WDR5 Serie 2008 Top Secret Geheimdienste: Das Bundesamt für Verfassungsschutz

Man: Gaby Weber Take: Atmo „Bürgerrechte sind keine ... Rolf_goessner_atmo – 50 ́ ́ Erzählerin: Die Bundesrepublik wird ein Überwachungsstaat, warnen Bürgerrechtler in der Berliner Humboldt-Universität. Die Polizeigesetze werden verschärft, Demokratie und Menschenrechte sind in Gefahr. Es häufen sich die Skandale über Bespitzelung und Amtsmißbrauch.

Sprecher: Der Staat wappnet sich. Online-Durchsuchungen. Trojaner. Das neue BKA-Gesetz. Flächendeckend können Emails und Telephonate überwacht werden, warnt der Chaos Computer Club.

Take: „Bei der Post ist es ähnlich, da werden seit 2002 Informationen über alle Sendungen im Vorfeld weiter gegeben. D.h. wer schickt wem ein Paket. Das illustriert natürlich, an welchen Daten die Dienste interessiert sind.“ Chaos6 – 14 ́ ́ ABBLENDEN

Erzählerin: Auch der Verfassungsschutz soll weitere Aufgaben erhalten, das Trennungsverbot zwischen Polizei und Nachrichtendienst wird ausgehöhlt, so Rolf Goessner, Vizepräsident der Liga für Menschenrechte.

Take: „Er hat fast schon polizeiliche Befugnisse bekommen. Nämlich er kann Auskunft verlangen bei Telekommunikationsunternehmen, bei Reiseunternehmen, Kreditinstituten, wer hat wann was überwiesen, wieviel, in welcher Höhe, an wen, oder ist verreist, wohin, wie lange, mit wem, und dergleichen mehr“. Rolf_goessner4 – 20 ́ ́

Erzählerin: Obwohl bundesweit mobilisiert wurde, ist das Audimax spärlich besetzt. Gekommen sind die, die immer kommen: Rechtsanwälte, Jura-Studenten und Journalisten. Das gemeine Volk scheint die Verwandlung der Republik in einen Überwachungsstaat nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Sie haben resigniert, so Rechtsanwalt Manfred Gnjidic:

Take: „Es ist einfach so, daß gespürt wird, wir haben nicht viel zu sagen, wir haben nichts zu kontrollieren, wir haben nichts nachzufragen, wir haben zu machen und zu gehorchen. Und das ist der Grund, warum sich viele Leute stückweise aus der Politik verabschieden und sagen, wir haben nicht wirklich dort einen Einfluß. Weil: dumm sind die nicht. Die merken das an jedem Punkt. Daß über die agiert wird und nicht mit dem Volk agiert wird.“ Gnjidic6 –24 ́ ́

Erzählerin: Sind die Geheimdienste dabei, unter dem Deckmantel der Sicherheit uns alle als Verdächtige zu katalogisieren und zu überwachen? Und selbst, wenn sie noch mehr Befugnisse erhalten: Können sie unsere Sicherheit garantieren? Oder wird durch die Dienste nicht nur das politische Klima vergiftet?

Erzählerin: Der Berliner Verfassungsrechtler Eggert Schwan, langjähriges Mitglied der CDU, möchte alle Geheimdienste abschaffen:

Take: „Der Verfassungsschutz ist die größte Gefahr für den Gedanken des Verfassungsschutzes und letztlich auch für die freiheitlich- demokratische Grundordnung. Diese Gefahr geht aus von der Art und Weise, wie diese Behörde tätig wird und von ihren Methoden, die mit dem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren sind. Schwan_11 – 8 ́ ́

Erzählerin: Hans Halter, Autor des Buches „Krieg der Gaukler“ und langjähriger Redakteur beim „Spiegel“, berichtet nicht viel Gutes über Spione, Agenten und Späher.

