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Schengener Informationssystem

Das Schengener Informationssystem, welches 1995 in Betrieb genommen wurde, ist das größte polizeiliche und nachrichtendienstliche IT-System auf europäischer Ebene.

SIS wurde ursprünglich eingerichtete um die durch die Abschaffung der Grenzkontrollen im Schengenland verursachten Nachteile bei der Auffindung von Straftätern zu kompensieren. Die Idee war Kfz-Diebstahl und flüchtige Straftäter durch Aufnahme in einer Datenbank überall in der EU auffindbar zu machen. Inzwischen wird das System vor allem für die Kontrolle von MigrantInnen eingesetzt (offiziell: Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit einer Schengener Vertragspartei haben und denen die Einreise in das Schengener Hoheitsgebiet zu verweigern ist). Am SIS nehmen alle EU-Mitgliedstaaten teil, ferner sind Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz angeschlossen.

Anmerkung: Zu Zeiten der Planung SIS haben sich die Polizeien noch weniger getraut als jetzt, was den Entwurf eines funktionierenden Systems schwer gemacht hat.

SIS II

Bereits seit 2004 wird an einer Fortentwicklung des SIS zu einem „Schengener Informationssystem der zweiten Generation“, dem sogenannten SIS II gearbeitet, mit dessen Inbetriebnahme zusätzliche Fahndungsmaßnahmen ermöglicht und erweiterte Zugriffsmöglichkeiten, unter anderem von Europol, auf den Datenbestand des SIS geschaffen werden soll. Die Rechtsgrundlagen wurden schon 2007 vom EU-Rat verabschiedet. Auf Grund der technischen Schwierigkeiten bei der Erweiterung des Systems ist die Inbetriebnahme allerdings ungewiss.

Rechtsgrundlage

SDÜ

SIS wurde durch das Schengener Durchführunges Abkommen (SDÜ, engl. Convention Implementing the Schengen Agreement, CISA) sowie seine nationalen Umsetzungsgesetze geregelt.

Schengen war ursprünglich ein Projekt der ehemaligen "erste Säule" der EU (gemeinsame Wirtschaftspolitik). Die Ausweitung von SIS für die "gemeinsame Rechts- und Innenpolitik" (also Repression gegen EU-BürgerInnen) hat SIS zunehmend in den Bereich der ehemaligen dritten Säule verschoben.

Spanische Initiative

Ausweitung der SIS-Kompetenzen im Jahre 2002 geht auf eine Spanische Initiative zurück:

SIRENE-Handbuch

Die verantwortlichen nationalen Stellen heißen SIRENEn. Im Sirene-Handbuch steht wie sie mit Speicherungen umgehen müssen.

Technische Struktur

Physisch existiert eine zentrale Datenbank C-SIS in Straßburg. Artikel 92 SDÜ sieht vor, dass Spiegel davon jeweils bei den nationaln Stellen vorgehalten werden ("N-SIS"). C-SIS hat (Artikel 92 SDÜ) neben der Funktion als Synchronisationsserver noch die Aufgabe, gelöschte Daten für ein Jahr weiter zu speichern, um eine datenschutzrechtliche Prüfung nach Artikel 113 SDÜ zu erlauben.

Jeder Schengen-Staat unterhält ein SIRENE-Büro (in der BRD ist das das BKA), das die für Kommunikation mit SIS verantwortlich ist und wohl und den nationalen Spiegel N-SIS unterhält. Lokale Polizeibehörden fragen SIS-Daten über den nationalen Spiegel N-SIS beim BKA ab. Einspeicherungen geschehen mit Unterstützung des BKAs.

Die Datenbank SIS II soll über das private sTesta Netzwerk der EU angebunden werden. 2006 wurde die EDV-Infrastruktur mit Blick auf SIS II für 27 Millionen aktualisiert (vgl Newswelt).

Inhalt von SIS

Die SIS Datenbank enthält vor allem Daten über Einreiseversuche von Menschen, die nicht aus der EU kommen. Zudem gibt es Fahndungs- und Ausschreibungsdaten von Personen und Gegenständen.

