.org/Repression/Strasbourg_Baden-Baden_2009/7219.html Ein Memorandum der Kommission von 2009] schlägt etwa eine Erweiterung der Regeln vor, um "violent troublemakers" (d.h. auffällig gewordenen Politaktivistas) in größerem Umfang speichern zu können.

Reizvoll: Bisher sollen weder Ethnie, besondere Kennzeichen, politische Überzeugungen, Gesundheitsprobleme oder sexuelle Orientierung gespeichert werden. Auf der anderen Seite werden Überwachungsprotokolle durchaus gespeichert, wenn auch derzeit nur für maximal ein Jahr.

Speicherfristen in SIS: 3 Jahre für Artikel 96"-Daten, 1 Jahr für Artikel 99-Daten -- diese werden in SIS II massiv ausgeweitet werden. Dabei sind allerdings mehr oder weniger automatische Verlängerungen möglich ("Überprüfung nach drei Jahren"), so dass bei Abschiebungen wegen kriminellen Verhaltens de facto mindestens sechs Jahre gespeichert wird. [http://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/lfd/tb/2004/tb-2.htm#t2_1_2 Der LfD BaWue berichtet] 2004, dass AusländerInnen- und Polizeibehörden aus Baden-Württemberg versuchen, mit Tricks faktisch unendliche Speicherfristen zu erzeugen.

Zahlen

Ende 2001 speicherte es knapp 11 Millionen Falldaten. Zwischen 80 und 90% der Daten kamen Ende der 90er Jahre aus Migrationsfällen (also Abschiebungen etc; "Artikel 96"-Daten); offenbar werden auch Daten über "Globalisierungsgegner" in SIS gehalten.

In der [http://dip.bundestag.de/btd/16/008/1600868.pdf Bundestagsdrucksache 16/868] berichtet die Regierung, SIS habe 2006 14.7 Millionen Einträge gehabt, davon 13.8 Millionen Sachen, 750000 Menschen, denen die Einreise verweigert wurde. Von diesen kamen 380000 aus Italien, 162000 aus der BRD.

In [http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/108/1610816.pdf BT-Durcksache 16/10816], berichtet die Bundesregierung, 2008 seien ca. 26 Millonen Fahndungen in SIS gespeichert gewesen.

In der BRD wird die Zahl der SIS-Fähigen Terminals 2006 auf 10500 geschätzt, 2005 wurden rund 70 Millionen SIS-Anfragen aus der BRD getätigt.

2006 wurde die EDV-Infrastruktur mit Blick auf SIS II [http://web.archive.org/web/20050106150903/http://archiv.vol.at/tmh/zr/national/newswelt/APS_News_Welt-149317.shtm für 157 ME] aktualisiert.

SIS II

Ursprünglich für 2006 geplante Erweiterung von SIS ([http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/l33183.htm EU-Bericht dazu]). Die Inbetriebnahme 2007 wurde auch abgesagt (http://www.heise.de/newsticker/meldung/75922), angeblich auch wegen des Widerstands verschiedener Datenschutzbeauftragter (angesichts des Umstands, dass deren Bedenken auch sonst immer gern ignoriert werden, dürfte es aber vor allem an technischen Schwierigkeiten liegen; es gibt auch Rechtsstreitigkeiten der beteiligten Privatfirmen).

Wegen der Verzögerungen soll nun zunächst [http://www.heise.de/newsticker/meldung/82080/from/rss09 SIS I erweitert werden]. SIS II wurde am 25.10.2006 vom Europäischen Parlament abgesegnet, die Inbetriebnahme vor 2009 scheint jedoch weiter unwahrscheinlich.

Im Mai 2009 hat die Kommission [http://www.statewatch.org/news/2009/jun/eu-sis-II-report-10005-09.pdf einen Bericht] vorgelegt, der eine Weiterenwicklung von SIS ("SIS I+ RE") mit einer Fertigstellung von SIS II vergleicht. Daraufhin hat im Juni 2009 der Rat [http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l33183.htm beschlossen], dass SIS II eingestellt werden soll, wenn bis Ende 2009 keine funktionierenden Testläufe nachgewiesen werden können. [http://www.heise.de/newsticker/SIS-II-weiter-in-der-Schwebe--/meldung/140035 Einschätzungen] zufolge dürfte das bedeuten, dass SIS II frühestens 2011 starten kann.

Zusätzliche Identifikationsdaten sollen verwendet werden: Fotografien, Fingerabdrücke und "möglicherweise andere Materialien" (DNA-Profile), biometrische Daten. Personen sollen mit "Aufklärungskennzeichen" versehen werden, wenn sie im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben, oder eine "psychologische Gefahr" darstellen oder bestimmte Gegenstände "besitzen, mit sich führen oder gebrauchen". Daten unterschiedlicher Personen und Objekte sollen miteinander verknüpft werden, um eine Überwachung für eine bestimmte Gruppe zu initiieren.

Jede SIS II-Suche soll dokumentiert werden.

SIS II-Daten sollen künftig auch Europol und Eurojust zur Verfügung stehen. Europol soll Daten hinzufügen, abändern oder löschen können. Die StaatsanwältInnen von Eurojust werden über SIS II Zugriff auf den Europäischen Haftbefehl erhalten, der dort gespeichert ist und der an die Polizei entweder über ein Sirene-Büro oder Interpol übermittelt werden soll. Behörden, die für AsylbewerberInnen zuständig sind, sowie Einwohnemelderämter, die für die Ausgabe von Identitätsausweisen zuständig sind, sollen auf SIS II zugreifen können, außerdem Kraftfahrzeugämter und Kreditanstalten im Zuge der grenzüberschreitenden Betrugsbekämpfung. Auch Inlandgeheimdiensten soll der Zugriff zur geplanten "Terroristen-Datenbank" möglich sein.

Hersteller

Auf kommerzieller Seite sind die Hauptkontraktoren Steria Frankreich und HP Belgien, aus der BRD kommt vor allem Mummert und Partner dazu. Ihnen stehen für die Entwicklung 40 Millionen Euro zur Verfügung (http://europa.eu.int/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/04/1300&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=de); tatsächlich sollen bis 2009 etwa 60 Millionen Euro aufgewandt worden sein.

Weitere Quellen