Take: "Nutzen tun Geheim- und Nachrichtendienste in aller Regelsowieso wenig. Die Politiker versprechen sich davon in der Regel zweierlei: einerseits daß die Bevölkerung überwacht wird und man Bestrebungen, das Regime zu stürzen oder zu beschädigen rechtzeitig erkennt. Und gleichzeitig, dass man über eine genaue Nachrichtenlage des jeweiligen Gegners verfügt. Das ist aber in aller Regel ein Irrtum". H_halter7 - 27 ́ ́

Sprecher: Der Volksmund nennt sie „Spitzel“, „Plattfüße“, „Schlapphüte“ und „Schnüffler“. Alle haben sie, niemand mag sie, doch kaum jemand will sich von ihnen trennen. Selten wird eine Kosten- Nutzen-Rechnung aufgemacht. Lohnt sich der Aufwand? Oder ist der Preis, den die Gesellschaft für sie zahlt, nicht viel zu hoch?

Erzählerin: Das Bundesamt für Verfassungsschutz, steht seit seiner Gründung im Zwielicht, so Buchautor Halter:

Take: "Zum Beispiel sind alle 5 Chefs, die zuerst das Bundesamt für VS geleitet haben, alle 5 sind vor Ende ihrer Amtszeit entlassen worden, und der eine, Otto John, ist sogar in den Knast und hat 4 Jahre abgebrummt". H_halter12 - 15 ́ ́

Erzählerin: Das BfV hat seinen Sitz in Köln und soll, so verrät seine homepage, Informationen sammeln zu .... :

Zitator: Rechtsextremismus. Linksextremismus. IslamistischerTerrorismus und Spionageabwehr.

Sprecher: Nummer Eins: Rechtsextremismus: Erzählerin: Kein Zweifel, die rechtsradikale Szene ist unterwandert. Aber:hat das der NPD geschadet?

Sprecher: Das Bundesverfassungsgericht wies den Antrag auf ihr Verbot ab, weil das von den Verfassungsschutzämtern zusammen getragene Beweismaterial mangelhaft war und weil die Karlsruher Richter nicht festzustellen konnten, welche Parteimitglieder aus eigenem Antrieb handelten und welche auf der Lohnliste des Verfassungsschutzes standen – in jedem Falle zu viele. O-Ton aus der Parteizentrale der NPD.

Take: „Wir haben noch nie vor dem VS gezittert. Weil die Tätigkeit desVS uns keine Angst einjagt. Npd-schwert1 – 5 ́ ́

Sprecher: Zweite Aufgabe: die Spionageabwehr. Erzählerin: Während des Kalten Krieges saßen in den Schaltstellen der westdeutschen Geheimdienste die „Kundschafter“ des Ministeriums für Staatssicherheit. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz hingegen gelang es nie, die andere Seite zu unterwandern. Den Gegner – das MfS - bezifferte es mit 20.000 Mitarbeitern. In Wahrheit waren es fünf Mal mehr. Hätten das Amt die Fensterscheiben des MfS gezählt, wäre es der Wahrheit näher gekommen.

Sprecher: Da war das Berliner Landesamt professioneller. Es hatte nämlich die Fensterscheiben in der Normannenstraße gezählt, um so auf die Büros und das Personal zu schließen. „Rückpeilung“ nennt man so was.

Erzählerin: Das MfS war ungleich schneller. Jeder neu eingestellter Verfassungsschützer erhielt nach maximal vierzehn Tagen einen Anruf bei sich zu Hause, mit einem Anwerbungsangebot.

Sprecher: Drittens: der Linksextremismus. Erzählerin: Jahrelang sind autonome Gruppen observiert worden. Hat dieserAufwand ein Ergebnis erbracht? Der Berliner Autonome Hauke Benner lächelt müde.

Take: „Sie haben z.b. sehr stark darauf abgehoben, daß es Führungskader gibt. Autonome ticken anders, und wenn sie sich zu irgendwelchen nächtlichen Aktionen verabreden, dann brauchen sie dafür keine Chefs und keine Führungskader, sondern das machen die selber. Das ist ein Beispiel dafür und das hat ja auch was erfreuliches, dass der VS nur noch wenig Einblick und Durchblick hat, in das wie Autonome heute politisch ticken und handeln“. Benner6 – 23 ́ ́

Sprecher: Aufgabe Nummer vier: islamistische Terroristen. Erzählerin: Von diesem Phänomen sind die Ämter überrascht worden. Bis heute fehlt Fachpersonal mit Sprachkenntnissen. Man wolle in Zukunft Islamwissenschaftler von den Universitäten abwerben, heißt es.

