Unterschiede zwischen den Revisionen 159 und 160
Revision 159 vom 2010-05-02 15:39:40
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Autor: LilaBlume
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Revision 160 vom 2010-09-04 17:19:19
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Autor: anonym
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 * Von Transparenz kann natürlich nicht mehr annähernd die Rede sein, wenn Bürger``Innen bei der ["Anti-Terror"-Datei] rund 40 Behörden fragen müssen, um rauszukriegen, ob sie gespeichert sind, und etliche davon Geheimdienste sind, für die die Verfassung offenbar nur recht eingeschränkt gilt; der Bundesverfassungsschutz etwa schreibt sich eine Auskunftspflicht mehr als Gnadenakt in sein Gesetz.  * Von Transparenz kann natürlich nicht mehr annähernd die Rede sein, wenn Bürger``Innen bei der [["Anti-Terror"-Datei]] rund 40 Behörden fragen müssen, um rauszukriegen, ob sie gespeichert sind, und etliche davon Geheimdienste sind, für die die Verfassung offenbar nur recht eingeschränkt gilt; der Bundesverfassungsschutz etwa schreibt sich eine Auskunftspflicht mehr als Gnadenakt in sein Gesetz.

Überblick

Für das Datenbank(un)wesen der "Sicherheits"organe sind in erster Linie einschlägig:

  • Die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder
  • Die Polizei- und Verfassungsschutzgesetze der Länder
  • Das BKA-Gesetz und das Verfassungsschutzgesetz
  • Die Strafprozessordnung (Ein paar halbwegs verständliche Worte dazu); hier vor allem §483ff (Speicherung), §487f (Übermittlung) und §489 (Löschung, Berichtigung, Sperrung), §491 (Auskunft).

Dazu kommen im Einzelnen noch ein ganzer Schwung weiterer Gesetze.

Das Datenschutzrecht in der BRD ist noch nicht alt. Anfang der 80er Jahre führten erste Länder Datenschutzgesetze ein, doch so richtig los ging es eigentlich erst 1983 mit dem sog. "Volkszählungsurteil" des Bundesverfassungsgerichts, das im Groben feststellte, dass ein Staat, dessen BürgerInnen nicht zu jederzeit wüssten, was wer über sie speichert, keine funktionierende Demokratie mehr sein kann, weil der/die BürgerIn keine Möglichkeit mehr hat, die Konsequenzen einer Handlung oder Äußerung zu übersehen und daher Handlungen und Äußerungen nach vorauseilenden Opportunitätskriterien organisieren wird.

Die Datenschutzregelungen im Gefolge dieses bahnbrechenden Urteils dienten dann eigentlich nur noch dazu, die Realität (in der natürlich fast alle Panik haben, wegen Bibifax in fiesen Datenbanken zu landen) zu dieser Forderung hinzuschönen bzw. die vom Gericht zugelassene Einschränkung auf der Basis von Gesetzen zu bestimmen. Spätestens seit Kochs Wahlsieg in Hessen und der folgenden Panik der ersten rot-grünen Regierung beginnt dann die offene Missachtung der Grundsätze von 1983.

Wie viel dabei schief geht, mag aus der der Bemerkung des LfD Baerhellen, nach der "ein Großteil der mich tagtäglich erreichenden Briefe und Anrufe betroffener Bürgerinnen und Bürger gerade die Speicherung in den polizeilichen Datenbanken" betreffe (29. TB LfD BaWü, 2.1/1.1).

Das Volkszählungsurteil

Das Volkzählungsurteil definiert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ("Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen") (BVerfG 15.12.1983) als Grundrecht. Es darf, wie das mit Grundrechten mal so ist, auf Grundlage eines Gesetzes eingeschränkt werden.

Daraus ergeben sich die Grundsätze des Datenschutzes:

  • Datensparsamkeit: Daten dürfen nur dann erhoben und gespeichert werden, wenn es einen zwingenden Grund dafür gibt (jede Speicherung braucht einen definierten Zweck). In der Umkehr ist das das Erforderlichkeitsprinzip: Eine Datenverarbeitung ist nur dann rechtmäßig, wenn sie einen verhältnismäßigen Zweck ist.