Errichtungsanordnung

Nach Artikel 94 (3) SDÜ werden folgende Personendaten gespeichert:

  • Name, Vorname (Alias macht normalerweise extra-Record)
  • Erkennungszeichen
  • Geburtsort und -datum,
  • Geschlecht,
  • Staatsangehörigkeit,
  • PHW bewaffnet/gewalttätig,
  • Ausschreibungsgrund (nach SDÜ),
  • Maßnahme (Registrierung, Festnahme, Ausweisung, etc)

Seit der Spanische Iniative gibt es noch mehr Arten von strafbaren Handlungen, sowie Ausschreibungen nach Artikel 95 und 99 SDÜ den Hinweis ob der/die Gesuchte aus der Haft entflohen ist.

Auschreibungsarten nach SDÜ

Artikel 95 (Festnahme)

Ausschreibung zur Festnahme müssen gerichtlich angeordnet werden und die Gerichte müssen nach Artikel 95 SDÜ prüfen, ob die Festnahme in den Zielländern legal wäre.

Bei der 95er Ausschreibung werden an die SIRENEN nähere Infos zur Tat übertragen ("Beschreibung der Umstände", "Art der Täterschaft", "Folgen");

95er Ausschreibungen können von den Einzelstaaten bis zu eine Woche "geprüft" werden, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Die Zweifel an der Rechtsmäßigkeit müssen begründet werden, außer es ist ihr eigener Staatsbürger. Als Gründe kommen insbesondere auch Opportunitätswerwägungen in Frage. Der Aufenthalt des Betroffenen muss auch bei rechtswidriger Ausschreibung weitergegeben werden.

===== Vorgehensweise nach SIRENE-Handbuch =====

Vorgehensweise nach dem SIRENE-Handbuch

Das SIRENE-Handbuch erläutert das Vorgehen bei 96er Ausschreibungen etwas konkreter. Für diese Fallgruppe soll bei der Ausschreibung eine "Rechtliche Würdigung" und eine "Beschreibung des Sachverhalts" inklusiv seiner "Folgen" mitgeliefert werden, um eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausschreibung zu ermöglichen (d.h. diese Daten werden nicht gespeichert, sondern nur von den SIRENE-Leuten daraufhin geprüft, ob sie rechtliche Einwände gegen die Ausschreibung haben).

Weiter steht im SIRENE-Handbuch, dass der widersprechende Staat eine Ausschreibung entweder in seinem nationalen Spiegel (N-SIS) unterlassen kann oder den Datensatz in seinem Spiegel als nicht gültig kennzeichen kann.

Artikel 96 (Einreiseverweigerung)

Ausschreibung zur Einreiseverweigerung werden durch Gerichte oder Verwaltungsbehörden gemäß nationalem Recht vorgenommen bei Nicht EU-BürgerInnen vorgenommen. Sie werden bei versuchter (illegaler) Einreise oder beim abgeschobenen Straffälligen vorgenommen. Zudem kann die Einreise verweigert werden, wenn angenommen wird, dass die Person schwere Straftaten begehen würde. Hält die Person sich schon in Schengenstaat auf, darf sie keine Aufenthaltsgenehmigungen bekommen und muss abgeschoben werden.

Hier sind allerdings Fälle bekannt, in denen nationale Behörden SIS-Ausschreibungen angefochten haben, insbesondere, wenn die Betroffenen sich schon in dem anfechtenden Staat aufhielten.

Wenn Einreiseversuche von einem Schengenstaat bei 96er Ausschreibungen festgestellt wurden muss im Gegensatz zu anderen Ausschreibungen, nicht an das ausschreibende Land benachrichtigt werden.

Gerichtsurteile zu 96er Ausschreibungen

Das VG München hat in der Entscheidung M 21 k 05.2136 vom 19.12.2006 festgehalten, dass auch nach einer Abschiebung eine Einzelfallprüfung erfolgen muss und nicht automatisch eine 96er-Ausschreibung erfolgen darf.

Ein belgisches Urteil (2006-12-07, Cour d'Appel de Bruxelles, 2006/KR/223) sagt, dass zumindest die dortigen Behörden nicht einfach nur aufgrund einer 96er-Ausschreibung die Einreise verwehren dürfen, sondern sie in jedem Einzelfall die Gründe für die Ausschreibung prüfen üssen.