Sprecher: Ihr eigentliches Ziel sei die Bespitzelung des politischen Gegners, glaubt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken. So beurteilt das BfV auf seiner homepage „das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht“ als, so wörtlich „Traditionselement des Linksextremismus“. Jahrelang wurde das Berliner „Sozialforum“ überwacht, ein Zusammenschluß sozialer Bewegungen. Auch ihre Partei, die in der Bundeshauptstadt in der Regierung sitzt, wird beobachtet., so die Abgeordnete:

Take: „Es gibt mindestens 12, 13 Leute, die kontinuierlich überwacht werden. Abgeordnete. Es gibt ne Klage vom Bodo Rammelow, der ja gewonnen hat, daß er nicht mehr überwacht werden darf. Trotzdem erklären die VS-Behörden, sie werden ihn weiter überwachen. Also, man hält sich auch nicht an Gesetze. Und von daher ist es für uns kein Thema, daß der VS, so wie er heute besteht, muß weg.“ Ulla-jelpke3 – 23 ́ ́

Sprecher: Zahlen über die Budgets des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz sind rar. Zwischen sieben- und zehntausend hauptamtliche Mitarbeiter soll es geben, dazu ein nicht zu bezifferndes Heer von Zuträgern. Auch der Haushalt ist nicht zu beziffern. Unseren Wunsch nach einem Interview lehnte das Bundesamt ab.

Erzählerin: Zu einem Gespräch bereit war die Leiterin des Berliner Amts, Claudia Schmidt. Und die verstand gar nicht, wie man am Sinn ihrer Behörde zweifeln könne:

Take: „Wir haben hier einen modernen Verfassungsschutz in Berlin aufgebaut, der keinerlei Verbindung hat, was in früheren Zeiten passiert ist. Darauf lege ich Wert. Und wir arbeiten hier nach Recht und Gesetz. Und wir haben Befugnisse, die uns das Parlament zur Verfügung gestellt hat, die wir anwenden, im Rahmen des Zulässigen. Und dazu gehört natürlich auch, Geld auszugeben“. ABBLENDEN C_Schmidt6 – 22 ́ ́

Erzählerin: Ja, die „früheren Zeiten“ des Berliner Landesamtes ... Die sind der ehemaligen Datenschützerin und seit Ende 2000 obersten Verfassungsschützerin Berlins peinlich. Das Landesamt war durch einen Skandal derart erschüttert, daß laut über seine Auflösung nachgedacht worden ist.

Sprecher: Der Skandal begann im Jahr 1974. Da wurde in der Nacht des 4. Juni, im Grunewald, ein junger Mann erschossen aufgefunden. Ulrich Schmücker. Für die Polizei kein Unbekannter, war er zuvor schon als mutmaßliches Mitglied der linksradikalen „Bewegung 2. Juni“ verhaftet worden. Da er auspackte, kam er mit einer geringen Gefängnisstrafe davon.

Erzählerin: Seine Genossen sahen ihn als Verräter an, er wurde in der Szene geschnitten. Daß nur sie als Mörder in Frage kamen, ermittelte nicht die Polizei. Es war der Verfassungsschutz, der eine Gruppe um die Wolfsburgerin Ilse Jandt beschuldigte. Da war die Leiche noch nicht kalt.

Sprecher: Rechtsanwalt Bernd Häusler verteidigte einen der Hauptbeschuldigten und schrieb ein Buch „Der unendliche Kronzeuge“:

Take: „das Merkwürdige an den Ermittlungsakten war, daß gleich die ersten Seiten des Ermittlungsbandes voll waren mit schriftlichen Hinweisen des Verfassungsschutzes. Also eigentlich eine Behörde, die verdeckt und versteckt arbeitet, die hier ganz offen vorgegangen ist und dem ermittelnden Staatsschutz gesagt haben, in welcher Richtung sie ermitteln müssen.“ Bernd_haeussler1 – 21 ́ ́

Sprecher: Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus, als unter dem Dach des Reichssicherheitshauptamtes Geheimdienste und Polizei Hand in Hand arbeiteten, gilt in der Bundesrepublik das Trennungsgebot. Danach besitzt der Geheimdienst keine Polizeibefugnisse und ist nicht für Strafverfolgung zuständig. Dies und die Gefahrenabwehr ist Aufgabe der Polizei. Das Trennungsgebot hat Verfassungsrang. Im Fall Schmücker zog aber von Anfang an der Verfassungsschutz im Strafverfahren die Fäden.

