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=== Fehlende Rechtsgrundlage === | === Teilweise fehlende Rechtsgrundlage in Deutschland === Einer Stellung nahme von Hans-Hermann Schild, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Wiesbaden ([[http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a04/Anhoerungen/Anhoerung14/Stellungnahmen_SV/Stellungnahme_05.pdf|Ausschussdrucksache 17(4)367 E]]) ist dazu folgendes zu entnehmen: {{{#!blockquote Dabei fällt auf, dass bereits die Umsetzung des Schengener Informationssystems große Probleme bereitet hatte und das Bundeskriminalamt, das Nationale Schengener Informationssystem (N-SIS) als Teil der beim BKA geführten Verbunddatei führte, obwohl dies der Gesetzgeber bis zum 18.06.2009 gerade nicht geregelt hatte. Bis heute fehlen Regelungen zur Ausschreibung der Ausländerbehörden im N-SIS; führen diese doch die Polizeibehörden der Länder wohl immer noch in der Form der Amtshilfe aus, wobei die Verantwortlichkeiten verschwimmen. }}} |
Inhaltsverzeichnis
-
Schengener Informationssystem
- SIS II
- Rechtsgrundlage
- Technische Struktur
- Inhalt von SIS
- Datenschutz
- Auskunft
- Speicherfristen
- Zugriffsberechtigte
- Zugriff auf KFZ-Daten per SIS
- Berichtigung und Löschung der Daten
- Zahlen
- Technisches
- Anekdoten
- Weitere Quellen
Schengener Informationssystem
Das Schengener Informationssystem, welches 1995 in Betrieb genommen wurde, ist das größte polizeiliche und nachrichtendienstliche IT-System auf europäischer Ebene. SIS wurde ursprünglich eingerichtete um die durch die Abschaffung der Grenzkontrollen im Schengenland verursachten Nachteile bei der Auffindung von Straftätern zu kompensieren. Die Idee war Kfz-Diebstahl und flüchtige Straftäter durch Aufnahme in einer Datenbank überall in der EU auffindbar zu machen. Inzwischen wird das System vor allem für die Kontrolle von MigrantInnen eingesetzt (offiziell: Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit einer Schengener Vertragspartei haben und denen die Einreise in das Schengener Hoheitsgebiet zu verweigern ist). Am SIS nehmen alle EU-Mitgliedstaaten teil, ferner sind Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz angeschlossen.
SIS II
Vgl. SIS II. Executive Summary: Zunächst noch nicht relevant für den aktuellen Einsatz von SIS.
Rechtsgrundlage
Übersicht über alle Rechtsakte zu Schengen
SDÜ
Vor dem Lissabon-Vertrag war die Rechtsgrundlage von SIS Kapitel IV des Schengener-Durchführungsabkommens (SDÜ, engl. Convention Implementing the Schengen Agreement, CISA; SDÜ komplett) sowie seine nationalen Umsetzungsgesetze.
De facto regelt das SDÜ auch 2011 noch den Betrieb von SIS. Die Lissabon-kompatiblen Nachfolgegesetze beziehen sich alle auf SIS II, und das ist noch nicht fertig.
Eine Ausweitung der SIS-Kompetenzen wurde durch Spanische Initiative (2002) geregelt.
Nationale Umsetzung des SDÜ
SIRENE-Handbuch
Die verantwortlichen nationalen Stellen heißen SIRENEn. Ihre Zusammenarbeit wird in Form des zwischenstaatlich ausgehandelten SIRENE-Handbuchs geregelt; es ist quasi ein Protokoll zum SDÜ.
Technische Struktur
Physisch existiert eine zentrale Datenbank C-SIS in Straßburg. Artikel 92 SDÜ sieht vor, dass Spiegel davon jeweils bei den nationaln Stellen vorgehalten werden ("N-SIS"). C-SIS hat (Artikel 92 SDÜ) neben der Funktion als Synchronisationsserver noch die Aufgabe, gelöschte Daten für ein Jahr weiter zu speichern, um eine datenschutzrechtliche Prüfung nach Artikel 113 SDÜ zu erlauben.
Jeder Schengen-Staat unterhält ein SIRENE-Büro (in der BRD ist das das BKA), das die für Kommunikation mit SIS verantwortlich ist und wohl und den nationalen Spiegel N-SIS unterhält. Lokale Polizeibehörden fragen SIS-Daten über den nationalen Spiegel N-SIS beim BKA ab. Einspeicherungen geschehen mit Unterstützung des BKAs.
Die Datenbank SIS II soll über das private sTesta Netzwerk der EU angebunden werden. 2006 wurde die EDV-Infrastruktur mit Blick auf SIS II für 27 Millionen aktualisiert (vgl Newswelt).