Erfahrungen der LfDIs mit Einreiseverweigerungen

Der hessische LfDI berichtet, dass die Behörden hätten Personen nach Artikel 96 SDÜ ausgeschrieben, weil sie sie zum Verlassen der BRD aufgefordert und dann aus den Augen verloren hätten. Desweitern berichtet er von einer Prüfung der 96er-Ausschreibungen aus dem Kreis Bergstraße. Danach waren im Jahre 2008 fünf von 25 mindestens ein Mal verlängerten worden und hatten noch nicht mal die Ausschreibungsvoraussetzungen erfüllt. In 13 Fällen war nicht ersichtlich, dass irgendeine Prüfung zur Löschung vorgenommen worden wäre. In nur zwei Fällen wurde ordnungsgemäße Prüfung und dann auch eine Löschung verfügt.

37. TB LfD Hessen

Im wird Teilbericht des LfDI BaWü von einer Untersuchung von 96er-Ausschreibungen aus BaWü berichtet. Ungefähr alles dabei war falsch und verletzte elementare datenschutzrechtliche Bestimmungen. Die Ausschreibungen in SIS hatten teilweise überhaupt keine Grundlage, da die Betroffenen weder ausgewiesen noch abgeschoben worden waren. In diesem Fall hatten die Behörden aber ein Einsehen, als sie merkten, was sie getan hatten und löschten die betreffenden r immerhin nicht in die DV-Anlagen gelangten, soweit das zu erkennen ist).Einträge umgehend. Dazu wurden mit den Anforderungen zur Ausschreibung regelmäßig auch Bescheide mit hochvertraulichen Daten übersand.

25. TB des LfD BaWü (pdf)

Art. 97 (Vermisste)

Ausschreibung zum vorläufigen Gewahrsam zum eigenen Schutz oder zur Gefahrenabwehr. Diese Ausschreibungen werden durch nationalen Gerichte oder Behörden (Psychatrie) verfügt. Bei 97er-Ausschreibungen können von Einzelstaaten nach Art. 94 in ihren nationalen Spiegeln (N-SIS) als unwirksam markiert werden.

Art. 98 (Vorladung)

Ausschreibung von Menschen, die vor Gericht erscheinen müssen (Zeugen, Angeklagte). Die Ausschreibungen werden von Staatsanwaltschaften vorgenommen.

Art. 99 (polizeiliche Beobachtung)

Ausschreibung zur verdeckten oder offenen Beobachtung von Personen und Fahrzeugen. Dieses muss nach der Spanischen Initiative nach nationalen Recht erfolgen. Da es in der BRD keine Rechtsgrundlage für eine offene Beobachtung gibt werden alle Ausschreibungen nach Artikel 99 SDÜ im nationalen Spiegel N-SIS in verdeckte Beobachtung umgewandelt.

Praktisch werden bei den 99er Ausschreibungen bei Kontrollen, der Ort, die Zeit, der Reiseweg und Ziel, die Begleitpersonen, das Fahrzeug und mitgeführte Sachen an den ausschreibenden Staat gemeldet werden.

99er Ausschreibungen dürfen nur bei Planung von "außergewöhnlich schweren" Straftaten" oder ungünstiger Gesamtbeurteilung oder Bedenken der Staatssicherheitsorgane erfolgen. Auch 99er Ausschreibungen dürfen nach Artikel 94 SDÜ in einzelnen nationalen Spiegeln (N-SIS) mit Begründung ausgesetzt oder als unwirksam markiert werden.

Empfehlungen der Ratspräsidentschaft zu 99er Ausschreibungen

Die EU-Ratspräsidentschaft hat 2009 einen großzügigen Umgang mit 99er-Ausschreibungen propagiert:

  • As the Best Practice, it is recognized that use of an Article 99 alert should always be one of the measures considered when dealing with serious crimes and/or threats to public order or as a supportive measure when dealing with searches for dangerous criminals.

Quelle: Ratsdokument 7557/09).