Erzählerin: Mehrere Spitzel, so Häusler, waren in den Mordfall verwickelt,darunter ein Jürgen Bodeux aus Köln Porz....

Take: „... der angeblich die Waffe beschafft haben will. Die Kriminalpolizei in Porz meint allerdings, daß er in einen anderen Mordfall verwickelt sei, die Informationen hätten sie vom Bundesamt für VS damals bekommen“. Bernd_haeussler5 – 12 ́ ́ ABBLENDEN

Sprecher: In Häuslers Kanzlei arbeitete der V-Mann Christian Hain alias Flach.

Take: „Christian Hain war Rechtspraktikant in der Kanzlei in der ich damals war. Er hatte Zugang zur Kanzlei, er hatte Zugang zu den Akten. Er stand unter dem Siegel der Verschwiegenheit und hat aber diese Vertrauensstellung mißbraucht und dem VS berichtet.“ Bernd_haeussler4 – 12 ́ ́

Erzählerin: Und dann war da der verkrachte Schriftsteller Götz Tilgener, der dem VS Informationen verkaufte und unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Und schließlich Volker Weingraber:

Take: „Weingraber war ein bezahlter V-Mann des VS und Weingraber will die Tatwaffe vom Tatschützen übernommen haben und noch in der Mordnacht dem VS ausgehändigt haben“. Bernd_haeussler2 – 12 ́ ́

Sprecher: Der Verfassungsschutz versteckte die Tatwaffe jahrelang. Erst die vom sozialdemokratischen Innensenator Erich Pätzold eingesetzte „Projektgruppe Verfassungsschutz“ fand sie im Sommer 1989 im Panzerschrank des LfV. Der „Spiegel“ berichtete.

Take: „Daraufhin gaben sie auch die Waffe heraus, aber nicht eine sondern drei Waffen mit einem Begleitschreiben, das besagte: wir haben hier drei Waffen zur Mordsache Schmücker, wir wissen aber nicht, welche als Tatwaffe davon in Betracht kommt“. Berndhaeussler3 – 11 ́ ́

Erzählerin: Mehrere Male versuchte das Berliner Landgericht, die Täter zu verurteilen. Das Verfahren zog sich durch mehrere Instanzen. Immer wieder rügte der Bundesgerichtshof, daß Aussagegenehmigungen nicht erteilt wurden und die Rolle des Verfassungsschutzes nicht aufgeklärt werden konnte.

Take: „Der Mord ist nicht aufgeklärt, bis heute nicht. Das LG Berlin hat das Verfahren nach § 260, Abs. 3 StPO eingestellt, es ist ein faires Verfahren nicht mehr möglich. Dann bleibt die Sache ungesühnt. Die Frage ist natürlich: warum ist es nicht mehr möglich durchzuführen?“ bernd-Haeussler6 – 15 ́ ́

Sprecher: Laut Gerichtsakten hat der Verfassungsschutz nichts getan, um den Mord zu verhindern. Frage an den Rechtsanwalt, ob Schmücker noch am Leben wäre, hätte es die Verfassungsschützer nicht gegeben? Wahrscheinlich, meint er. Sicher sei, daß der Geheimdienst die Strafverfolgung behindert habe. Alle haben gelitten:

Take: „Auch die Eltern von Schmücker. Ich habe noch die Mutter vor Augen. Das ist alles äußerst tragisch. Aber auch die jugendlichen Angeklagten – egal was da nun wirklich gewesen ist – die sind eigentlich fürs Leben gezeichnet“. Bernd_häussler0 – 12 ́ ́

Sprecher: Lothar Jachmann war damals in leitender Stellung im Berliner Verfassungsschutz tätig. Heute lebt der Pensionär in Bremen. Natürlich erinnert er sich an Schmücker. Ein peinlicher Fall.

Erzählerin: Froh ist er, dem Metier den Rücken gekehrt zu haben. Das mit den Berufsverboten sei „falsch“ gewesen, jene Regelanfrage über einen Bewerber im öffentlichen Dienst, ob gegen ihn beim Verfassungsschutz „Erkenntnisse“ vorlägen. Aber grundsätzlich zweifelt er nicht am Sinn seiner früheren Tätigkeit, „menschliche Quellen“eien notwendig., also Infiltration.