Inhalt von SIS
Die SIS Datenbank enthält vor allem Daten über Einreiseversuche von Menschen, die nicht aus der EU kommen. Zudem gibt es Fahndungs- und Ausschreibungsdaten von Personen und Gegenständen.
Errichtungsanordnung
Nach Artikel 94 (3) SDÜ werden folgende Personendaten gespeichert:
- Name, Vorname (Alias macht normalerweise extra-Record)
- Erkennungszeichen
- Geburtsort und -datum,
- Geschlecht,
- Staatsangehörigkeit,
PHW bewaffnet/gewalttätig,
- Ausschreibungsgrund (nach SDÜ),
- Maßnahme (Registrierung, Festnahme, Ausweisung, etc)
Seit der Spanische Iniative gibt eine Ausweitung der Arten von strafbaren Handlungen bei denen Personen in SIS gespeichert werden dürfen und bei Ausschreibungen nach Artikel 95 (Festnahme) und 99 (polizeiliche Beoabchtung) SDÜ wird der Hinweis ob der/die Gesuchte aus der Haft entflohen ist gespeichert.
Auschreibungsarten nach SDÜ
Artikel 95 (Festnahme)
Ausschreibung zur Festnahme müssen gerichtlich angeordnet werden und die Gerichte müssen nach Artikel 95 SDÜ prüfen, ob die Festnahme in den Zielländern legal wäre.
Bei der 95er Ausschreibung werden an die SIRENEN nähere Infos zur Tat übertragen ("Beschreibung der Umstände", "Art der Täterschaft", "Folgen");
95er Ausschreibungen können von den Einzelstaaten bis zu eine Woche "geprüft" werden, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Die Zweifel an der Rechtsmäßigkeit müssen begründet werden, außer es ist ihr eigener Staatsbürger. Als Gründe kommen insbesondere auch Opportunitätswerwägungen in Frage. Der Aufenthalt des Betroffenen muss auch bei rechtswidriger Ausschreibung weitergegeben werden.
Vorgehensweise nach dem SIRENE-Handbuch
Das SIRENE-Handbuch erläutert das Vorgehen bei 96er Ausschreibungen etwas konkreter. Für diese Fallgruppe soll bei der Ausschreibung eine "Rechtliche Würdigung" und eine "Beschreibung des Sachverhalts" inklusiv seiner "Folgen" mitgeliefert werden, um eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausschreibung zu ermöglichen (d.h. diese Daten werden nicht gespeichert, sondern nur von den SIRENE-Leuten daraufhin geprüft, ob sie rechtliche Einwände gegen die Ausschreibung haben).
Weiter steht im SIRENE-Handbuch, dass der widersprechende Staat eine Ausschreibung entweder in seinem nationalen Spiegel (N-SIS) unterlassen kann oder den Datensatz in seinem Spiegel als nicht gültig kennzeichen kann.
Artikel 96 (Einreiseverweigerung)
Ausschreibung zur Einreiseverweigerung werden durch Gerichte oder Verwaltungsbehörden gemäß nationalem Recht vorgenommen bei Nicht EU-BürgerInnen vorgenommen. Sie werden bei versuchter (illegaler) Einreise oder beim abgeschobenen Straffälligen vorgenommen. Zudem kann die Einreise verweigert werden, wenn angenommen wird, dass die Person schwere Straftaten begehen würde. Hält die Person sich schon in Schengenstaat auf, darf sie keine Aufenthaltsgenehmigungen bekommen und muss abgeschoben werden.
Hier sind allerdings Fälle bekannt, in denen nationale Behörden SIS-Ausschreibungen angefochten haben, insbesondere, wenn die Betroffenen sich schon in dem anfechtenden Staat aufhielten.
Wenn Einreiseversuche von einem Schengenstaat bei 96er Ausschreibungen festgestellt wurden muss im Gegensatz zu anderen Ausschreibungen, nicht an das ausschreibende Land benachrichtigt werden.
Gerichtsurteile zu 96er Ausschreibungen
Das VG München hat in der Entscheidung M 21 k 05.2136 vom 19.12.2006 festgehalten, dass auch nach einer Abschiebung eine Einzelfallprüfung erfolgen muss und nicht automatisch eine 96er-Ausschreibung erfolgen darf.
Ein belgisches Urteil (2006-12-07, Cour d'Appel de Bruxelles, 2006/KR/223) sagt, dass zumindest die dortigen Behörden nicht einfach nur aufgrund einer 96er-Ausschreibung die Einreise verwehren dürfen, sondern sie in jedem Einzelfall die Gründe für die Ausschreibung prüfen üssen.
