Die häufigste Ursache von „überraschenden“ Speicherungen in Nachweisdatenbanken sind Verfahren, die ohne Urteil ausgingen, ganz besonders Einstellungen durch die Staatsanwaltschaft nach §170 (2) StPO, denn bei diesen wissen die Betroffenen häufig noch nicht mal, dass es ein Verfahren gab, und aufgrund von Bestimmungen aus Zeiten, als es noch keine Polizeidatenbanken gab, werden sie auch nicht benachrichtigt.

2009 hatten wir dazu einen Übersichtsartikel in der RHZ, 2017 eine weitere Einordnung im Hinblick auf die Löschbarkeit solcher Speicherungen.

Eine ebenfalls endlos populäre Variante dieses Themas – Verfahren, deren Augang die Polizei nicht mitkriegt oder nicht mitkriegen will –, hat 2019 der Hessische LfDI in seinem 48. TB (S. 36) wieder mal diskutiert:

Meine Überprüfungen aufgrund von Beschwerden in Einzelfällen ergaben, dass bei einzelnen Datensätzen in POLAS-Hessen zu Straftaten auch Jahre nach der Tatbegehung keine Daten zu Verfahrensausgängen hinterlegt waren. Bei von mir beim Hessischen Landeskriminalamt (HLKA) initiierten Überprüfungen ist vereinzelt festgestellt worden, dass auch bei den zuständigen Staatsanwaltschaften keine Informationen über die betreffenden Verfahrensausgänge mehr erlangt werden konnten.

Es geht ja auch nur um Menschenrechte, da brauchts keine so große Sorgfalt.

Im 35. TB des LfDI BaWü (2019) berichtet dieser ab S. 53 über eine Stichprobe des polizeilichen Umgangs mit 170 (2)-Einstellungen; dabei hat er von fünf Staatsanwaltschaften zehn Akten von wegen erwiesender Unschuld nach 170 (2) Eingestellten angefordert (was etliche Staatsanwaltschaften nicht ganz verstanden haben). Tatsächlich hatte die Polizei alle Daten, die sie aus den Unschuld-eingestellten Verfahren gelöscht (das waren auch verschiedenen Gründen dann aber statt 50 auch nur 18). Beim „Beifang“, als aus anderen Gründen staatsanwaltschaftlich eingestellten Verfahren mochte der LfDI nicht die Speicherung, sondern nur die Speicherfristen beanstanden.

Rechtsgrundlagen

Grundsätzlich können Verfahren von der Staatsanwaltschaft nach §170 StPO (2) gar nicht erst ans Gericht geleitet werden, etwa, weil gar nichts war, der_die Beschuldigte keine Schuld hat oder es kein Verfolgungsinteresse gibt.

Verfahren können aber auch vom Gericht und/oder Staatsanwaltschaft nach §153 StPO, §153a StPO, §153b StPO, §153d StPO, §153e StPO, §154 StPO eingestellt werden; dafür kann es einen ganzen Haufen Motivationen gehen, die zwischen „Freispruch zweiter Klasse“ und „Verurteilung zweiter Klasse“ rangieren.

Nun setzt eine Speicherung in Nachweisdatenbanken voraus, dass die Polizei hinreichend gut begründen kann, warum die gespeicherte Person demnächst eine zur Speicherung verhältnismäßige Straftat begehen wollen könnte („Negativprognose“). Das ist natürlich um so schwieriger, je mehr die Einstellung sagt: „Liebe Bullen: der Fall, den ihr uns da angeschleift habe, ist ein Scheiß.“

Dennoch speichern immer noch Polizeien weitgehend ohne Ansehen des Verfahrensausgangs.

Nachweisakten bei der Polizei

"Daten sind zu löschen, wenn ihre Speicherung unrechtmäßig ist" -- diese in §489 StPO, den meisten einschlägigen Landesgesetzen und vielen Urteilen zu lesende Sentenz könnte eigentlich reichen, wenn das mit dem "unrechtmäßig" nicht so kompliziert wäre.