Take: „Was ist ein guter V-Mann? Natürlich einer der ehrlich ist. Der sich in dem betreffenden Aufklärungsobjekt unauffällig verhalten kann. Was sicherlich die größte Schwierigkeit ist, denn er kann ja da nicht nur stumm herumsitzen sondern muß sich zum Teil auch aktiv daran beteiligen. An Aktionen und Vorhaben, die als terroristisch zu definieren sind. Und hierbei gewisse Grenzen einhalten. Er darf nicht zum Agent provokateur werden“. L-Jachmann1 – 26 ́ ́

Erzählerin: Aber muß ein V-Mann, wenn er im Geschäft bleiben und Geld kassieren will, nicht ständig die Gefahr übertreiben, vielleicht auch erfinden, wenn nicht genügend „Bedrohungspotential“ vorhanden ist? So schrieb schon Reichskanzler Otto von Bismarck:

Zitator: „Diese Leute lügen und übertreiben wegen Mangel an Stoff ganz unverantwortlich. Da kommen schlechte Objekte unter ihnen, denn gute übernehmen solche Posten nicht, leicht auf den Gedanken: Machen andere Leute keine Attentate, so müssen wir nachhelfen. Denn können sie nicht melden, daß etwas geschieht, so werden sie überflüssig, und das wollen sie natürlich nicht“.

Erzählerin: Ex-Verfassungsschützer Jachmann nickt. Die Gefahr sei real, das habe auch der Fall Schmücker bewiesen.

Sprecher: Die Leiterin des Berliner Landesamtes möchte über den Schmücker-Mord nicht reden. „Das sei so lange her“, meint sie.

Erzählerin: Es war aber ihr Amt, das mit den Geld-Forderungen der V-Leute befaßt war. Von „Schweigegeldern“ war die Rede. Allein Weingraber hatte zum Aufbau einer neuen Existenz 450.000 Mark aus dem Staatssäckel erhalten. Daß er das Geld statt dessen in den Ausbau seines Weingutes in der Toscana gesteckt hatte, war selbst der Berliner Senatsverwaltung zuviel.

Take: „Es läuft ein Prozess, den die Finanzverwaltung führt, wo es um die Rückforderung von Geld geht. Er ist noch anhängig“. C_schmidt7 – 7 ́ ́

Erzählerin: Das kann nicht sein. Der Prozeß wurde verloren, das Urteil ist rechtskräftig.

Sprecher: Der Berliner Landesrechnungshof rügte die Zahlung an den V-Mann. Ein Interview lehnte die Behörde aber ab:

Zitator: „Aus Rechtsgründen ist es nicht möglich, sich zu Prüfungsinhalten und Ergebnissen öffentlich zu äußern“.

Erzählerin: Als Lehre aus dem Schmücker-Skandal versuchte der Landesrechnungshof, das Personal des VS auf ein Minimum zu reduzieren. Aber keine andere öffentliche Verwaltung wollte die Verfassungsschützer übernehmen. Die hatten ihre Karriere damit gemacht, Spitzel für Meldungen zu entlohnen, die niemand auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfte. Gesetze und Verordnungen, Effizienz und Kontrolle waren ihnen fremd, und viele hatten Probleme mit der Rechtschreibung. Und die wenigen, die doch ihren Hut nehmen mußten, sollen, so heißt es, umgehend von der Berliner Dependance des Kölner Bundesamtes übernommen worden sein. In der Welt von Top Secret scheint vieles möglich.

Sprecher: Frage an die Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes, was dem Land fehlen würde, wenn es ihr Amt nicht mehr gäbe?

Take: „Der Gesetzgeber und hier in Berlin jedenfalls die Gesellschaft und die Politik, möchte Informationen über die NPD. Sie möchte auch informiert werden über die Dinge, die nicht in der Zeitung stehen und die nicht offensichtlich sind und die nicht in den Presseerklärungen der NPD sind“. c_schmidt13 – 5 ́ ́

Sprecher: Dafür müsse der Verfassungsschutz „hinter die Kulissen“ blicken.