Erfahrungen der LfDIs mit Einreiseverweigerungen
Der hessische LfDI berichtet in seinem 37. TB LfD Hessen, die Behörden hätten Personen nach Artikel 96 SDÜ ausgeschrieben, weil sie sie zum Verlassen der BRD aufgefordert und dann aus den Augen verloren hätten. Desweitern berichtet er von einer Prüfung der 96er-Ausschreibungen aus dem Kreis Bergstraße. Danach waren im Jahre 2008 fünf von 25 mindestens ein Mal verlängerten worden und hatten noch nicht mal die Ausschreibungsvoraussetzungen erfüllt. In 13 Fällen war nicht ersichtlich, dass irgendeine Prüfung zur Löschung vorgenommen worden wäre. In nur zwei Fällen wurde ordnungsgemäße Prüfung und dann auch eine Löschung verfügt.
Im 25. TB des LfD BaWü wird von einer Untersuchung von 96er-Ausschreibungen aus BaWü berichtet. Ungefähr alles dabei war falsch und verletzte elementare datenschutzrechtliche Bestimmungen. Die Ausschreibungen in SIS hatten teilweise überhaupt keine Grundlage, da die Betroffenen weder ausgewiesen noch abgeschoben worden waren. In diesem Fall hatten die Behörden aber ein Einsehen, als sie merkten, was sie getan hatten und löschten die betreffenden r immerhin nicht in die DV-Anlagen gelangten, soweit das zu erkennen ist).Einträge umgehend. Dazu wurden mit den Anforderungen zur Ausschreibung regelmäßig auch Bescheide mit hochvertraulichen Daten übersandt.
Art. 97 (Vermisste)
Ausschreibung zum vorläufigen Gewahrsam zum eigenen Schutz oder zur Gefahrenabwehr. Diese Ausschreibungen werden durch nationalen Gerichte oder Behörden (Psychatrie) verfügt. Bei 97er-Ausschreibungen können von Einzelstaaten nach Art. 94 in ihren nationalen Spiegeln (N-SIS) als unwirksam markiert werden.
Art. 98 (Vorladung)
Ausschreibung von Menschen, die vor Gericht erscheinen müssen (Zeugen, Angeklagte). Die Ausschreibungen werden von Staatsanwaltschaften vorgenommen.
Art. 99 (polizeiliche Beobachtung)
Ausschreibung zur verdeckten oder offenen Beobachtung von Personen und Fahrzeugen. Dieses muss nach der Spanischen Initiative nach nationalen Recht erfolgen. Da es in der BRD keine Rechtsgrundlage für eine offene Beobachtung gibt werden alle Ausschreibungen nach Artikel 99 SDÜ im nationalen Spiegel N-SIS in verdeckte Beobachtung umgewandelt.
Praktisch werden bei den 99er Ausschreibungen bei Kontrollen, der Ort, die Zeit, der Reiseweg und Ziel, die Begleitpersonen, das Fahrzeug und mitgeführte Sachen an den ausschreibenden Staat gemeldet werden.
99er Ausschreibungen dürfen nur bei Planung von "außergewöhnlich schweren" Straftaten" oder ungünstiger Gesamtbeurteilung oder Bedenken der Staatssicherheitsorgane erfolgen. Auch 99er Ausschreibungen dürfen nach Artikel 94 SDÜ in einzelnen nationalen Spiegeln (N-SIS) mit Begründung ausgesetzt oder als unwirksam markiert werden.
Empfehlungen der Ratspräsidentschaft zu 99er Ausschreibungen
Die EU-Ratspräsidentschaft hat im Jahr 2009 im Ratsdokument 7557/09 einen großzügigen Umgang mit 99er-Ausschreibungen propagiert:
As the Best Practice, it is recognized that use of an Article 99 alert should always be one of the measures considered when dealing with serious crimes and/or threats to public order or as a supportive measure when dealing with searches for dangerous criminals.
Erfahrungen der LfDIs mit 99er Ausschreibungen
Wie 99er-Ausschreibungen in der Praxis aussehen, zeigt der 28. Tätigkeits des LfD BaWü. Der LfDI hat zunächst die Ausschreibungen von 2006 geprüft und 376 99er-Ausschreibungen aus BaWü in SIS gefunden. Die 67 Fälle, bei denen Leute bereits länger als zwei Jahre ausgeschrieben waren, kamen alle aus dem Staatsschutz-Bereich (Staatsschutz aus BaWü insgesamt 118). Die Prüfung des LfDI ergab, dass z.B. widerrechtlich Kontaktpersonen ausgeschrieben waren und blind verlängert wurde. Nach der Prüfung waren noch 249 Personen in SIS, über die Hälfte der Staatsschutz-Fälle (nämlich 67) mussten gelöscht werden. Dabei wurden einige Löschungen verzögert, weil das LKA auf SIS II mit seinen niedrigeren Anforderungen hoffte. Daraus wurde bekanntermaßen nichts und so musste die Polizei doch noch nach Gesetz löschen. Übrig blieben 74 Ausschreibungen, davon waren 22 von Justizbehörden und keine mehr durch den Staatsschutz.