Erfahrungen der LfDIs mit 99er Ausschreibungen

Wie 99er-Ausschreibungen in der Praxis aussehen, zeigt der 28. Teilbericht des LfDI von BaWü. Der LfDI hat zunächst die Ausschreibungen von 2006 geprüft und 376 99er-Ausschreibungen aus BaWü in SIS gefunden. Die 67 Fälle, bei denen Leute bereits länger als zwei Jahre ausgeschrieben waren, kamen alle aus dem Staatsschutz-Bereich (Staatsschutz aus BaWü insgesamt 118). Die Prüfung des LfDI ergab, dass z.B. widerrechtlich Kontaktpersonen ausgeschrieben waren und blind verlängert wurde. Nach der Prüfung waren noch 249 Personen in SIS, über die Hälfte der Staatsschutz-Fälle (nämlich 67) mussten gelöscht werden. Dabei wurden einige Löschungen verzögert, weil das LKA auf SIS II mit seinen niedrigeren Anforderungen hoffte. Daraus wurde bekanntermaßen nichts und so musste die Polizei doch noch nach Gesetz löschen. Übrig blieben 74 Ausschreibungen, davon waren 22 von Justizbehörden und keine mehr durch den Staatsschutz.

28. TB LfD BaWü (pdf)

Art. 100 (Sachfahndung)

Ausschreibung von Gegenständen zur Sicherstellung oder Beweissicherung, wie z.B. Autos, Feuerwaffen, Identitätspapier und Banknoten.

Datenschutz

Technische Datenschutzkontrolle durch JSA

Wie die meisten Datenbanken EU wird auch das SIS durch einen JSA kontrolliert. Beim SIS ist das JSA nur für die technische Kontrolle zuständig. Aus der BRD senden sowohl der BfDI als auch die LfDIs je einen Vertreter in den JSA.

Webseite der Schengen JSA

Anmerkung: Allerdings scheinen deren Berichte bisher ausgesprochen inhaltsleer gewesen zu sein. Tatsächlich wird etwa nur ein kleiner Teil der Streitfälle um 96er-Ausschreibungen (Einreiseverweigerung) vom JSA wahrgenommen (vgl Brouwer 2008, S. 14)

Inhaltliche Kontrolle durch die Nationalen Datenschutzbeauftragten

Im Durchführungsübereinkommen ist festgelegt, dass jede Vertragspartei eine nationalen Datenschutzbeauftragten mit der unabhängigen Kontrolle zu beauftragen hat. In der BRD ist das der BfDI.

Datenschutzkritik

Ein grundsätzlicher Webfehler an SIS ist Artikel 105 SDÜ, nach dem die datenschutzrechtliche Verantwortung beim speichernden Staat liegt. D.h. das die Änderung oder Löschung von Daten nur durch Herkunftsstaat erfolgen kann und dieser auch Einspruch bei einem AuskunftErsuchen hat. D.h., dass nationale Polizeien nach Daten handeln, über die sie keine Auskunft geben dürfen.

Artikel 102 SDÜ verbietet zwar das Kopieren ausländischer Daten in nationale Datenbanken und sieht (nach nationalem Recht) Zweckbindung vor, erlaubt aber eine Umkategorisierung bestehender Daten (im Gegensatz zur ebenfalls Möglichen Neuausschreibung, die nach komplizierten Regeln bestehende Ausschreibungen überschreiben könnte) und zwar bei Staatsschutz-Delikten oder Straftaten von "erheblicher Bedeutung".

Einige Sicherheitsangehörige weisen beim Thema Datenschutz darauf hin, dass bisher weder Ethnie, politische Überzeugungen, Gesundheitsprobleme noch sexuelle Orientierung gespeichert werden. Angesichts der drakonischen Wirkungen einer Ausschreibung durch Einreiseverweigerung oder verdeckte Registrierung ist dieses allerdings unerheblich. Eher im Gegenteil, denn wenn die prüfende Stelle sieht nur, dass eine Ausschreibung vorliegt, weiß sie nicht, ob die Ausschreibung wegen eines Polizistenmordes oder wegen einer Teilnahme an einer politischen Demonstration vorgenommen wurde.

Personen die in der SIS-Datenbank ausgeschrieben sind sollten eigentlich auch in den jeweiligen nationalen Datenbanken ausgeschrieben sein, mittlerweile wird aber auch direkt und ausschließlich in SIS gespeichert. Obwohl die SIS-Bestimmungen anderes vorsehen.

Auskunft

Geregelt wird das Auskunftsrecht nach Artikel 109 SDÜ. Maßgeblich für die Auskunft ist danach das Recht des Staates, in dem das Auskunftsrecht beansprucht wird. Dieses ist bezüglich der Daten relativ nutzlos, weil die einstellenden Staaten einer Auskunft zustimmen müssen (und dafür keine Gründe angeben müssen) und Ausschreibungen zur verdeckten Beobachtung nie zugegeben werden.