Erzählerin: Manchmal baut er diese Kulisse mit auf. Diesen Verdacht hat

  • nicht nur das Bundesverfassungsgericht geäußert. Kenner der Neonazi-Szene haben beobachtet, daß einige Spitzel mit dem Segen der Parteiführung neben ihren Hartz-Vier-Bezügen ein paar hundert Euro im Monat schwarz kassieren. Auch für die Partei fällt dabei genug ab, vermutet Eckhart Spoo, Herausgeber der Zeitschrift „Ossietzky“:

Take: „Ich bin bei allen Neonazi-Aktivitäten sehr mißtrauisch, ob nicht

  • in Wirklichkeit der VS dahintersteckt. Und als es jetzt um das Verbot der NPD geht, war ja dann das Argument des Bundesverfassungsgerichts : nein, wir wissen ja gar nicht, wer da für was verantwortlich ist und in höchsten Positionen bei der NPD sitzen V-Leute des VS, was kann man da der Partei eigentlich zurechnen, unter diesen Umständen kann man sie eigentlich gar nicht verbieten“. Spoo56 – 24 ́ ́

Sprecher: Für die NPD ist der Verfassungsschutz nicht selten eine Art

  • Rückversicherung. Landet einer der ihren im Gefängnis, sorgt er dafür, daß seine Haftstrafe verkürzt oder ausgesetzt wird, falls der Nazi zur „Kooperation“ bereit ist.

Erzählerin: So geschehen im Fall von Carsten Szczepansky. Er hatte einen

  • Nigerianer zuerst gefoltert und dann in einem See ertränken wollen. Das Gericht verurteilte ihn wegen Mordversuchs zu acht Jahren. Die verbüßte er nur teilweise, da er auf Betreiben des VS vorzeitig auf freien Fuß gesetzt und fortan mit 1000 Mark monatlich alimentiert wurde. Er brachte es bis zum Kreisvorsitzenden der NPD und verteilte Waffen. Dann flog er auf, und seitdem fehlt von ihm jede Spur.

Sprecher: Waffen bei der NPD? Damit habe seine Partei nichts zu tun,

  • behauptet Frank Schwerdt aus dem Parteipräsidium:

Take: „Der Herr Szczepansky war beauftragt von der Partei, dort einen

  • Verband aufzubauen und kurze Zeit später flog er auf als agent provokateur für den VS. Das hatte zur Folge, daß einige der guten jungen Leute dann also vor Gericht standen, wegen Waffenbesitzes oder wegen Waffenhandels, weil die also gutgläubig waren und auf Angebote von Herrn Szczepansky eingegangen sind. Der hat denen sicherlich auch Zugang zu Waffen verschafft und hat sie ihnen auch gegeben. Das haben die jungen Leute ausgesagt und das stand dann auch in den Zeitungen, als der Szczepansky aufflog.“ Npd-schwert3 – 33 ́ ́ ́

Erzählerin: In Brandenburg stellte sich der Inhaber eines Musikladens, der

  • anti-semitische und gewaltverherrlichende DVDs verkaufte, als V-Mann heraus. Schwerdts Stellvertreter, Tino Brandt, hatte vom Thüringer VS für sieben Jahre Spitzeltätigkeit 200.000 Mark bekommen. Davon sei wenig in die Partei geflossen. Man sei nicht „fremdgesteuert“.

Sprecher: Heute arbeiten im Berliner Landesamt noch 188 Personen, so

  • die Leiterin Schmidt. Darin seien sie selbst, das Wachpersonal und die Sekretärinnen eingeschlossen. Wer den Geheimdienst abschaffen will, müsse wissen, daß dann die Polizei diese Aufklärung im Vorfeld übernehmen wird. Damit sei das Trennungsgebot in Gefahr.

Erzählerin: Aber arbeiten nicht längst in gemeinsamen Terror Abwehr

  • Zentrum, GTAZ, Nachrichtendienste, Polizei und Staatsanwaltschaft unter einem Dach? Auch das GTAZ hatte uns den Besuch verwehrt.

Erzählerin: Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten wird

  • offenbar immer wieder umgangen. Das belegen etwa die Ermittlungen gegen die Aktivisten der Kampagne gegen das G-8- Treffen in Heiligendamm. Am 9. Mai 2007 durchsuchte die Polizei zahlreiche Wohnungen von Autonomen. Hauke Benner war einer der Hauptbeschuldigten.