Ausschreibungen zur verdeckten Registrierung durch das BfV, BND und MAD
Seit dem Schäuble-Katalog (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) von 2007 ist es nach § 17 BVerfSchG den Geheimdiensten des Bundes der BRD möglich Personen zur verdeckten Beobachtung in SIS auszuschreiben.
Art. 100 (Sachfahndung)
Ausschreibung von Gegenständen zur Sicherstellung oder Beweissicherung, wie z.B. Autos, Feuerwaffen, Identitätspapier und Banknoten.
Datenschutz
Technische Datenschutzkontrolle durch JSA
Wie die meisten Datenbanken EU wird auch das SIS durch einen JSA (offizielle Webseite) kontrolliert. Beim SIS ist die JSA für die technische Kontrolle zuständig und soll auftretenden Anwendungs- und Auslegungsschwierigkeiten untersuchen. Außerdem hat die JSA nach eigener Darstellung die Aufgabe, Stellungnahmen abzugeben und die Rechtsprechung und Rechtsauslegung auf nationaler zu harmonisieren.
Ausweislich der relativ inhaltsleereren JSA-Berichte ist das allerdings eine große Behauptung. So kritisiert auch Brouwer 2008 (S. 14) die vernachlässigbare Rolle der JSA bei den verschiedenen Skandalen rund um SIS-basierte Einreiseverweigerungen.
Aus der BRD senden sowohl der BfDI als auch die LfDIs je einen Vertreter in den JSA.
Inhaltliche Kontrolle durch die Nationalen Datenschutzbeauftragten
Im Durchführungsübereinkommen ist festgelegt, dass jede Vertragspartei eine nationalen Datenschutzbeauftragten mit der unabhängigen Kontrolle zu beauftragen hat. In der BRD ist das der BfDI.
Datenschutzkritik
Ein grundsätzlicher Webfehler an SIS ist Artikel 105 SDÜ, nach dem die datenschutzrechtliche Verantwortung beim speichernden Staat liegt. D.h. das die Änderung oder Löschung von Daten nur durch Herkunftsstaat erfolgen kann und dieser auch Einspruch bei einem AuskunftErsuchen hat. D.h., dass nationale Polizeien nach Daten handeln, über die sie keine Auskunft geben dürfen.
Artikel 102 SDÜ verbietet zwar das Kopieren ausländischer Daten in nationale Datenbanken und sieht (nach nationalem Recht) Zweckbindung vor, erlaubt aber eine Umkategorisierung bestehender Daten (im Gegensatz zur ebenfalls Möglichen Neuausschreibung, die nach komplizierten Regeln bestehende Ausschreibungen überschreiben könnte) und zwar bei Staatsschutz-Delikten oder Straftaten von "erheblicher Bedeutung".
Einige Sicherheitsangehörige weisen beim Thema Datenschutz darauf hin, dass bisher weder Ethnie, politische Überzeugungen, Gesundheitsprobleme noch sexuelle Orientierung gespeichert werden. Angesichts der drakonischen Wirkungen einer Ausschreibung durch Einreiseverweigerung oder verdeckte Registrierung ist dieses allerdings unerheblich. Eher im Gegenteil, denn wenn die prüfende Stelle sieht nur, dass eine Ausschreibung vorliegt, weiß sie nicht, ob die Ausschreibung wegen eines Polizistenmordes oder wegen einer Teilnahme an einer politischen Demonstration vorgenommen wurde.
Personen die in der SIS-Datenbank ausgeschrieben sind sollten eigentlich auch in den jeweiligen nationalen Datenbanken ausgeschrieben sein, mittlerweile wird aber auch direkt und ausschließlich in SIS gespeichert. Obwohl die SIS-Bestimmungen anderes vorsehen.
Teilweise fehlende Rechtsgrundlage in Deutschland
Einer Stellung nahme von Hans-Hermann Schild, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Wiesbaden (Ausschussdrucksache 17(4)367 E) ist dazu folgendes zu entnehmen:
Dabei fällt auf, dass bereits die Umsetzung des Schengener Informationssystems große Probleme bereitet hatte und das Bundeskriminalamt, das Nationale Schengener Informationssystem (N-SIS) als Teil der beim BKA geführten Verbunddatei führte, obwohl dies der Gesetzgeber bis zum 18.06.2009 gerade nicht geregelt hatte. Bis heute fehlen Regelungen zur Ausschreibung der Ausländerbehörden im N-SIS; führen diese doch die Polizeibehörden der Länder wohl immer noch in der Form der Amtshilfe aus, wobei die Verantwortlichkeiten verschwimmen.