So dass eigentlich alle eingestellten Ermittlungsverfahren gelöscht werden müssten. Auf jedenfall gilt dieses für Verfahren, die nach §170 StPO eingestellt worden sind. Obwohl dieses meist nicht automatisch geschieht (außer bei PolizeibeamtInnen). Dagegen ist die Rechtslage bei Verfahren, die nach §153 StPO eingestellt wurden schon schwieriger. Dieses können weiter gespeichert werden, falls die Vermutung besteht, dass die Person weitere Straftaten begeht.

Denn nach der Einstellung eines Ermittlungs- oder Gerichtsverfahrens muss die Polizei anhand des Urteils prüfen, ob ein Tatvorwurf zu löschen ist und darf nur weiterspeichern, wenn ein "Verdacht übrig bleibt" und/oder tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass der/die Betroffene künftig eine Straftat begehen wird. D.h. es geht um die Prävention. Die Idee dahinter ist, dass die betreffenden Daten in Zukunft für die Aufklärung von Verbrechen oder auch zur Prävention wichtig sein könnten.

Die Polizei geht dabei in der Regel viel zu restriktiv vor und speichert mehr als sie dürfte. Ein Fall dieser Art ist im 2005er-Bericht des LfDI BaWü unter 4.2 beschrieben.

Konsens besteht mittlerweile, dass es irgendeine Sorte von Negativprognose geben muss. Dass es sich die Behörden damit häufig zuleicht machen, zeigt das Verfassungsgerichtsurteil 1 BvR 2293/03 von 2006, das auf einer "sorgfältigen und nicht formelhaften Prüfung" besteht.

Dieses gilt für die Datenbanken der Polizei die Nachweisakten der Länderpolizeien, wie z.B. POLAS und INPOL vom BKA.

Ein Grundsatzpapier zu eingestellten Verfahren wurde 1994 von den LfDIs und dem BfDI erarbeitet:

Ein Grundsatzpapier zu eingestellten Verfahren (html)

Staatsanwaltschaft

Bei den Staatsanwaltschaften verbleiben dagegen alle erledigten Verfahren mindestens zwei Jahre im ZStV, auch nach deren Einstellung. Nur bei rechtkräftig verurteilten Personen werden die Daten ins Bundeszentralregister verschoben.

Eingestellte Verfahren als politisches Mittel gegen Oppositionelle

Im Staatsschutz-Bereich ist der Einsatz von oft hanebüchenen Ermittlungsverfahren nicht selten beliebt als informelles und außergesetzliches Bestrafungsinstrument und Ermittlungsinstrument der Polizei. Da ja die Einleitung eines dann oft peinlich endenden Gerichtsverfahren gar nicht angestrebt wird, ist die Einstellung von Verfahren, in dem Fall nach §170 StPO (Ermittlungen bieten keinen genügenden Anlass zur Klageerhebung) Regel und nicht Ausnahme. Besonders gemein sind diese natürlich, wenn das Verfahren Konsequenz von willkürliche Gegenanzeigen von Seiten der Polizei sind; diese sind durchaus üblich, wenn etwa Opfer von Polizeigewalt juristische Abhilfe suchen (vgl. auch Polizeikommission).

In dem Sinn ist das im Staatsschutz-Bereich ähnlich wie Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. In diesem Bereich hat das Verfassungsgericht 2002 angedeutet (indem es nämlich nicht weiter beschließen wollte), dass selbst nach einem Freispruch weitergespeichert werden darf, denn die Speicherung eines Verdachts sei etwas ganz anderes als eine Bestrafung, die durch den Freispruch abgelehnt worden sei.

Mehr dazu auch in Polizei FAQ von Amnesty Deutschland

Urteile

  • BVerfG, Beschluss vom 16.5.2002 - 1 BvR 2257/01 -- selbst nach einem Freispruch kann weitergespeichert werden, denn "die Aufbewahrung polizeilicher Ermittlungsergebnisse und deren weitere Verwendung in der Polizeiarbeit ist etwas substantiell anderes als die gerichtliche Verhängung einer Strafe" (nur: was?), weshalb die Unschuldsvermutung da nicht zieht.