Take: „Insgesamt 1000 Beamte haben damals, ich glaub, 18

  • Privatwohnungen durchsucht, es ging um 20 Beschuldigte zirka. Und uns wurde vorgeworfen, ne militante Kampagne gegen den G8-Gipfel vorbereitet zu haben“. Benner1 – 9 ́ ́

Erzählerin: Die Bundesanwaltschaft ermittelte wegen zwölf unaufgeklärter

  • Brandanschlägen. Da sie bei den Durchsuchungen keine Beweise fand, bat sie das BfV um Amtshilfe, das die Beschuldigten seit vielen Jahren observierte.

Take: „Ermittelt wurde in den ersten Jahren hauptsächlich durch den

  • Verfassungsschutz, oder ausnahmslos durch den VS. Und zwar bis zum Jahr 2005. Der VS hat permanent meinen Telefonverkehr und Emailverkehr, und nicht nur meinen sondern auch von den anderen 4 Hauptbeschuldigten überprüft und abgehört und hat daraus eine eigenständige Ermittlung gemacht und hat sich die Erlaubnis bei der parlamentarischen Kontrollkommission, der G10-Kommission, geholt, daß seine Ermittlungstätigkeit geheim bleibt, und daß er das auch machen darf, und die haben daraus konstruiert, daß wir seit dem Jahr 2000 eine Kampagne vorbereiten.“ Benner2 – 35 ́ ́

Erzählerin: Das Kölner Amt übersandte Bericht von Observationen, der

  • abgehörten Wohnungen, Telefonate und Emails.

Take: „... daraus haben die dann geschlußfolgert, daß, wenn wir am

  • Telefon sagen, wir wollen was zum G8-Gipfel machen, daß wir dann was militantes, was illegales, machen wollen“. benner5 – 12 ́ ́

Erzählerin: Auch mit dem Material der Verfassungsschützer ließ sich nur

  • belegen, was Benner nicht bestreitet: daß er und seine Freunde Globalisierungs-Gegner sind.

Take: „Und wir haben uns verabredet, den Aktionstag gegen die

  • globale Landwirtschaft während des G8-Gipfels in Rostock zu organisieren. Das hat der VS mitbekommen, der VS meinte aber, wir machen nicht nur Demonstrationen sondern auch militante Aktionen. Aber das ist die Phantasie der Verfassungsschützer gewesen, aber das war nicht unsere Planung. Wir haben weltweit Bauern eingeladen und wir haben eine große Demonstration gemacht, wir haben ein Genfeld besucht, das war von der Polizei so umstellt, dass wir nicht auf das Genfeld drauf konnten, aber wenn das Betreten von Genfeldern schon die Verfassung der BRD gefährdet, ok, dann waren wir insofern verdächtig, aber ....“ Benner3 – 36 ́ ́ ABBLENDEN

Sprecher: Der Bundesgerichtshof erklärte die Durchsuchungen für

  • rechtswidrig. Ein schwacher Trost für die Betroffenen. Für die bei der Durchsuchung eingetretene Haustür wurde Benner entschädigt. Nur für die Tür, nicht für die Bespitzelung. Auch nicht dafür, daß er als Bombenleger verdächtigt wurde. In zwei Jahren will er in den Vorruhestand gehen, die meisten der damals Beschuldigten sind schon auf Rente. Seine Haare sind grau, der Rücken schmerzt – keine idealen Voraussetzungen für einen Attentäter. Das hätten auch die Staatsschützer merken können.

Erzählerin: Benner hat sich, auf seine alten Tage, an seine Überwacher

  • gewöhnt. Sie sind „lästig“, sagt er. Man wird sie nicht los, aber sie behindern kaum in der Lebensplanung. Einige Regeln sind zu beachten: Emails und Festplatte lassen sich verschlüsseln, ein Handy muß nicht sein, private Daten werden auf Computern gespeichert, die nie ans Netz gehen.

Sprecher: Rechtsanwalt Goessner von der Liga für Menschenrechte

  • hingegen hat in eigener Sache Klage erhoben. Er ist seit 1970 praktisch ununterbrochen beobachtet worden:

Take: „Wann, wo ich aufgetreten bin, bei Veranstaltungen, mit

  • Veranstaltern die ihrerseits unter Beobachtung stehen. Oder in Publikationen publiziert habe, Interviews gegeben habe, über mich berichtet worden ist“. Rolf_goessner2 – 12 ́ ́ ABBLENDEN

Sprecher: Er stellte einen Antrag auf Akteneinsicht und erhielt ein

  • umfangreiches aber lückenhaftes Dossier. Jetzt klagt er vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das BfV auf vollständige Auskunft. Und er hat den Bundesrechnungshof zur Prüfung aufgefordert, ob 38 Jahre Beobachtung nicht eine immense Verschleuderung von Steuergeldern sei.