  • Zweckbindung: der definiterte Zweck einer Speicherung kann sich nicht ändern. wenn der Speicherungsgrund wegfällt, muss gelöscht werden.

  • Transparenz: Sowohl die Speicherung als auch deren Zweck muss den Betroffenen bekannt sein, und sie müssen Einblick in die über sie gespeicherten Daten nehmen können.

Natürlich sind diese Dinge in der "Verfassungspraxis" nur fromme Wünsche, aber es ist doch tröstend, um die Verfassungswidrigkeit polizeilichen Handelns zu wissen. Beispiele aus der Gesetzgebung dazu:

  • Das Erforderlichkeitsprinzip wird mit großer Kreativität vom 2008er Polizeigesetz in BaWü verhöhnt. Es sieht vor, dass die Polizei für zwei Jahre beliebige Daten speichern darf, also nicht mal mehr probieren muss, irgendwelche "Gefahrenprognosen" zusammenzustöpseln, aus denen der Zweck (Prävention oder Aufklärung) ableitbar wäre. Zwar kräht auch andernorts kein Hahn nach diesen Zwecken, aber dort stehts wenigstens nicht im Gesetz.

  • Die Zweckbindung wird zu einer Farce, wenn z.B. Ausschreibungen in SIS "wenn es die Staatssicherheit verlangt" in nationale Datenbanken übernommen werden.

  • Von Transparenz kann natürlich nicht mehr annähernd die Rede sein, wenn BürgerInnen bei der "Anti-Terror"-Datei rund 40 Behörden fragen müssen, um rauszukriegen, ob sie gespeichert sind, und etliche davon Geheimdienste sind, für die die Verfassung offenbar nur recht eingeschränkt gilt; der Bundesverfassungsschutz etwa schreibt sich eine Auskunftspflicht mehr als Gnadenakt in sein Gesetz.

Darüber hinaus dokumentieren rasche Blicke in Datenschutzberichte oder Pressemitteilungen der Innenministerien, dass selbst die schon verfassungswidrigen Gesetze von den Behörden häufig zuungunsten der Bevölkerung gebrochen werden. Immerhin lässt sich da dann aber manchmal noch was reparieren, wenn es rauskommt.

Ein schönes Beispiel zur Zweckbindung und ihrer Verletzung aus Opportunitätsgründen hat der LfD Sachsen in seinem 14. TB (2009), 5.9.3: Eine HIV-positive Blutspenderin begeht Selbstmord, in ihrem Notizbuch finden sich Namen von acht Männern, mit denen in den vergangenen drei Monaten Sex hatte. Die lokale Blutbank fragt die Polizei nach diesen acht Namen; der LfD sagt, die Änderung des "Speicherzwecks" (in dem Fall dürften die Namen noch nicht mal in der Vorgangsverwaltung aufgetaucht sein, aber grundsätzlich ist sowas ein klassischer Fall von "sonstiger Person") sei ok, aber im vorliegenden Fall (Daten zu Gesundheit und Sexualität) nur mit Zustimmung der Betroffenen.

Errichtungsanordnungen und Verzeichnisse

Die erwähnten gesetzlichen Einschränkungen des Grundrechts -- sie regeln u.a. die Erhebung und Weiterverwendung personenbezogener Daten regeln -- gehen als "bereichsspezifische Regelungen" dem Bundesdatenschutzgesetz bzw. den Landesdatenschutzgesetzen der Bundesländer vor.

Die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben liegt (nach wie vor weitgehend) in der Hoheitsgewalt der einzelnen Bundesländer, die Rechtslage variiert dementsprechend bisweilen beträchtlich.

Datenbanken der Polizei, die personenbezogene Daten speichern, brauchen in der Regel eine Errichtungsanordnung samt genauer Zweckbestimmung (z.B. §490 StPO; dort steht auch, was sich der Bundesgesetzgeber an Angaben wünscht). Diese wird normalerweise von der Behörde selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit verfasst und ist allenfalls durch IFG-Anfragen einzusehen (was in der Regel einen Urwald von "VS-Nur für den Dienstgebrauch"-Vermerken zu Tage fördert).

