Revision 10 vom 2009-10-31 17:13:09

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Das Schengener Informationssystem, in Betrieb seit 1995, ist das größte polizeiliche und nachrichtendienstliche IT-System auf europäischer Ebene.

Rechtslage

Nach offizieller Darstellung ist sein Sinn, die Abschaffung der Grenzkontrollen im Schengenland zu kompensieren (vgl. Rechtsakt von 1985: "Schutz der Grenzen und Kontrolle von Personenbewegungen"). Dementsprechend wird an den Schengen-Außengrenzen für alle einreisenden BürgerInnen von Drittstaaten eine SIS-Abfrage durchgeführt. Ausgeschriebenen Personen wird (zumindest mal) die Einreise verweigert. Auf spanische Initiative (2002, also lang vor den Anschlägen von Madrid) darf SIS auch im Politbereich (a.k.a. "Terrorbekämpfung") eingesetzt werden.

Die Ausweitung auf weitere Einsatzbereiche sollte eigentlich durch SIS II unterstützt werden; wegen des Chaos (oder der Überplanung) bei dessen Entwicklung wird nun offenbar eine inkrementelle Ausweitung von SIS selbst präferiert.

SIS wird generell in der "zweiten Säule" (gemeinsame Außenpolitik) der EU verortet, die dritte Säule (gemeinsame Rechts- und Innenpolitik, also Repression gegen EU-BürgerInnen) stützt es aber auch zunehmend.

"Rechtsgrundlage" -- so dieser Name verdient ist -- ist das Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ) (Titel IV). Unter anderem können neben Personen, denen die Einreise in den Schengen-Raum verweigert wurde, auch Personen, die "verdeckt registriert oder gezielt kontrolliert" werden sollen ausgeschrieben werden. Das bedeutet, dass durchaus auch bei Kontrollen im Inland SIS-Abfragen stattfinden (können).

Dazu gibt es in der Regel nationale Gesetzgebung, in der BRD aktuell SIS II-Gesetz.

Struktur

Jeder Schengen-Staat unterhält ein Sirene-Büro (in der BRD ist das das BKA), das die Kommunikation mit SIS abwickelt. Offenbar können aber lokale Behörden auch direkt in SIS speichern und Abfragen ohne den Umweg über Wiesbaden oder jedenfalls manuelle Intervention von dort abwickeln.

Eine "Kontrolle" soll durch eine gemeinsame Kommission ("Joint Supervisory Body", JSB) aus Datenschutzbehörden der Mitgliedsstaaten erfolgen. Deren Berichte waren bisher immer ausgesprochen inhaltsleer.

Physisch steht die Datenbank bei C-SIS in Straßburg. Für SIS II ist ein Spiegel in Österreich geplant, ob sowas schon für SIS selbst läuft, wissen wir nicht.

Über die Abbildung nationaler Datensätze auf das Schema von C-SIS wissen wir nichts.

Inhalt

SIS enthält vor allem Daten über Einreiseversuche von Menschen, die nicht aus der EU kommen; dazu gibt es Fahndungs- und Ausschreibungsdaten über Personen und Gegenstände, offenbar ziemlich begrenzt und wenig standardisiert.

Die Daten sollten mal aus nationalen Datenbanken kommen, mittlerweile wird aber offensichtlich auch direkt und ausschließlich in SIS gespeichert. Die Praxis ist jedenfalls uneinheitlich. Die SIS-Bestimmungen erfordern allerdings, dass, wer oder was immer in SIS zur Fahndung ausgeschrieben ist, in mindestens einem Schengenstaat zur Fahndung ausgeschrieben sein muss. Dennoch wird oft kritisiert, dass bei SIS-Einträgen aus anderen Staaten die Grundlage des Eintrags nicht reproduzierbar ist.

Zwei große Säulen: "Artikel 96"-Daten zu Migration und "Artikel 99"-Daten zur Überwachung im Inneren.