Auskunft
Geregelt wird das Auskunftsrecht nach Artikel 109 SDÜ und Artikel 5 SchÜbkDG. Maßgeblich für die Auskunft ist danach das Recht des Staates, in dem das Auskunftsrecht beansprucht wird.Dieses ist bezüglich der Daten relativ nutzlos, weil die einstellenden Staaten einer Auskunft zustimmen müssen (und dafür keine Gründe angeben müssen) und Ausschreibungen zur verdeckten Beobachtung nie zugegeben werden.
AuskunftErsuchen sind an ein nationales SIRENE-Büro zu richten (d.h. in der BRD das BKA). Artikel 114 SDÜ erlaubt auch Anfragen an die Nationale Kontrollinstanz (in der BRD der BfDI).
Anmerkung: Da die aber ohnehin überlastet sind und jedenfalls deutlich netter als die Jungs von SIRENE beim BKA, sollte mensch aber eher davon absehen.
Nähere Regelungen dazu sind im SIRENE-Handbuch beschrieben. Auch hier bleiben die Dinge jedoch vage. Die angefragte SIRENE überprüft ob es Datenspeicherungen gibt und falls ja erbittet sie die ausschreibenden SIRENE um "Standpunkte" dazu. Zudem gibt es Verweise auf das nationale Recht des fragenden Staates. Was passiert, wenn der "Standpunkt" mit nationalem Recht nicht vereinbar sein sollte, bleibt allerdings offen.
Vgl. auch Leitfaden SIS Auskunftrecht vom BfDI
Speicherfristen
Artikel 112 SDÜ sieht Aussonderungsprüffristen in SIS von drei Jahre für Ausschreibungen nach Artikel 96 (Einreiseverweigerung) und ein Jahr für Ausschreibungen nach Artikel 99 (polizeiliche Beobachtung) vor.
Die Speicherfristen sind derzeit weitgehend Makulatur, weil Ausschreibungen offenbar in aller Regel automatisch verlängert werden. Auch im 99er-Bereich ist Verlängerungen an der Tagesordnung. Von 376 Ausschreibungen aus Bawü im Jahre 2006 fand der LfDI 62, die länger als zwei Jahre in SIS gewesen waren. (25. Tätigkeitsbericht des LfDI BaWü, 2.2.6).
Die Fristüberwachung ist Aufgabe der zentralen Stelle (C-SIS). Dieses sendet offenbar regelmäßig Listen mit zu prüfenden Datensätzen an die nationalen SIRENE-Büros der ausschreibenden Staaten. Dabei ist eine Löschung bedeutend aufwändiger als eine Weiterspeicherung, weswegen die Löschung meistens unterbleibt.
Die Löschpraxis von 2007 beschreibt der hessische LfDI in seinem 37. Tätigkeitsbericht. Dabei ging bei der ersten Prüfung ein Opt-out-Formular (die Behörde muss reagieren, damit gelöscht wird), bei der zweiten Prüfung ein Opt-in-Formular vom BKA an die ausschreibende Behörde. Entsprechend haben sich jede Menge unrechtmäßige Ausschreibungen.
Zugriffsberechtigte
Laut Artikel 101 SDÜ haben Grenzkontrollbeamte, Polizei, Zoll und für 96er-Daten (Einreiseverbote) auch die nationale Pass- und Ausländerbehörden Zugriff auf die Daten. Die Abfrage erfolgt jeweils über die nationalen Spiegel N-SIS.
Laut Artikel 101 SDÜ sollen die Mitgliedsstaaten zudem eine Liste der berechtigten Behörden beim "Exekutivausschuss" (das ist heute wohl der Rat) eine Liste der im jeweiligen Staat zugriffsberechtigten Behörden (samt der für sie "freigeschalteten" Tatbestände) einreichen. Diese Liste wird dann und wann veröffentlicht. Die Liste von 2011 (Ratsdokument 7214/1/11) sieht immer noch Ausweitungen des Kreises der Zugriffsberechtigten in vielen Ländern vor. Für die BRD werden dort angegeben (mit Fallgruppen nach SDÜ):
- BKA (alle)
- LKAen (alle außer Staatssicherheit)
- Bundespolizei, -direktion (dito)
- Parlamentspolizei (dito)
- Zollkriminalamt, -fahndungsdienst (95, 98, 99 außer Stasi, 100)
- Einwanderungsbehörden der Länder und des diplomatischen Dienstes (96, einige 100)
- BA Asyl (96, einige 100)
- Hauptzollämter (alle außer Stasi)
- Kfz-Zulassungsbehörden, Flensburg (einige 100)
- Generalbundesanwalt, Staatsanwaltschaften (95, 98)
Die Zusammenstellung ist auch ganz nützlich als Gruselkabinett, was es überall so an furchtbar klingenden Behörden gibt.