Eine parlamentarische Befassung findet nur dann statt, wenn die geltende Rechtslage die Einrichtung einer bestimmten Datenbank nicht hergibt; dies war etwa bei der DAD oder der "Anti-Terror-Datenbank" der Fall.

Das BKA-Gesetz sieht vor, dass das Innenministerium (ggf. im Benehmen mit dem Bundesrat) die Natur der zu speichernden Daten per Rechtsverordnung (die veröffentlicht wird) genau spezifizieren muss. Unter Hinweis auf diese Regelung hat etwa das (typischerweise recht progressive) VG Hannover (10 A 2412/07) 2008 geurteilt, die Datei "Gewalttäter Sport" (analog wohl die übrigen Gewalttäter-Dateien) werde rechtswidrig betrieben. Leider stehen dem Urteile etwa des VG Mainz (1 K 363/08.MZ) ebenfalls von 2008 entgegen, die finden, die Rechtsverordnung sei "deklaratorisch" und nicht "konstitutiv" (also: Es braucht sie nur, damit was gesagt ist).

Dazu laufen Datenbanken gerne auch über lange Zeit im "Probebetrieb" ohne Errichtungsanordnung (vgl. z.B. AFIS).

In Baden-Württemberg, Hessen und vermutlich auch anderen Ländern müssen öffentliche Stellen, die Daten per EDV verarbeiten, zusätzlich ein Verfahrensverzeichnis führen, in dem insbesondere festzulegen ist, über welche Personen denn Daten gespeichert werden dürfen. Wenn es sie nicht gibt, ist nur das Datenschutzgesetz verletzt, was nach Ansicht des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (11 UE 2982/02, 16.12.2004) aber nicht schadet, wenn irgendwann mal ein Waschzettel nachgereicht wird.

Speicherfristen

Grundsätzlich legt das Finalitätsprinzip fest, dass Daten zu löschen sind, wenn der Grund ihrer Erhebung und Speicherung nicht mehr besteht; dazu kommt eine Analogie zur Verjährung, die ihrerseits auf Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes zurückgeführt wird -- im Groben muss jedeR eine zweite, dritte, vierte und fünfte Chance bekommen, weil er/sie ein Mensch ist.

Die Erfüllung des Finalitätsprinzips ist aus Sicht der Polizei und schon gar des Verfassungsschutzes (a) hinderlich und (b) auch schwierig, etwa, wenn eine Dienststelle nichts von der Einstellung eines Verfahrens oder einem Freispruch mitbekommt oder nicht merkt, dass jemand aufgehört hat, am Umsturz zu basteln.

Deshalb (Grundgesetz und so) sind grundsätzlich in allen Datenbanken "Aussonderungsprüfungsfristen" vorgesehen, nach denen ein Datensatz angesehen werden muss. Er muss aber normalerweise nicht gelöscht werden, wenn ein Grund gefunden werden kann, warum der Zweck seiner Speicherung doch weiter besteht.

In der Praxis sieht das typischerweise so aus, dass für eine Datenbank eine Prüffrist festgelegt wird, typischerweise fünf bis zehn Jahre, für Jugendliche und Kinder gern etwas weniger, dann und wann auch mal mehr -- etwa für "gewaltgeneigten Ausländerterrorismus" und "völkerrechtswidrige Bestrebungen" beim VS 15 Jahre. Das reflektiert die Verjährung bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. In üblichen Datenbanken wird nach dieser Frist reichlich bedingungslos gelöscht, im politischen Bereich kann davon allerdings nicht ausgegangen werden.

Weiter laufen die Fristen normalerweise bei "Zuspeicherung" neu an (das wurde dann und wann auch von Gerichten kritisiert, aber nie endgültig verurteilt).