Im Groben scheinen die Mitgliedsstaaten "Alerts" zu speichern, also eine Art Ausschreibung. Wenn ein "Alert" bei einer abfrage "feuert", ergibt sich ein "Hit", der dann an die Behörde, die den "Alert" herausgegeben hat, zurückgemeldet wird. Über Aktionen vor Ort bestimmt die Behörde am Ort, wobei die einspeichernde Behörde aber eine "action to be taken" (offenbar aus einem vorgefertigten Vokabular) auswählen kann.

Die Artikel 99-Daten dürften in aller Regel Ausschreibungen zur Beobachtung sein. Interessanterweise sehen die Durchführungsbestimmungen vor, dass bei einem Hit die Betroffenen nicht über die Tatsache der Speicherung informiert werden dürfen.

Es gibt offenbar (uns unbekannte) Regeln, was alles gespeichert werden kann. Ein Memorandum der Kommission von 2009 schlägt etwa eine Erweiterung der Regeln vor, um "violent troublemakers" (d.h. auffällig gewordenen Politaktivistas) in größerem Umfang speichern zu können.

Reizvoll: Bisher sollen weder Ethnie, besondere Kennzeichen, politische Überzeugungen, Gesundheitsprobleme oder sexuelle Orientierung gespeichert werden. Auf der anderen Seite werden Überwachungsprotokolle durchaus gespeichert, wenn auch derzeit nur für maximal ein Jahr.

Speicherfristen in SIS: 3 Jahre für Artikel 96"-Daten, 1 Jahr für Artikel 99-Daten -- diese werden in SIS II massiv ausgeweitet werden. Dabei sind allerdings mehr oder weniger automatische Verlängerungen möglich ("Überprüfung nach drei Jahren"), so dass bei Abschiebungen wegen kriminellen Verhaltens de facto mindestens sechs Jahre gespeichert wird. Der LfD BaWue berichtet 2004, dass AusländerInnen- und Polizeibehörden aus Baden-Württemberg versuchen, mit Tricks faktisch unendliche Speicherfristen zu erzeugen.

Zahlen

Ende 2001 speicherte SIS knapp 11 Millionen Falldaten. Zwischen 80 und 90% der Daten kamen Ende der 90er Jahre aus Migrationsfällen (also Abschiebungen etc; "Artikel 96"-Daten).

In der Bundestagsdrucksache 16/868 berichtet die Regierung, SIS habe 2006 14.7 Millionen Einträge gehabt, davon 13.8 Millionen Sachen, 750000 Menschen, denen die Einreise verweigert wurde. Von diesen kamen 380000 aus Italien, 162000 aus der BRD.

In BT-Durcksache 16/10816, berichtet die Bundesregierung, 2008 seien ca. 26 Millonen Fahndungen in SIS gespeichert gewesen.

In der BRD wird die Zahl der SIS-fähigen Terminals 2006 auf 10500 geschätzt, 2005 wurden rund 70 Millionen SIS-Anfragen aus der BRD getätigt.

2006 wurde die EDV-Infrastruktur mit Blick auf SIS II für 157 ME aktualisiert.

Ende 2009 zitiert der Prague Daily Monitor einen Ticker der Tschechischen Nachrichtenagentur, nach dem Tschechien seit September 2007 (Tschechien ist seit 12/2007 Schengenland)

  • fast 2000000 Datensätze an SIS übermittelt hat (das scheint schwer glaublich -- wo sollen die überhaupt so viele Datensätze herhaben...?)
  • aufgrund von SIS-Matches 400 Vermisste, 1000 gestohlene Autos und 1800 verlorene "Dokumente" (vermutlich wohl Pässe u.ä.) "gefunden" hat (was etlichen der Vermissten wahrscheinlich nicht so recht war...)
  • aufgrund von SIS-Matches 900 Personen verhaftet hat.

Weitere Quellen