Ursprünglich sollte jede 10. Abfrage geloggt werden und für sechs Monate gespeichert werden. Die Spanische Initiative (vgl. #SDÜ) sieht die Speicherung sämtlicher Abfragen für 12 Monate vor.
Zugriff durch Europol
Mit der Spanische Initiative bekam auch Europol Direktzugriff auf Daten nach Artikel 95 (Fahndung), 99 (polizeiliche Beobachtung) und 100 (Sachfahndung) SDÜ. Europol protokolliert seine Zugriffe selber, darf aber keinen eigenen Spiegel betreiben.
Zugriff auf KFZ-Daten per SIS
Der Zugriff der nationalen Zulassungsstellen auf Kfz-Daten war eine Weile in der Diskussion und wurde mit der Verordnung 1160/2005 ab Anfang 2006 zugelassen (siehe eine Weile in der Diskussion).
Die Erfahrungen damit bis 2009 beschreibt Ratsdokument 17432/09. Illustrativ für das Datenschutzverständnis der zuständigen Behörden ist Punkt 15 (S. 4) aus diesem Dokument:
- Darüber hinaus hatten einige Mitgliedstaaten (z.B. BE, DE) vor Inkrafttreten des Artikels 102a eine interne Lösung gefunden, um neu ausgestellte Zulassungsbescheinigungen im Hinblick auf SIS-Ausschreibungen durch die Behörden überprüfen zu lassen, die bereits Zugang zum SIS hatten. Dies könnte die Schwierigkeit erklären, einen wahrscheinlichen, auf die Anwendung des Artikels 102a zurückzuführenden Anstieg der Anzahl von Ausschreibungen und Treffern sichtbar zu machen.
Berichtigung und Löschung der Daten
Art. 111 SDÜ erlaubt, in beliebigen Mitgliedsstaaten auf Löschung oder Korrektur in SIS gespeicherter Daten zu klagen. Es ist die Aufgabe der einzelner Mitgliedstaaten, zu benennen, wer das ist. Wenn so ein Gericht feststellen sollte, dass eine Speicherung in SIS rechtswidrig war, muss der Staat, in dem das Gericht steht, versuchen, den speichernden Staat zur Löschung zu bewegen. So etwas ist wirklich mal passert, etwa im Fall Van Straaten gegen die Niederlande, der vom Europäischen Gerichtshof endete. Italien musste daraufhin eine von einem niederländischen Gericht verhängte Löschung durchführen.
Zahlen
Nach Kategorien
Ratsdokument 9938/11 hat eine Übersicht über die Verteilung erfolgreicher Anfragen ("hits") nach totalen Fallzahlen 1997-2010:
|
Art 95 |
Art 96 |
Art 97 |
Art 98 |
Art 99 |
Art 100/Autos |
Art 100/Ausweise |
Art 100/Waffen |
Summe |
Hits |
32 218 |
253 640 |
22 096 |
79 211 |
46 300 |
114 428 |
76 130 |
1 993 |
625 220 |
Anteil |
5.15% |
40.56% |
3.53% |
12.66% |
7.4% |
18.30% |
12.17% |
0.31% |
100% |
Bericht der EU-Präsidentschaft 2011
Ratsdokument 9938/11 enthält SIS-Statistiken für 2010.
Highlights daraus: 91351 SIS-Anfragen waren 2010 insgesamt erfolgreich, +7% gegenüber dem Vorjahr, +429% seit 1997; 35.7 Millionen Ausschreibungen insgesamt (+12.9% gegenüber Vorjahr).