Was genau eine Zuspeicherung darstellt, obliegt natürlich einem weiten Ermessenspielraum -- Datenbanken sind normalerweise nicht so organisiert, dass es einen Eintrag "Friedrich Schmidt" gibt, bei dem alles steht, was er so angestellt hat, sondern in Tabellen. Dabei steht in einer Tabelle ("Personen") Friedrich Schmidt, in einer anderen ("Taten") was von illegalem Plakatieren, einer Sitzblockade und einer Demoteilnahme. Dass all diese Verbrechen gerade Friedrich Schmidt zur Last gelegt werden, geht aus einer weiteren Tabelle hervor, die Personen und Taten verbindet. Dass nun die Speicherfrist fürs Plakatieren neu anläuft, wenn Friedrich Schmidt in der Nähe eines AKWs wandernd aufgefunden wurde, ist eigentlich nicht klar, wird aber üblicherweise so gehandhabt.

Die übliche Begründung dafür ist, dass all die mit Friedrich Schmidt zusammenhängenden Vergehen zur Prävention oder Aufklärung künftiger Straftaten hilfreich sein können (das ist ja der "Zweck", an den sie gebunden sind) und jede Zuspeicherung dokumentiert, dass dies auch weiter der Fall ist (hätte Schmidt nicht weiter Staatsfeindliches im Sinn, wäre er woanders spazieren gegangen).

Besonders kitzlig ist die Frage bei den "PKS-Speicherungen", die im 29. TB LfD BaWü, 2.1/2.2.3, diskutiert sind: Diese Speicherungen dienen zur polizeilichen Kriminalstatistik, werden aber trotzdem im Auskunftssystem POLAS geführt. Wer sowas macht, schreckt fast sicher nicht davor zurück, Speicherfristen zurückzusetzen (und diese PKS-Fälle können sein "Staatsanwaltschaft sagt, irgendwas sei absolut nicht strafbar gewesen").

Auf der anderen Seite zeigt das Verhalten der Behörden bei Auskunftsersuchen, dass durchaus Unrechtsbewusstsein vorhanden ist, denn nicht selten scheint vor der Auskunft eine Aussonderungsprüfung mit positivem Ausgang zu stehen...

Auskunftsrecht

Vgl. RechtsLage/Auskunftsrecht.

Daten aus eingestellten Ermittlungsverfahren

Vgl. Eingestellte Verfahren.

Allgemeine gesetzliche Grundlagen

Vorsicht: Kram hier drin veraltet schnell. Es wäre sehr nett, wenn ihr Links selbst in Ordnung bringen könntet (dann fällt auch gleich auf, dass irgendwo an einem Gesetz geschraubt wurde). Hilfreich beim Finden könnten Quellen sein.

Europäisches Recht

Europäisches Datenschutzrecht

http://www.lfd.nrw.de/fachbereich/fach_3_0.html#europ%E4isches

Europäische "Justiz" / Europäisches Staatasanwaltschaft

Bundesgesetze

Landesgesetze

Vgl. die Seiten zu den einzelnen Ländern.

detailliertere Betrachtungen

KPMD

Die "Richtlinien für den kriminalpolizeilichen Meldedienst" sind wohl eine Art Durchführungsverordnung zur Datenerhebung und legen fest, wann was gemeldet (und damit potenziell in EDV-Anlagen gespeichert) werden muss.

Vor allem im politischen Bereich interessant sind die Richtlinien für den kriminalpolizeilichen Meldedienst in Staatsschutzsachen (KPMD-S) -- hat wer eine Quelle dafür?

Unklar ist uns, ob die KPMD-S mittlerweile durch die neue KPMD-PMK von 2001 abgelöst sind. In diesen steht jedenfalls, dass Straftaten, die in Würdigung der Umstände, der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür geben, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, meldepflichtig seien.

http://www.bmi.bund.de/cln_007/nn_122778/sid_0319BC9F7BAD1ADD3C02B90CA7B06618/Internet/Content/Nachrichten/Pressemitteilungen/2004/05/Schily__Politisch__motivierte__Id__94880__de.html


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