AuskunftErsuchen sind an ein nationales SIRENE-Büro zu richten (d.h. in der BRD das [[|BKA]]). Artikel 114 SDÜ erlaubt auch Anfragen an die Nationale Kontrollinstanz (in der BRD der BfDI).

Anmerkung: Da die aber ohnehin überlastet sind und jedenfalls deutlich netter als die Jungs von SIRENE, sollte mensch aber eher davon absehen.

Nähere Regelungen dazu sind im SIRENE-Handbuch beschrieben. Auch hier bleiben die Dinge vage. Die angefragte SIRENE überprüft ob es Datenspeicherungen gibt und falls ja erbittet sie die ausschreibenden SIRENE um "Standpunkte" dazu. Zudem gibt es Verweise auf das nationale Recht des fragenden Staates. Was passiert, wenn der "Standpunkt" mit nationalem Recht nicht vereinbar sein sollte, bleibt allerdings offen.

Broschüre zum SIS vom BfDI

Der BfDI hat eine Broschüre zum SIS-Auskunftrecht geschrieben.

Leitfaden SIS Auskunftrecht

Speicherfristen

Artikel 112 SDÜ sieht Aussonderungsprüffristen in SIS von drei Jahre für Ausschreibungen nach Artikel 96 (Einreiseverweigerung) und ein Jahr für Ausschreibungen nach Artikel 99 (polizeiliche Beobachtung) vor.

Die Speicherfristen sind derzeit weitgehend Makulatur, weil Ausschreibungen offenbar in aller Regel automatisch verlängert werden. Auch im 99er-Bereich ist Verlängerungen an der Tagesordnung. Von 376 Ausschreibungen aus Bawü im Jahre 2006 fand der LfDI 62, die länger als zwei Jahre in SIS gewesen waren.

Teilbericht des LfDI BaWue

Die Fristüberwachung ist Aufgabe der zentralen Stelle (C-SIS). Dieses sendet offenbar regelmäßig Listen mit zu prüfenden Datensätzen an die nationalen SIRENE-Büros der ausschreibenden Staaten. Dabei ist eine Löschung bedeutend aufwändiger als eine Weiterspeicherung, weswegen die Löschung meistens unterbleibt.

Die Löschpraxis von 2007 beschreibt der hessische LfDI in seinem Teilbericht. Dabei ging bei der ersten Prüfung ein Opt-out-Formular (die Behörde muss reagieren, damit gelöscht wird), bei der zweiten Prüfung ein Opt-in-Formular vom BKA an die ausschreibende Behörde. Entsprechend haben sich jede Menge unrechtmäßige Ausschreibungen.

37. Teilbericht LfDI Hessen

Zugriffsberechtigte

Laut Artikel 101 SDÜ haben Grenzkontrollbeamte, Polizei, Zoll und für 96er-Daten (Einreiseverbote) auch die nationale Pass- und Ausländerbehörden Zugriff auf die Daten. Die Abfrage erfolgt jeweils über die nationalen Spiegel N-SIS.

Laut Artikel 101 SDÜ sollen die Mitgliedsstaaten zudem eine Liste der berechtigten Behörden beim "Exekutivausschuss" (das ist heute wohl der Rat) eine Liste der im jeweiligen Staat zugriffsberechtigten Behörden (samt der für sie "freigeschalteten" Tatbestände) einreichen.

Ursprünglich sollte jede 10. Abfrage geloggt werden und für sechs Monate gespeichert werden. Die Spanische Initiative sieht die Speicherung sämtlicher Abfragen für 12 Monate vor.

Zugriff durch Europol

Mit der Spanische Initiative bekommt auch Europol Direktzugriff auf Daten nach Artikel 95 (Fahndung), 99 (polizeiliche Beobachtung) und 100 (Sachfahndung) SDÜ. Europol protokolliert seine Zugriffe selber, darf aber keinen eigenen Spiegel betreiben.

Zugriff auf KFZ-Daten per SIS

Der Zugriff der nationalen Zulassungsstellen auf Kfz-Daten war eine Weile in der Diskussion und wurde mit der Verordnung 1160/2005 ab Anfang 2006 zugelassen (siehe eine Weile in der Diskussion).