Die Ausschreibungszahlen sind nach Fallgruppen:
Fallgruppe |
#2009 |
#2010 |
Veränderung |
95 |
28666 |
31535 |
+10% |
96 |
736868 |
716797 |
-2.7% |
97 |
52319 |
50773 |
-3% |
98 |
78869 |
82676 |
+4.8% |
99 |
32824 |
36478 |
+11.1% |
Ausschreibungen nach Art. 99 in der BRD
In seinem 27. Tätigkeitsbericht (2006), 2.1.1 berichtet der LfD BaWü, Anfang 2006 seien von BRD-Behörden 1104 Personen nach Art. 99 (damals noch immer verdeckte Registrierung, da für die offene Kontrolle keine Rechtsgrundlage bestand). Für einzelne Bundesländer sah die Verteilung so aus:
Land |
Ausschreibungen |
pro Mill. Einwohner |
Baden-Württemberg |
376 |
35 |
Bayern |
348 |
28 |
Nordrhein-Westfalen |
83 |
4.6 |
Hessen |
67 |
11 |
Rheinland-Pfalz |
26 |
21 |
Niedersachsen |
18 |
2.3 |
Anzahl Ausschreibungen für 2008 insgesamt
CILIP 92 (1/2009), S. 83 hat eine aus den Ratsdokumenten 5239/06, 6178/07, 5441/08 und 5764/09 zusammengestellte Übersicht des Datenbestandes von SIS publiziert:
Artikel SDÜ |
Fahndungszweck |
1.1.2006 |
1.1.2007 |
1.1.2008 |
1.1.2009 |
95 |
Festnahme |
15.460 |
16.047 |
19.119 |
24.560 |
96 |
Einreiseverweigerung |
751.954 |
752.338 |
696.419 |
746.994 |
97 |
Vermisste |
39.011 |
42.500 |
47.501 |
48.559 |
98 |
Aufenthaltsermittlung |
45.189 |
50.616 |
64.684 |
72.958 |
99 |
Beobachtung |
31.013 |
33.275 |
31.577 |
34.247 |
- |
Personen gesamt |
882.627 |
894.776 |
859.300 |
927.318 |
100 |
Banknoten |
252.442 |
241.062 |
177.327 |
168.982 |
100 |
Blankodokumente |
403.900 |
386.440 |
390.306 |
360.349 |
100 |
Schusswaffen |
297.021 |
294.490 |
314.897 |
332.028 |
100 |
Ausweise |
11.353.906 |
13.752.947 |
17.876.227 |
22.216.158 |
99/100 |
Kraftfahrzeuge |
1.469.378 |
1.731.115 |
3.012.856 |
3.618.199 |
99/100 |
Wohnwagen |
3.153 |
3.063 |
2.984 |
|
- |
Sachen gesamt |
13.779.800 |
16.409.117 |
21.774.597 |
26.695.716 |
Anzahl übermittelter Daten
Übersicht über die Zahl der Hits eigener Ausschreibungen ("Import") und von an ausschreibende Mitgliedsstaaten übermittelte Hits ("Export") zusammen mit der Zahl der Beschäftigten in den SIRENEn für 2008:
Mitgliedsstaat |
Hits Import 2008 |
Hits Export 2008 |
Leute bei SIRENE 2008 |
AUSTRIA |
4641 |
3697 |
28 |
BELGIUM |
1800 |
2792 |
43 |
DENMARK |
379 |
285 |
25 |
FINLAND |
252 |
335 |
32 |
FRANCE |
4307 |
3498 |
20 |
GREECE |
1711 |
1532 |
34 |
GERMANY |
9091 |
10173 |
66 |
ITALY |
14012 |
4426 |
39 |
ICELAND |
6 |
7 |
11 |
LUXEMBURG |
233 |
684 |
10 |
THE NETHERLANDS |
2600 |
4099 |
70 |
NORWAY |
422 |
233 |
14 |
PORTUGAL |
863 |
1274 |
31 |
SWEDEN |
674 |
644 |
10 |
SPAIN |
6522 |
2252 |
39 |
CZECK REPUBLIC |
2615 |
4072 |
19 |
HUNGARY |
1133 |
2446 |
26 |
ESTONIA |
189 |
228 |
|
LATVIA |
141 |
292 |
16 |
LITHUANIA |
955 |
963 |
23 |
MALTA |
0 |
0 |
18 |
POLAND |
1725 |
9278 |
44 |
SLOVAKIA |
4189 |
3327 |
17 |
SLOVENIA |
249 |
6869 |
17 |
TOTAL |
58709 |
63406 |
652 |
Personenausschreibungen von 2008 nach Ländern
it |
de |
fr |
hu |
es |
gr |
cy |
cz |
at |
pl |
436000 |
130000 |
109085 |
70000 |
69875 |
53240 |
40175 |
28360 |
24370 |
22200 |
Quelle: Ratsdokument 5171/09
Technisches
C.SIS (in Straßburg) läuft 2011 auf einer IBM pSeries mit AIX 5.3. Die Software, gepflegt von Atos Origin, setzt auf IBM Websphere MQ 6 auf.
