Polizeiliche Vorgangsverwaltung

Ein Typ polizeilicher EDV, der zur Dokumentation des Arbeitsaltags der Polizei dient. In VVen wird alles gespeichert, was die Polizeibeamten aufnehmen, beispielsweise "Max Mustermann ist mit dem Fahrrad durch die Fußgängerzone gefahren" oder "Marina Mustermann hat Aufkleber auf eine Laterne geklebt". Dazu kann dann in einem Freitextfeld noch stehen, Max Mustermann habe es an Respekt für die Einsatzkräfte fehlen lassen. Natürlich werden alle Anzeigen unabhängig vom Wahrheitsgehalt gespeichert, immerhin nach Anzeigender_m und Angezeigtem_r. Auch Telefonkontakte, vor allem zu 110, finden sich normalerweise in VVen wieder.

In aller Regel sind Vorgangsverwaltungen so geschrieben, dass Einträge an Personen gebunden sind und durch Suche nach Namen auf gefunden werden.

Vorgangsverwaltungen kamen mit der Ablösung der schreibmaschinenbasierten Büroorganisation der Polizeibehörden Ende der 90er Jahre auf und wurden breit ausgerollt, als zwischen Terrorhysterie und Budgetnot niemand über Menschenrechte nachdenken wollte. Daher waren die VVen ein Schlachtfeld von Datenschutz-Irrsinn, Missbrauch und Konfusion. Für viele hat sich das über Jahre nicht geändert.

VVen sind praktisch allen BeamtInnen frei zugänglich. Ein Bewusstsein für die Brisanz dieser Tatsache scheint sich nur langsam zu entwickeln, allenfalls gelegentlich beschweren sich Datenschutzbeauftragte bescheiden über die namentliche Recherchierbarkeit bestimmter Vorgänge.

VVen basieren meist clientseitig auf haarsträubenden Hacks auf der Basis von Office-Systemen (Formularwesen mit Word usf). Angesichts der überschießenden Featureitis und der Präferenz von Bequemlichkeit gegenüber Sicherheit in diesem EDV-Segment ist weiter mit scheunentorgroßen Lücken zu rechnen, über die Beamt_innen oder dritte jedenfalls einzelne Dokumente abziehen können. Andererseits funktionieren VVen damit häufig nicht besonders gut...

VVen waren und sind häufig mit noch heikleren Systemen integriert, die unter Fallbearbeitung laufen; es scheint, dass letztere in aller Regel Daten der VVen integrieren.

Etwas angestaubt, aber schon im Hinblick auf die Etablierung von Begriffen immer noch nützlich ist das Löschkonzept für @rtus in Schleswig-Holstein von 1996. Wer sich wundert, wie murksig die polizeiliche Datenhaltung oft ist, findet in den konfusen Flussdiagrammen auf Seite acht den einen oder anderen Hinweis.

Speicherfristen

Die Speicherfristen in den Vorgangsverwaltungen waren zunächst meist nicht (oder nur ungenau) geregelt. In Bayern waren z.B. Meldungen vom Typ "Vor meinen Haus plärrt seit 30 Minuten eine Auto-Alarmanlage" noch nach über fünf Jahren über den Namen des/der Meldenden recherchierbar. Inzwischen ist die Speicherfrist auf 1-5 Jahre "fest"gelegt, 110-Anrufe sollen meist "nur" noch 3 Monate gespeichert werden.

Im Gegensatz zu den meisten Ländern, die solche Fragen immer noch in obskuren und unzugänglichen Verwaltungsverordnungen Regeln, hat Hamburg Speicherfristen für seine Vorgangsverwaltung (das dort entwickelte ComVor) ins Hamburger PolDvG geschrieben. Danach ist nach § 24 die Speicherfrist fünf Jahre für Beschuldigte (d.h. eine Straftat), drei Jahre für Betroffene (d.h. eine Begeher einer Ordnungswidrigkeit), drei Jahre für Geschädigte, Anzeigende, Zeugen, Vermisste und drei Monate für Angehaltene (i.a. Personenkontrollen).

Auskunftsrecht

Teilweise war den Polizeien nicht ganz klar, dass auch ihre Vorgangsverwaltungen (in denen ja in aller Regel nach Namen gesucht werden kann) und somit auch ComVor auskunftspflichtig sind. Der LfdI von Hessen stellt in seinem 37 Tätitigkeitsbericht klar, dass auch für Vorgangsdaten eine Auskunftspflicht besteht.

Beurteilung

Primär werden in VVen riesige Datenberge praktisch unkontrolliert aufgehäuft und auch indiziert. Im Gegensatz zu den noch halbwegs geregelten Auskunfssystemen herrscht bei Vorgangsverwaltungen kompletter Wildwuchs, es gibt keine Trivialitätsgrenzen für gespeicherte Information (sogar Telefonkontakte werden erfasst) -- analog eben zur alten Zettelwirtschaft. Im Gegensatz zum Zettelkasten sind die Daten VVen aber auch wieder auffindbar, und zwar normalerweise von allen Beamten im Land. Der nette Polizist im Amt wird also noch nach Monaten sehen, dass sich ein Nachbar über euch beschwert hat, ihr in eine Personalienkontrolle auf einer Demo geraten seid oder vor der Tür einer Kneipe rauchen wart.

Der 29. Tätigkeitsbericht LfDI BaWü (2008) illustriert recht schön, dass die übliche Argumentation, Vorgangsverwaltungen wären vergleichsweise harmlos, weil sie nicht zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung eingesetzt werden, auch dann unsinnig wäre, wenn sie tatsächlich nicht nach Namen oder anderen personenbezogenen Eigenschaften durchsuchbar wären:

Dass die Qualität der [polizeilichen Datenspeicherung verbessert werden kann, ist nach einem mir zugegangenen Evaluationsbericht dieser Gruppe kaum zu bestreiten. Hierzu soll auch die Realisierung des Projektes ComVor, also die Einführung eines Vorgangsbearbeitungssystems, welches Quelldatenbank für die verschiedenen polizeilichen Informationssysteme werden soll, beitragen.

-- die verschiedenen polizeilichen Informationssysteme sind eben nicht abgeschottet, es findet permanenter und prinzipiell praktisch nicht kontrollierbarer Austausch statt.

Weiteres

Siehe auch Länderübergreifende Software