Take: „Der Bundesrechnungshof der sagt da noch gar nichts. Der wird

  • wahrscheinlich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Köln abwarten, um dann zu einem Ergebnis zu kommen“. Rolf_goessner3 – 11 ́ ́

Erzählerin: Zu einem Interview war der Bundesrechnungshof nicht bereit.

  • Alles sei geheim, so die Begründung. Auch der Bund der Steuerzahler, der „die sparsame Verwendung von Steuergeldern“ überwachen will, teilte auf unsere Anfrage mit, daß er zum Thema Geheimdienste „keine Meinung“ habe.

Sprecher: Laut Gesetz kontrolliert der Rechnungshof, ob der

  • Verfassungsschutz die Haushaltsposten korrekt verbucht,und ob die Ausgaben entsprechend belegt sind. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Prüfung der Effizienz und der Verhältnismäßigkeit. Aber in den entscheidenden „operativen Bereich“ erhält er keinen Einblick. Er kann also nicht kontrollieren, ob ein Spitzel den angegebenen Betrag erhalten hat, ob die Bewirtung eines Informanten notwendig war und ob ein Bürgerrechtler 38 Jahre auf Kosten des Steuerzahlers überwacht werden darf.

Take: „Ich sitze im parl. Kontrollgremium für die Geheimdienste seit

  • 1999“. Stroebele2 – 6 ́ ́

Sprecher: ... so Hans Christian Ströbele von den Grünen. Das

  • Parlamentarische Kontrollgremium soll die Geheimdienste beaufsichtigen, aber von Prüfung kann nicht die Rede sein, gibt Ströbele zu. In die Sitzungen darf er weder einen Kugelschreiber noch einen Assistenten mitnehmen. Auch das Archiv der Geheimdienste dürfe er nicht betreten. Er könne lediglich Akten anfordern, aber die Herausgabe liege in den Händen der Dienste. Auch die Bundesregierung erhalte von den Nachrichtendiensten nur das, was sie erhalten soll, und das viel zu spät.

Take: „Deshalb ist es in aller Regel so, dass es erst in der Zeitung

  • steht und wir dann beantragen, daß sich das Gremium auch damit beschäftigt, und dann hören wir dazu die Bundesregierung und Vertreter der Dienste, um die Sachen aufzuklären“. Stroebele3 – 15 ́ ́

Erzählerin: Selten können das Kontrollgremium oder ein

  • Untersuchungsausschuß einen Sachverhalt aufklären. Akten werden nicht komplett herausgegeben und Aussagegenehmigungen verweigert. Für den Journalisten Spoo gibt es nur eine wirksame Möglichkeit, die Verfassung zu schützen:

Take: „Ich halte die Arbeit der recherchierenden Journalisten, es gibt

  • nicht wirklich viele davon, auch weil überall Personal in den Redaktionen abgebaut wird, aber einzelne zum Teil auf eigene Rechnung recherchierende Journalisten gibt’s ja, deren Arbeit halte ich für viel viel wichtiger für die Demokratie als die Geheimdienste. Aller Erfahrung nach bekommen die Journalisten was raus aber nicht die Geheimdienste, die haben oft gar kein Interesse, etwas herauszubekommen, jedenfalls nicht, wenn es gegen rechts geht. Der wirkliche Verfassungsschutz ist Öffentlichkeit und die Öffentlichkeit wird durch Journalisten hergestellt.“ Spoo7 – 33 ́ ́

Erzählerin: Top Secret! – Geheimdienste. Das Bundesamt

  • Verfassungsschutz. Von Gaby Weber. Es sprachen: Krista Posch, Hartnut Stanke und Gregor Höppner Musik : Dirk Leyers Technische Realisation : Ilse Siewecke und Anne Lucht Regieassistenz : Dirk Leyers Regie : Christoph Pragua . Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2008 Redaktion : Ulrich Horstmann