Die nationalen SISe bauen offenbar auch auf zentral von Atos gepflegter Software auf -- wie weit das auf die nationale Seite geht, ist nicht klar. Dabei nutzen verschiedene Staaten verschiedene Plattformen, etwa (für 2011) AIX auf pSeries (z.B. Österreich, Finnland, Frankreich), Red Hat Linux auf i386 (z.B Belgien), HP-UX auf PA-Risc (BRD, Niederlande), HP-UX auf Itanium (z.B. Spanien), Solaris auf Sparc (Italien)
Anekdoten
Klage der Mun-Sekte gegen Einreiseverbot
Der Mun-Sekten-Mun wurde 1995 vom Grenzschutz in Koblenz nach Art. 96 wegen Gefährdung der Jugend nach Art. 95 ausgeschrieben. Die Ausschreibung wurde regelmäßig verlängert. Nach zwölf Jahren (2007) hatte Mun das Einreiseverbot weggeklagt; er war dazu zwei Mal bis vors BVerfG gegangen. Darauf brachte die BRD Frankreich dazu, ihn auszuschreiben. Das war den Franzosen bei genauerer Überlegung wohl doch zu peinlich, und so haben sie die Ausschreibung recht schnell wieder zurückgenommen. Die Geschichte hat noch ein paar mehr Windungen. Die Mun-Anwälte haben sich in dem Fall gern auf Religionsfreiheit berufen, was einerseits doof ist, andererseits aber auch geschickt, weil sie so Menschenrechte von EU-BürgerInnen ins Spiel brachten statt "nur" der von KoreanerInnen. Das BVerfG hat aber am Ende aufgrund der absurden Begründung der Ausschreibung entschieden.
Brouwer (pdf)
Massenhaft fehlerhafte Ausschreibungen in BaWü
In seinem 27. Tätigkeitsbericht (2008), 2.1.1 berichtet der LfD BaWü von einer Überprüfung der SIS-Ausschreibungen beim LKA. Bei einem Vergleich mit nationalen Ausschreibungen zur verdeckten Registrierung ergab sich, dass Bawü 80% seiner 468 entsprechenden Ausschreibungen in INPOL ins SIS gestellt hatte, Bayern aber nur 15% seiner überwältigenden 2208. Der LfD hat ein wenig nachgesehen, woher die vielen Fälle aus Bawü kommen; darunter waren 63 Personen, die eine Ermittlungsgruppe "Mobile Kinderbanden" ausgeschrieben hat. Ansonsten gab es 62 Fälle, die bereits seit mehr als zwei Jahren in SIS waren (also mindestens zwei Mal verlängert worden waren; eine Ausschreibung war schon seit 2000 gelaufen). Alle diese Fälle kamen aus dem "Staatsschutz"-Bereich, waren also politisch motiviert. Erwartungsgemäß hatte die Polizei munter "Kontaktpersonen" ausgeschrieben oder sich noch nicht mal die Mühe gemacht, irgendwelche Gefahren schwerer Straftaten zusammenzufantasieren. Außerdem wurden einfach gleich mal alle namentlich bekannten Funktionäre verschiedener Gruppen in SIS ausgeschrieben.
Ideen zur Ausschreibung von Troublemakern
Ein Memorandum der EU- Kommission von 2009 schlägt eine Erweiterung der Regeln im SDÜ vor, um "violent troublemakers" (d.h. auffällig gewordenen PolitaktivistInnen) in größerem Umfang speichern zu können.
SIS Auschreibungen zu Genua und Göteburg
Warum es so doof ist, dass nationale Stellen am Schluss "verantwortlich" bleiben, illustriert gut die Anfrage von Marco Cappato an den Rat (3.8.2001) zur Rolle von SIS bei der Repression anlässlich der Gipfel in Göteborg und Genua. In der Antwort schreibt der Rat, er könne zur Nutzung von SIS nichts sagen, da das Sache der schwedischen und italienischen Behörden sei.
die schriftliche Anfrage P-2364/01
Datenabgleich von Hotelgästen mit SIS
Im 39 Tätigkeitsbericht (2.3.4) des hessischen LfDI wird dargelegt, dass die Daten von gemeldeten Hotelgästen in vielen Staaten generell mit der SIS-Datenbank abgeglichen würden (nicht nur in der Schweiz, wo es öffentlich bekannt wurde). Nach der Meinung der JSA von Schengen darf dieses nicht generell geschehen, sondern nur wenn der Verdacht besteht, dass eine verdächtige Person sich vermutlich in der Gegend aufhält.
Weitere Quellen
BTD 13/8385 -- Bundestags-Anfrage von 1995 mit lustigen Infos aus der Frühzeit.
EU Bericht über Passdaten in SIS und Interpol -- Lustige Zahlen und eine Umfrage, die zeigt, dass es die Gegenseite auch nicht immer leicht hat.