  • VG Frankfurt 5. Kammer, 5 E 1632/96 (3), Urteil vom 28.11.1996 -- der Klassiker jedenfalls im Hinblick auf Hessen und von DatenschützerInnen gern zitiert: Nach 170(2) eingestellte Geschichten dürfen "allenfalls ausnahmsweise und dann auch nur unter strengen Voraussetzungen" gespeichert werden. Mit 153a-Einstellungen ist das viel einfacher.

  • BVerwG, Urteil vom 22.10.2003 - 6 C 3. 03 -- das BKA darf auch bei Einstellungen nach 170(2) StPO weiterspeichern.

  • BVerfG, Beschluss vom 1.6.2006 - 1 BvR 2293/03 -- bei Weiterspeicherung nach 170(2)-Einstellung (in dem Fall von ED-Daten) muss in jedem Fall eine sorgfältige und nicht formelhafte Prüfung stattfinden; das gilt nach VG München 17. Kammer, M 17 K 92.1368 (Urtiel vom 24.02.1994) sogar in Bayern.

  • Hessischer Verwaltungsgerichtshof 10. Senat, 10 UE 4135/98, Urteil vom 23.04.2002 -- das BKA muss nach einem Freispruch löschen, und auch, wenn das Verfahren "nicht nur vorläufig" eingestellt ist. Bei 170(2)-Einstellungen muss die Staatsanwaltschaft explizit sagen, inwieweit Restverdacht besteht, obwohl sie einstellt, wenn die Polizei speichern will. Bei Einstellung kommt weiterspeicherung überhaupt nur in Frage, wenn ein Restverdacht bleibt, Schuldausschießungsgründe vorliegen oder Strafaufhebungs- oder Strafausschließungsgründe vorliegen.

  • VG Meiningen 2. Kammer, 2 K 191/07 Me -- BTM-Geschichte und Schneeballwurf (beide eingestellt nach 170(2)) sind zu löschen, weil Vergehen zu geringfügig und außerdem zu lange her, um eine Negativprognose zu rechtfertigen.
  • OLG Frankfurt 3. Strafsenat, 3 VAs 47 - 48/07, 3 VAs 47/07, 3 VAs 48/07, Beschluss vom 17.01.2008 -- Einstellung nach 170, "Tatverdacht ausgeräumt"; das Gericht eiert herum, sagt aber immerhin, dass "Archivierung" kein ausreichender Zweck für die Speicherung "Straftat gegen sexuelle Selbstbestimmung" sei. Der Zweck selbst wird irrerweise im Hinblick auf eine Online-Speicherung nicht bestritten.
  • KG Berlin 4. Strafsenat, 1552 E GSTA 3/99 - 4 VAs 10/99, 1552 E GStA 3/99, 4 VAs 10/99, Beschluss vom 06.08.1999 -- die Staatsanwaltschaft muss bei Einstellung sogar weiter speichern (vgl. ZStV), da die Akten bis zum Ende der Verjährungsfrist aufgehoben werden müssen. Dieser Unsinn (für den Nachweis tuts ja nun wirklich ein Zettelkasten) wurde inzwischen von mehreren Gerichten bestätigt.