Die Erfahrungen damit bis 2009 beschreibt ein EU-Ratsdokument. Illustrativ für das Datenschutzverständnis der zuständigen Behörden ist Punkt 15 (S. 4) aus diesem Dokument:

  • Darüber hinaus hatten einige Mitgliedstaaten (z.B. BE, DE) vor Inkrafttreten des Artikels 102a eine interne Lösung gefunden, um neu ausgestellte Zulassungsbescheinigungen im Hinblick auf SIS-Ausschreibungen durch die Behörden überprüfen zu lassen, die bereits Zugang zum SIS hatten. Dies könnte die Schwierigkeit erklären, einen wahrscheinlichen, auf die Anwendung des Artikels 102a zurückzuführenden Anstieg der Anzahl von Ausschreibungen und Treffern sichtbar zu machen.

Quelle: Ratsdokument 17432/09.

Berichtigung und Löschung der Daten

Art. 111 SDÜ erlaubt, in beliebigen Mitgliedsstaaten auf Löschung oder Korrektur in SIS gespeicherter Daten zu klagen. Es ist die Aufgabe der einzelner Mitgliedstaaten, zu benennen, wer das ist. Wenn so ein Gericht feststellen sollte, dass eine Speicherung in SIS rechtswidrig war, muss der Staat, in dem das Gericht steht, versuchen, den speichernden Staat zur Löschung zu bewegen. So etwas ist wirklich mal passert, etwa im Fall Van Straaten gegen die Niederlande, der vom Europäischen Gerichtshof endete. Italien musste daraufhin eine von einem niederländischen Gericht verhängte Löschung durchführen.

Anzahl Speicherungen in SIS

Anzahl Ausschreibungen zur polizeilichen Beobachtung in der BRD

Im Teilbericht berichtet der LfDI Bawü über Ausschreibungen zur verdeckten Registrierung(Art. 99). Anfang 2006 waren von BRD-Behörden 1104 Personen so ausgeschrieben worden. Die Verteilung nach Bundesländern war dabei aufschlussreich:

Land

Ausschreibungen

pro Mill. Einwohner

Baden-Württemberg

376

35

Bayern

348

28

Nordrhein-Westfalen

83

4.6

Hessen

67

11

Rheinland-Pfalz

26

21

Niedersachsen

18

2.3

Quelle: 27. Teilbericht LfDI BaWü (2006)

Anzahl Ausschreibungen für 2008 insgesamt

CILIP 92 (1/2009), S. 83 hat eine aus den Ratsdokumenten 5239/06, 6178/07, 5441/08 und 5764/09 zusammengestellte Übersicht des Datenbestandes von SIS publiziert:

Artikel SDÜ

Fahndungszweck

1.1.2006

1.1.2007

1.1.2008

1.1.2009

95

Festnahme

15.460

16.047

19.119

24.560

96

Einreiseverweigerung

751.954

752.338

696.419

746.994

97

Vermisste

39.011

42.500

47.501

48.559

98

Aufenthaltsermittlung

45.189

50.616

64.684

72.958

99

Beobachtung

31.013

33.275

31.577

34.247

-

Personen gesamt

882.627

894.776

859.300

927.318

100

Banknoten

252.442

241.062

177.327

168.982

100

Blankodokumente

403.900

386.440

390.306

360.349

100

Schusswaffen

297.021

294.490

314.897

332.028

100

Ausweise

11.353.906

13.752.947

17.876.227

22.216.158

99/100

Kraftfahrzeuge

1.469.378

1.731.115

3.012.856

3.618.199

99/100

Wohnwagen

3.153

3.063

2.984

-

Sachen gesamt

13.779.800

16.409.117

21.774.597

26.695.716

Anzahl übermittelter Daten

Übersicht über die Zahl der Hits eigener Ausschreibungen ("Import") und von an ausschreibende Mitgliedsstaaten übermittelte Hits ("Export") zusammen mit der Zahl der Beschäftigten in den SIRENEn für 2008:

Mitgliedsstaat

Hits Import 2008

Hits Export 2008

Leute bei SIRENE 2008

AUSTRIA

4641

3697

28

BELGIUM

1800

2792

43

DENMARK

379

285

25

FINLAND

252

335

32

FRANCE

4307

3498

20

GREECE

1711

1532

34

GERMANY

9091

10173

66

ITALY

14012

4426

39

ICELAND

6

7

11

LUXEMBURG

233

684

10

THE NETHERLANDS

2600

4099

70

NORWAY

422

233

14

PORTUGAL

863

1274

31

SWEDEN

674

644

10

SPAIN

6522

2252

39

CZECK REPUBLIC

2615

4072

19

HUNGARY

1133

2446

26

ESTONIA

189

228

LATVIA

141

292

16

LITHUANIA

955

963

23

MALTA

0

0

18

POLAND

1725

9278

44

SLOVAKIA

4189

3327

17

SLOVENIA

249

6869

17

TOTAL

58709

63406

652

Personenausschreibungen von 2008 nach Ländern

it

de

fr

hu

es

gr

cy

cz

at

pl

436000

130000

109085

70000

69875

53240

40175

28360

24370

22200

Quelle: Ratsdokument 5171/09

Anekdoten

Klage der Mun-Sekte gegen Einreiseverbot

Der Mun-Sekten-Mun wurde 1995 vom Grenzschutz in Koblenz nach Art. 96 wegen Gefährdung der Jugend nach Art. 95 ausgeschrieben. Die Ausschreibung wurde regelmäßig verlängert. Nach zwölf Jahren (2007) hatte Mun das Einreiseverbot weggeklagt; er war dazu zwei Mal bis vors BVerfG gegangen. Darauf brachte die BRD Frankreich dazu, ihn auszuschreiben. Das war den Franzosen bei genauerer Überlegung wohl doch zu peinlich, und so haben sie die Ausschreibung recht schnell wieder zurückgenommen. Die Geschichte hat noch ein paar mehr Windungen. Die Mun-Anwälte haben sich in dem Fall gern auf Religionsfreiheit berufen, was einerseits doof ist, andererseits aber auch geschickt, weil sie so Menschenrechte von EU-BürgerInnen ins Spiel brachten statt "nur" der von KoreanerInnen. Das BVerfG hat aber am Ende aufgrund der absurden Begründung der Ausschreibung entschieden.

Brouwer (pdf)

Massenhaft fehlerhafte Ausschreibungen in BaWü

Der LfDI BaWü berichtet von einer Überprüfung der SIS-Ausschreibungen beim LKA. Bei einem Vergleich mit nationalen Ausschreibungen zur verdeckten Registrierung ergab sich, dass Bawü 80% seiner 468 entsprechenden Ausschreibungen in INPOL ins SIS gestellt hatte, Bayern aber nur 15% seiner überwältigenden 2208. Der LfD hat ein wenig nachgesehen, woher die vielen Fälle aus Bawü kommen; darunter waren 63 Personen, die eine Ermittlungsgruppe "Mobile Kinderbanden" ausgeschrieben hat. Ansonsten gab es 62 Fälle, die bereits seit mehr als zwei Jahren in SIS waren (also mindestens zwei Mal verlängert worden waren; eine Ausschreibung war schon seit 2000 gelaufen). Alle diese Fälle kamen aus dem "Staatsschutz"-Bereich, waren also politisch motiviert. Erwartungsgemäß hatte die Polizei munter "Kontaktpersonen" ausgeschrieben oder sich noch nicht mal die Mühe gemacht, irgendwelche Gefahren schwerer Straftaten zusammenzufantasieren. Außerdem wurden einfach gleich mal alle namentlich bekannten Funktionäre verschiedener Gruppen in SIS ausgeschrieben.

27. Teilbericht LfDI BaWü (2008)

Ideen zur Ausschreibung von Troublemakern

Ein Memorandum der EU- Kommission von 2009 schlägt eine Erweiterung der Regeln im SDÜ vor, um "violent troublemakers" (d.h. auffällig gewordenen PolitaktivistInnen) in größerem Umfang speichern zu können.

Gipfelsoli über Troblemakers

SIS Auschreibungen zu Genua und Göteburg

Warum es so doof ist, dass nationale Stellen am Schluss "verantwortlich" bleiben, illustriert gut die Anfrage von Marco Cappato an den Rat (3.8.2001) zur Rolle von SIS bei der Repression anlässlich der Gipfel in Göteborg und Genua. In der Antwort schreibt der Rat, er könne zur Nutzung von SIS nichts sagen, da das Sache der schwedischen und italienischen Behörden sei.

die schriftliche Anfrage P-2364/01

Weitere Quellen