  • OLG Dresden 2. Strafsenat, 2 VAs 4/02, 2 VAs 0004/02, Beschluss vom 19.05.2003 -- bei all dem muss die StA aber doch auf die informationelle Selbstbestimmung denken und im Einzelfall den Speicherzweck nachweisen (das Gericht verdonnert die StA aber nur zur Prüfung, nicht zur Löschung).
  • VGH Baden-Württemberg 1. Senat, 1 S 2054/00, Beschluss vom 20.02.2001 -- Einstellungen mit Verweis auf eine Privatklage begründen auch keinen Löschungsanspruch, vor allem dann nicht, wenn das Opfer der Speicherung des Öfteren "in Erscheinung getreten" ist.
  • BVerwG 1. Senat, 1 C 14/95, Urteil vom 09.09.1998 -- es besteht ein Anspruch auf die Bestätigung der Löschung von Daten (was allerdings ziemlich für die Füße ist, weil ja ein weiteres Auskunftsersuchen ohnehin Klarheit bringen könnte).
  • VG Frankfurt 5. Kammer, 5 G 1630/96 (3), Urteil vom 27.08.1996 -- wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Speicherung bestehen (und das ist bei 170(2)-Einstellungen nach Meinung etlicher Gerichte der Regelfall), kann die Sperrung der Daten bis zur endgültigen Klärung in Frage kommen.
  • VG Stuttgart 3. Kammer, 3 K 1886/08, Beschluss vom 01.08.2008 -- eine Fahrerflucht hätte gelöscht werden müssen, weil nach Einstellung nach 153(1) kaum Wiederholungsgefahr bestand.
  • VG Berlin 1. Kammer, 1 A 162.01, Urteil vom 21.12.2005 -- Gericht erkennt, dass die Speicherung eines nach 153(1) eingestellten Verfahrens ein Makel sei und sich ein Rehabilitationsinteresse ergibt, zumal sich der Beschuldigte gegen die Einstellung nicht wehren kann.
  • Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München 10. Senat, 10 C 08.1780, 24.07.2008: Trotz StPO sind Landesgesetze einschlägig. Keine Löschung in einem 170(2)-eingestellten Hehlereifall mit Verweis auf abgehörte Telefongespräche. Bei Ritalinverkloppen und Diebstahl dazu erfinden muss nach sieben Jahren wg. Jugend des Täters abgewogen werden.
  • HessVGH, 11 UE 2982/02, Urteil vom 16.12.2004: Endlose Verlängerung der Aussonderungprüffrist eines Delikts mit ED-Daten, um diese zur Verwendung in unverbundenen Verfahren zu weiterspeichern zu können, verletzt die Zweckbindung. Auch ist "Dokumentation einer kriminellen Karriere" kein ausreichender Speichergrund. Zwar darf die Polizei im Groben speichern, was sie will, aber eben nicht beliebig lang.

  • VG Augsburg, Au 5 K 07.1212, Urteil vom 28.02.2008: ED-Daten, die für repressive Zwecke erhoben wurden, dürfen nachher präventiv umgelabelt werden, auch wenn wg. 170(2) eingestellt wurde, jedenfalls, wenn Tatverdacht fortbesteht.

  • VG Köln 20. Kammer, 20 K 1934/06, Urteil vom 14.02.2008: 153a-Einstellungen begründen in der Regel einen Restverdacht, weil hinreichender Tatverdacht und die Zustimmung des Beschuldigten nötig sind. Es müssen also "gewichtige Anhaltspunkte" vorgetragen werden. Ansonsten erlaubt das Gericht der Polizei, bei der Weiterspeicherung das "Gesamtbild" zu würdigen (also nicht die einzelnen Vorwürfe für sich im Hinblick auf eine Löschpflicht zu prüfen) und widerspricht auch nicht der Einschätzung der Polizei, bei "politischen Überzeugungstätern" (hier übrigens ein Nazi) könne grundsätzich von Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.
  • BVerwG 1. Senat, 1 B 61/88, Urteil vom 06.07.1988, ED-Daten aus §81b (Prävention) dürfen auch nach einem Freispruch weitergespeichert werden, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass die Daten Ermittlungen bei einer "noch aufzuklärenden strafbaren Handlung" fördern könnten.

  • BayVGH, 24. Senat, 24 C 07.1078, Beschluss vom 31.10.2007: Einstellung aus Mangel an Beweisen ist definitiv kein Grund zur Löschung.
  • AG Tiergarten, 120 PLs 2396/03, Urteil vom 19.02.2007: In der DAD muss bei einem Freispruch aus Mangel an Beweisen gelöscht werden.

  • VG Lüneburg 3. Kammer, 3 A 116/02, Urteil vom 30.03.2004: Daten, die "nebenbei", etwa bei Kontrollen auf dem Weg zu einer Demo, erhoben werden, dürfen nicht gespeichert werden, wenn ihre Erhebung nicht zu Hinweisen auf unmittelbar bevorstehende revolutionäre Umtriebe geführt hat.